Im Diskurs um autonom fahrende Autos greift die Frage nach der Ethik von über einen Algorithmus erstellten Entscheidungen für das „geringere Übel” im Falle eines nicht vermeidbaren Unfalls meines Erachtens nach noch zu kurz. Zweifelsohne ist dieser Aspekt im Vorfeld und — wenn möglich — sogar in der Software-Entwicklung mitzudenken. Wie Patrick Beuth in seinem Artikel aber richtig ausführt, sehen wir uns weiterführend noch mit anderen Fragen — insbesondere auch auf der Ebene der Gesetzgebung und ‑vollstreckung — konfrontiert: Ist ein Unfall mit einem autonom fahrenden Auto erst einmal passiert — wer ist verantwortlich, wer trägt die Folgekosten?
Verantwortung wird in diesem Zusammenhang das große Schlagwort sein. Anzunehmen ist, dass sich die Autobauer von dieser lossagen und vertraglich absichern werden. Kann man jedoch dem/der Fahrer/-in eines selbstfahrenden Autos die „Schuld” und die sich daraus ergebenden Kosten (ganz zu schweigen von der moralischen Verantwortung) für einen Unfall überantworten, den er/sie — streng genommen — nicht verschuldet hat?
Wer ist in dann aber in letzter Konsequenz der/die Verantwortliche, also der-/diejenige, der/die für die Folgekosten eines potenziellen Unfalls, eines Schadens aufkommen muss? Räumt man einem Auto, einem Roboter die Kompetenz ein, mindestens ebenso gute Entscheidungen im Verkehr treffen zu können wie der Mensch selbst, muss man sich darüber im Klaren sein, dass man die Letztverantwortung an eine Maschine abgibt. Dies stellt uns nun vor folgendes Dilemma:
- Für eine Maschine und deren Ausführungen muss es einen Verantwortungsträger geben. Nach welchen Kriterien würde jedoch ein solcher definiert werden — und ist er in jedem Fall haftbar? Ein sich anbietendes Beispiel wäre die leider nicht seltene Situation eines Unfalls mit einem Kind, das — ob „schuldig” oder nicht — generell vom Vertrauensgrundsatz ausgenommen ist.
- Für solch umfassende Entscheidungen, wie sie im Verkehr notwendig sind, bedarf es — streng genommen — intelligenter, selbst denkender Wesen. Sind selbstfahrende Autos aber schon als AI (künstliche Intelligenz) zu definieren bzw. müsste ihnen dementsprechend ein rechtlicher Status, der dem des Menschen annähernd ebenbürtig ist, eingeräumt werden? Sprich: Sind Maschinen/Roboter haftbar? Und wenn ja, auf welche Weise, in welchem Ausmaß?
Als elementar erscheint in diesem Zusammenhang der Aspekt der Eigenverantwortung. Bei autonom fahrenden Autos gibt der/die Fahrer/in nämlich letztlich nicht die Verantwortung ab, wie man gerne glauben möchte. Vielmehr übernimmt er/sie Haftung für Situationen, deren Abläufe nur noch begrenzt dem eigenen Einfluss unterliegen.
Was für Konsequenzen hat dieses Neuverständnis von Technik aber für unsere Gesellschaft? Patrick Beuth zitiert in diesem Zusammenhang Kate Darling, Expertin für Roboterethik am MIT Media Lab in Cambridge. Sie verweist auf einen Aspekt, der schwerwiegende Folgen für das gesellschaftliche Verständnis von und den Umgang mit Technologie an sich mit sich bringen können: „.(..) solche Unfälle und ihre Entstehungsgeschichte könnten die öffentliche Wahrnehmung massiv beeinflussen. Das kann von Gerichtsurteilen bis hin zu einem generellen Widerstand gegen die Technik reichen.”
Was also auf den ersten Blick wie ein begrüßenswerter technologischer Fortschritt wirkt, der mit einem Schlag eine Reihe von Unzulänglichkeiten des menschlichen Fassungsvermögens auszumerzen in der Lage zu sein scheint, könnte sich als Wolf im Schafspelz entpuppen. Unsere Bereitschaft, Vertrauen in Technologie zu setzen, die unsere Defizite zu kompensieren in der Lage ist, wäre dann unter Umständen ein Bumerang, der unser Misstrauen im Bezug auf neue Technologien verfestigen und Innovationen den Weg blockieren könnte.
Autonom fahrende Autos bergen ein enormes Potenzial in sich; zweifelsohne könnte diese Technologie unsere Gesellschaft explosionsartig auf eine neue Entwicklungsstufe befördern und uns ein komplett neues Verständnis im Umgang mit dem bisherigen Statussymbol Auto und dem nervenaufreibenden, aggressionsüberfrachteten „Wesen” Verkehr bescheren. Ohne von Smartphones abgelenkten und von der PS-Zahl ihrer Autos überforderten Verkehrsteilnehmern/-innen könnte die Unfallstatistik in völlig neue Bahnen gelenkt werden — im positiven Sinne. Dieses neu zu beackernde Feld gilt es aber vorher genau abzustecken und vorzubereiten.
Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als die rechtlichen Rahmenbedingungen im Vorfeld aufs Genaueste auszuhandeln, um den Gewinn, den die wissenschaftliche Errungenschaften um autonom fahrende Autos für uns bedeuten können, nicht zu einer gerichtlichen Schlammschlacht werden zu lassen und uns in der Folge nicht in ein neues Mittelalter zu katapultieren.
Quellen:
Patrick Beuth: Autonome Fahrzeuge: Wenn Software über Leben und Tod entscheidet.
Patrick Lin: The Robot Car of Tomorrow May Just Be Programm to Hit You.
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