Erstmals war ACADEMIA SUPERIOR am 23. November 2011 mit einer Dialogveranstaltung zu Gast in Wien. Passenderweise in dem ansprechenden Ambiente vom OberÖsterreich.Haus gleich hinter der Staatsoper diskutierte der Wissenschaftliche Leiter von ACADEMIA SUPERIOR, Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger mit dem ehemaligen Staatsoperndirektor Ioan Holender zum Thema „Die Oper — Spiegel der Gesellschaft?”
Willkommen geheißen wurde ACADEMIA SUPERIOR bei ihrer ersten Veranstaltung in Wien von Maria Raberger von der Privatbank der Raiffeisenbank Oberösterreich, die sich freute, Gastgeberin der Veranstaltung sein zu dürfen. Mag. Michael Strugl, Obmann der ACADEMIA SUPERIOR betonte einleitend, dass der Think Tank bereits seit rund einem Jahr in Oberösterreich aktiv ist und es nun höchste Zeit war, auch in der Bundeshauptstadt Präsenz zu zeigen. Das Veranstaltungsformat „DIALOG” bietet die Möglichkeit, interessante gesellschaftspolitische Themen auch abseits der üblichen Wege zu beleuchten.
Ioan Holender — ein Lebensweg der gescheiterten Ziele?
Bei der Vorstellung attestierte der Genetiker Markus Hengstschläger dem Dialoggast Ioan Holender eine gleichsam genetisch verankerte, seit früher Kindheit vorhandene Begeisterung für die Oper: Holdender als Paradebeispiel für das gelungene Leben, geprägt von Karriere und Erfolg als der am längsten bestellte Staatsoperndirektor seit Bestehen des Hauses und geehrt mit zahlreichen Auszeichnungen im In- und Ausland. Holender, jedoch, sieht seinen Lebensweg als einen der gescheiterten Ziele, als „eine ordentlich erfolglose Karriere”: „Ich bin nie das geworden, was ich werden wollte. In der Not bin ich etwas anderes geworden.” So berichtet er von seiner Begeisterung von den Dampfmaschinen und dem verhinderten Maschinenbau-Studium in Timisoara. Aufgrund von Aussagen bei Studentenprotesten in Rumänien wurde er für das Studium an sämtlichen Hochschulen des kommunistischen Landes gesperrt. Auch mit seinem späteren Ziel, Sänger zu werden, war es nach kurzer Zeit vorbei. Das Interesse an Kunst und Kultur war in gewisser Weise auch Resultat des totalitären Regimes, das ihn zum Lesen, zum Theater und zu der Oper geführt hat. „Ensembles waren von höchster Qualität”, berichtet Holender, denn im Ensemble zu sein war zu der Zeit auch die einzige Möglichkeit, das Land zu verlassen. So sieht Holender seinen Lebensweg als einen, in dem eher andere, beziehungsweise die Umstände, für ihn entschieden. „Ich nenne es nicht Karriere, ich spreche von einer künstlerischen Existenz”, resümiert Holender. „Das Wichtigste ist, dass man tut, was man gerne tut.” Denn, so meint Holender weiter, „Es ist kein Beruf Sänger zu sein, es ist eine Berufung.”
„Oper kostet immer mehr, als sie bringt”
Finanziell gesehen kostet Oper immer mehr, als sie bringt. „Kunst und Kultur sind Bereicherungen für das Leben” weiß der langjährige Staatsoperndirektor, der in der Ausübung von in dieser Hinsicht „unnotwendigen”, also nicht unmittelbar für das Überleben notwendigen Dingen, die Qualität des Menschseins sieht: „Kunst und Kultur unterscheidet den Menschen vom Tier.” Der wichtigste Faktor in der Staatsoper war für Holender stets das Publikum, also Menschen dazu zu bringen, in die Oper zu kommen, anstatt etwas anderes zu tun — und dafür noch Geld zu bezahlen, „wo doch alles schon aus Steuergeldern bezahlt wurde”.
