Zukunft ohne Bücher?

Die Österreichische Nationalbibliothek heute…

ist eine der bedeu­tend­sten und tra­di­tion­sre­ich­sten Bib­lio­theken Europas, mit ein­er über ein halbes Jahrtausend zurück­re­ichen­den Geschichte. Seit dem Jahr 2001 wur­den zügig wichtige Reform­schritte und Weichen­stel­lun­gen für die Zukun­ft der Bib­lio­thek umge­set­zt. Bib­lio­theken müssen heute auf den sehr raschen und umfassenden Trans­for­ma­tion­sprozess von ein­er analo­gen in eine dig­i­tale Medi­en­land­schaft und Wis­sens­ge­sellschaft reagieren. Um ihre Funk­tion in der Gesellschaft weit­er erfüllen zu kön­nen, ist es für Bib­lio­theken entschei­dend, die neuen Chan­cen in der dig­i­tal­en Welt best­möglich zu nutzen.

Als zen­trale Archivbib­lio­thek der Repub­lik Öster­re­ich blickt die Öster­re­ichis­che Nation­al­bib­lio­thek auf eine lange, bis in das 14. Jahrhun­dert reichende Geschichte zurück. Sie bildet eine lebendi­ge Brücke zwis­chen dem reich­halti­gen kul­turellen Erbe der Ver­gan­gen­heit und den verän­derten Ansprüchen der mod­er­nen Informationsgesellschaft.

Die Öster­re­ichis­che Nation­al­bib­lio­thek ver­ste­ht sich als

  • dien­stleis­tung­sori­en­tiertes Infor­ma­tions- und Forschungszentrum,
  • her­aus­ra­gende Gedächt­nisin­sti­tu­tion des Lan­des und
  • vielfältiges Bil­dungs- und Kulturzentrum.

Wie alle mod­er­nen Bib­lio­theken ist die Öster­re­ichis­che Nation­al­bib­lio­thek heute eine „Hybrid­bib­lio­thek”, d.h. sie bietet neben den Ser­vices für ihre BesucherIn­nen vor Ort und den über 8 Mio. analo­gen Medi­en auch vielfältige dig­i­tale Dien­stleis­tun­gen online über ihre Web­site an. Die dig­i­tale Bib­lio­thek öffnet sich damit — orts- und zeitun­ab­hängig — einem wesentlich größeren Benutzerkreis, als dies jemals zuvor in ihrer Geschichte möglich war. Im Zen­trum der dig­i­tal­en  Bib­lio­thek ste­hen heute groß angelegte Dig­i­tal­isierung­spro­jek­te wie Aus­tri­an News­pa­pers Online, wo bere­its über 10 Mio. Seit­en his­torisch­er Tageszeitun­gen im Inter­net abruf­bar sind, oder Aus­tri­an Books Online, ein Koop­er­a­tionspro­jekt mit Google, in dessen Rah­men 600.000 his­torische, urhe­ber­rechts­freie Druckschriften dig­i­tal­isiert wer­den. Ein weit­er­er wichtiger Akzent liegt auf der dauer­haften Bewahrung dig­i­taler Publikationen.

Am Ende der „Gutenberg-Galaxis”

Bere­its in den 1960er Jahren des ver­gan­genen Jahrhun­derts prägte der bekan­nte kanadis­che Medi­en­the­o­retik­er Mar­shall McLuhan das Schlag­wort vom Ende der Guten­berg-Galax­is. Er sah das Ende eines lan­gen vom Buch­druck dominierten Zeital­ters bere­its mit dem Aufkom­men der elek­tro­n­is­chen Medi­en wie Telegra­phie, Tele­fon, Film, Radio und Fernse­hen gekom­men, also schon lange bevor das Com­put­er- und Inter­net-Zeital­ter ange­brochen war. Was McLuhan — und zahlre­iche Medi­en­the­o­retik­er nach ihm  —  bewusst macht­en, war vor allem, wie tief­greifend die Erfind­ung und 500 Jahre beste­hende Dom­i­nanz des Buch­drucks unsere Kul­tur geprägt haben.

Medienwandel

Dass Com­put­er und Inter­net unsere neuen Leitme­di­en gewor­den sind, ist nicht mehr zu überse­hen. Der Zugang zum Wis­sen, die Meth­o­d­en der Kom­mu­nika­tion, der Pub­lika­tion, und damit auch der Begriff der Öffentlichkeit sind in einem tief­greifend­en Wan­del begrif­f­en. Erstaunlich ist, wie rasch wir uns an diese Verän­derun­gen bere­its gewöh­nt haben: E‑Mail, Google, Wikipedia, Face­book, E‑Books usw. gehören längst zum All­t­ag der meis­ten von uns, um von der Gen­er­a­tion der „dig­i­tal natives” gar nicht zu sprechen.

Der entschei­dende Vorteil der dig­i­tal­en Medi­en liegt in der Schaf­fung eines orts- und zeitun­ab­hängi­gen Zugangs zum Wis­sen. Dig­i­tal gespe­icherte Infor­ma­tion ist wesentlich ein­fach­er, effizien­ter und geziel­ter zu recher­chieren. Große Voll­text­daten­banken erweck­en his­torische Büch­er, die Jahrhun­derte friedlich in Bib­lio­theks­magazi­nen schlum­merten, zu neuem Leben. Nicht zulet­zt aber machen uns dig­i­tale Kopi­en auch unab­hängig von frag­ilen, wertvollen, für die Öffentlichkeit kaum noch zugänglichen analo­gen Originalen.

Chancen und Risiken

Der ange­sproch­ene Wan­del von ein­er analo­gen in eine dig­i­tale Infor­ma­tion­swelt vol­lzieht sich längst weit­ge­hend autonom. Die kom­plex­en ökonomis­chen, kul­turellen und sozialen Auswirkun­gen dieses Medi­en­wan­dels ken­nen wir heute noch nicht annährend. Vielle­icht wer­den in 100 Jahren kün­ftige Wis­senschaft­lerIn­nen rück­blick­end die Chance haben, diesen gesellschaftlichen Verän­derung­sprozess in sein­er Gesamtheit zu bew­erten, so wie es für uns heute für die Epoche des Buch­drucks möglich ist. Was wir heute aber tun kön­nen und tun soll­ten, ist diese dynamis­chen Verän­derun­gen sehr genau und sen­si­bel zu beobacht­en und uns rechtzeit­ig die notwendi­ge Kom­pe­tenz im Umgang mit den neuen Medi­en zu erwerben.

Zur Person

Dr. Johan­na Rachinger, Gen­eraldirek­torin der Öster­re­ichis­chen Nation­al­bib­lio­thek. Seit Juni 2001 leit­et Johan­na Rachinger die Öster­re­ichis­che Nation­al­bib­lio­thek, die größte Bib­lio­thek und zen­trale Gedächt­nisin­sti­tu­tion Öster­re­ichs. Davor arbeit­ete sie in der Ver­lags­branche, als Pro­gramm­lei­t­erin, Prokuristin und ab 1995 als Geschäfts­führerin des Ueber­reuter Verlags.
Johan­na Rachinger wurde u.a. als WU-Man­agerin des Jahres 2012 aus­geze­ich­net und 2013 zur Kom­mu­nika­torin des Jahres gewählt.