Das durchschnittliche Alter der westlichen Gesellschaft steigt und lässt die Grenzen des aktuellen Pensionssystems erkennen. Eine kleiner werdende Bevölkerungsschicht soll für eine größer werdende finanziell aufkommen. In Diskussionen zu Lösungsansätzen liegt oftmals der Fokus auf der niedrigen Geburtenrate, die diese Altersverteilung mit verursacht hat. Dabei wird das gesellschaftliche Problem oft auf diese abstrahierte Zahl reduziert, und Lösungsansätzen scheinen sich allein damit zu beschäftigen, wie diese Rate angehoben werden kann. Es kommt zu unterschiedlichsten Vorschlägen von der Einführung oder Ausweitung von Kinderkrippenplätzen bis hin zu In-Vitro Fertilisation von eingefrorenen Eizellen. Solche Diskussionen beschäftigen sich meiner Meinung nach zu viel mit technischen Möglichkeiten und hinterfragen nur teilweise warum es zu so einer geringen Geburtenrate gekommen ist. Schließlich, wie Carl Djerassi, der Miterfinder der Verhütungspille, meint, habe die Pille an sich nicht die Geburtenrate gesenkt, sondern bloß die vorherrschende Tendenz schneller umgesetzt. Die Frage stellt sich also, was passiert wenn trotz technischer Hilfsmittel die Geburtenrate nicht steigt?
Da mit der momentanen Geburtenrate von weit unter zwei Kindern pro Frau unsere Gesellschaft schrumpft, sollten wir also viel eher diskutieren, warum sich junge Frauen und Männer bewusst oder unbewusst für weniger Kinder, als zum Erhalt der Gesellschaft notwendig sind, entscheiden. Isolierte Ursachen sind für derart komplizierte Vorgänge unwahrscheinlich, viel eher ist dieses Phänomen ein Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Faktoren. Folgendes ist meiner Meinung nach noch zu wenig diskutiert:
Das Vertrauen in die Zukunft verschwindet
Im Zuge des Wiederaufbaues war das Streben der Menschen dahin ausgerichtet, Verbesserung der Lebensqualität zu schaffen. Heute sehen viele Menschen, dass wir über unseren Verhältnissen leben, mehr Umweltbelastungen ausüben als die Natur verkraften kann, mehr Schulden aufnehmen als wir in Zukunft bedienen zu können scheinen und mehr Pensionen auszahlen als wir einzahlen zu können scheinen. Wie kann also heute eine Verbesserung der Lebensbedingungen aussehen? Sollen wir den jetzigen Weg weiter gehen? Um zu Antworten zu gelangen, möchte ich Szenarien anführen, die so oder in Kombination auftreten könnten.
Mehr Qualität für die Zukunft
Wir schaffen es auf eine nachhaltige Umwelt- und Pensionspolitik umzuschwenken, also unsere Ansprüche dahingehend zu ändern, dass unsere Umwelteinflüsse keine Langzeitschäden mit sich bringen und unsere Gesellschaft keine Schulden anhäuft. So kann es uns möglich sein, auch weiterhin auf sehr hohem Niveau zu leben.Das Vertrauen in die Zukunft würde sich verbessern und die Geburtenrate auf natürliche Weise steigen.
Weniger Quantität für die Zukunft
Wir schaffen es nicht diese Herausforderungen nachhaltig zu lösen und können das Ausmaß der Ausbeutung nur dadurch verringern, indem die jetzige Ausbeutung von weniger Menschen vollzogen wird. Das Schrumpfen der Gesellschaft wäre somit eine Notwendigkeit. Dieses Verhalten ist nicht sonderlich verwunderlich, wie uns die Tier- und Pflanzenwelt vorlebt; schließlich passiert in der natürlichen Evolution ein ähnlicher Prozess. Verschiedenste Strategien entwickeln sich, und jene, die sich als nicht erfolgreich erweisen, sterben aus.
Vielleicht beschreitet unsere schrumpfende Gesellschaft diesen zweiten Lösungsweg. Junge Menschen haben kein Vertrauen in die Zukunft und bewerten daher die Gegenwart höher. Dadurch sinkt die Motivation Nachwuchs zu zeugen, und Gesellschaften, die über ihren Verhältnissen leben, schrumpfen auf eine Größe, die die Welt verkraftet.
Der Konsum als Kind der Gesellschaft
Aus der Hirnforschung wissen wir, dass unser Gehirn Lernen belohnt. Die Suche nach Neuem scheint also Teil unserer Evolution zu sein. Eltern wachsen mit ihren Kindern mit, sie lernen mit ihnen umzugehen und erfahren neue Eindrücke, sie sind somit ständig mit Neuem konfrontiert.
Kinder sind somit eine natürliche Antwort auf unserer Suche nach Neuem.
Wäre es möglich, dass der Konsum, durch die ständige Reizüberflutung mit Neuem, den Wunsch nach Neuem in Sinne der Fortpflanzung dämpft?
Das überbordende Angebot an Neuem, das uns unsere Marktwirtschaft gönnt, könnte somit dazu beitragen, unsere Zukunftsaussichten zu schmälern.
Führt man dieses Argument weiter, müssen wir vor allem das Streben nach weiterhin steigendem Konsumverhalten überdenken, und dessen Notwendigkeit für unsere heutige Marktwirtschaft.
Zum Autor
DI Johannes Klinglmayr hat an der Technischen Universität Wien Mathematik studiert und absolvierte einen Masterstudiengang zu Angewandter Mathematik an der Universität Michigan. Momentan ist er Doktorand im Fach Informationstechnologie.