Das Gehörte sehbar machen
Die größte und fundamentalste Veränderung in der Oper in den letzten 30 Jahren sieht Holender darin, dass das Sehen wichtiger geworden ist und daraus die Herausforderung entsteht, das Gehörte glaubwürdig auf der Bühne zu inszenieren. „Visualität ist viel wichtiger geworden, als vor 30, 40 oder 50 Jahren.” Mit der Einführung der Regie in den 1920er Jahren und vor allem seit den 1980er Jahren hat sich die Sichtweise stark verändert. Inszenierungen sind wichtiger geworden: „Die Herausforderung ist sichtbar zu machen, was man hört.” Auch die schauspielerischen Herausforderungen an die Sängerinnen und Sänger sind gestiegen und das Publikum nimmt nicht mehr jeder oder jedem jede Rolle ab: „Die Glaubwürdigkeit auf der Bühne hat sich verändert”.
Auch das Interesse an der Oper generell scheint gestiegen zu sein, so ist die Wiener Oper im Durchschnitt heute besser besucht, als noch vor 30 Jahren. Holender sieht das gleichsam als Zeichen der Neugierde und der Sympathie der Menschen mit der Oper und als Attraktion und gleichsam Kontrast zu dieser höchst technifizierten Zeit, in der wir leben. „Das Menschsein gibt den Menschen das, nicht die Technik”, spricht Holender von der Fähigkeit, mit dem eigenen Talent Dinge zu gestalten.
„Mörbisch und Opernball — jetzt sind wir mittendrin”
Die Unterscheidung zwischen Unterhaltung und Kunst ist für Holender von größter Wichtigkeit und er sieht eine große Gefahr in der „Eventisierung” von Kunst zu Unterhaltung. Kunst soll freilich auch unterhalten, jedoch führt die Eventisierung zur Verkommerzialisierung von Kunst, gefördert durch „vereventiesiertes Sponsoring”. Die Entwicklung in Richtung „laut” und „für ein großes Publikum” sieht Holender kritisch, wie auch den Opernball. So ist es für ihn äußerst fragwürdig, ein Theater für zwei Millionen Euro auszubauen, nur um es für einen anderen Zeitvertreib zu nutzen. Geld, das wiederum vom Steuerzahler kommt. „Der Opernball hat die Staatsoper niemandem nähere gebracht”. Auf den Einwurf von Markus Hengstschläger, dass er noch nie dort war, meint Holender schlicht: „Das ehrt Sie.” Was er dem Opernball Positives abgewinnen kann, „ist die Zauberflöte für Kinder am Tag danach”, die er als Staatsoperndirektor eingeführt hat und damit rund 7.000 Kindern aus dem ganzen Land jedes Jahr eine kostenlose Vorstellung darbietet.
Parameter der Kunst
Wie misst man nun aber den Erfolg der Kunst? „Manches, was heute kein Erfolg ist, kann einer werden”, meint Holender. Der Unterschied zu z.B. Margarethen ist, dass dort alles immer ein Erfolg ist, „weil man es den Menschen angenehm macht”. Anders gesagt, „es stört nichts”. In Analogie zu der Wissenschaft, die nach Markus Hengstschläger dazu da ist, Wissen zu schaffen, muss es in der Kunst darum gehen, Neues zu schaffen. Reine Reproduktion reicht hier nicht aus. So schließt sich Holender der Meinung an, dass man innerhalb bestehender Gesetze beziehungsweise des Rahmens — etwa der geschriebenen Noten und des Textes — Neues schafft, also darauf fokussiert, was „dahinter” steckt.
Waren alle Erfolge der Staatsoper eigentlich genetisch?
Beim Zusammentreffen eines Genetikers und eines Staatsoperndirektors ist die Frage nach dem Grad des Erlernbaren und der Gewichtung zwischen genetischen Voraussetzungen und Umweltfaktoren, also Erlerntem, schlicht unvermeidlich. Holender verbrachte in seiner Tätigkeit als Bühnenvermittler und später als Arbeitgeber viele Zeit damit, Menschen ihre eigenen Grenzen mitzuteilen. Dabei erntete er von seiner Mutter den besorgten Ausspruch, „Warum sammelst du immer noch mehr Feinde?” Holender nahm nicht Rücksicht auf die Wünsche und Gefühle der Sängerinnen und Sänger, sondern auf die Wünsche des Publikums: „Das Publikum war für mich immer das Ausschlaggebende”. Sängerinnen und Sänger sind ihr eigenes Instrument. Somit sind anatomische Vorgaben das ausschlaggebende Kriterium, das — ungerechterweise — bei manchen besser und manchen weniger gut ausgeprägt ist.
Holender spricht die beiden wichtigsten Voraussetzungen für Opernsängerinnen und Opernsänger an: einerseits das Volumen der Stimme und somit die Fähigkeit, Opernhäuser, die tendenzielle immer größer werden, zu füllen, und andererseits die Schönheit der Stimme, also nicht das Intellektuelle sondern die Sinnlichkeit: „Die Oper ist sehr mit Sinnlichkeit verbunden”. Stimme kann wachsen, aber gut singen, im Sinne von einem Singen, das auch vermittelt, kann man nicht lernen. Zentral ist es auch zur richtigen Zeit, die richtigen Rollen zu singen, also auch die Kraft, Nein zu sagen. „Es ist möglich, eine Weltkarriere zu machen, ohne wirklich singen zu können”, meint Holender neckisch und ist oft verwundert, wie lange das manche durchhalten. „Umso wichtiger das Haus, umso geringer die Bezahlung”, war die Devise Holenders als auf den Steuerzahler bedachten, sparsamen Staatsoperndirektor. Die Anerkennung und Wichtigkeit eines Hauses spiegelt sich bei anderen und steigert den Marktwert eines Sängers oder einer Sängerin.
Glaube an Genies
Das Opernrepertoire verändert sich heute kaum noch. Es gibt in etwa 40 Werke, die regelmäßig weltweit aufgeführt werden. Warum ist das so und werden in den kommenden Jahren neue Werke dazukommen, will Markus Hengstschläger wissen. Komponieren heute geht sehr in die Intellektualität, weiß Holender. Es bleibt die Frage, ob es die Dinge sind, die die Zeit verlangt — eine gängige Ansicht in der Wissenschaft — oder ob es sich bei großen Werken schlicht um Zufall handelt. „Ich glaube an Genies”, meint Holender schlicht in Bezug auf etwa Bach, Wagner, Mozart, Verdi und andere, weshalb große Werke für ihn nicht erklärbar sind.
Oper muss live sein
Der Dialog des Abends wurde nicht nur zwischen den beiden Dialogpartnern geführt sondern auch mit dem Publikum. So ergingen Fragen wie „Muss Oper live sein?” „Wie ist es möglich, dass es eine solche Dichte an Genies im 17. Und 18. Jahrhundert gab?” „Würde jemand, der das Talent hat, Opern zu schreiben, heute das Risiko eingehen, das auch zu tun oder ist es — hinsichtlich des Erfolgs — einfacher, Popsongs zu schreiben?” und „Welche Bedeutung hatten die Medien bei der Entwicklung der Wiener Staatsoper?”
Von Opernübertragungen und Oper am Fernsehschirm hält Holender nichts. „Oper muss live sein”. Auch von Kulturjournalisten hält Holender wenig: „Ich sage immer, zwei Berufe braucht man nicht lernen: Regisseur und Kulturjournalist, das kann scheinbar jeder”, wobei er stets Ausnahmen lobend erwähnt. Hinsichtlich des Einflusses von Medien auf die Kultur ist Holender sehr kritisch: „Die Medien haben — mit einigen Ausnahmen — einen immer schlechteren Einfluss auf die Kultur”.
Ein sprühender, dichter, abwechslungsreicher Abend
Angeregt von dem sprühenden Dialog wurde dieser beim anschließenden Buffet noch fortgeführt. Das OberÖsterreich.Haus bot ein ansprechendes Ambiente für rund 80 geladene Gäste, darunter ACADEMIA SUPERIOR Beiratsmitglied Univ.-Prof. Erich GORNIK (TU Wien — Institut für Festkörperelektronik), Dr. Gustav DRESSLER (Vorstand der Drei-Banken Generali Investment GmbH), Mag. Georg SCHÖPPL (Vorstand Österreichische Bundesforste AG), Dr. Ludwig STEINBAUER (Vorstand der Strabag AG), DI Friedrich STICKLER (Vorstandsdirektor Österr. Lotterien GmbH), Karl-Martin STUDENER (Geschäftsführer der Iveco Austria Ges.m.b.H.), Thomas KÖNIGSTORFER (Kaufmännischer Vorstandsdirektor Landestheater Linz und Brucknerorchester), Stefan GEHRER (ZiB-Moderator) und Daniela ZIMPER (Ö1 Moderatorin).