Die gute Nachricht zuerst: Es wird immer mehr Menschen bewusst, dass ihre alltäglichen persönlichen Entscheidungen Folgen nach sich ziehen. Folgen für einen selbst, aber auch für andere und die Umwelt. Die schlechte Nachricht: Das gestiegene Bewusstsein führt nur selten zu veränderten Entscheidungen. Ein Beispiel: Eine große Mehrheit der Menschen (teils über 90%) ist Bio-Lebensmitteln gegenüber positiv eingestellt. Viele von diesen Menschen geben zudem an, regelmäßig Bio zu kaufen oder dies künftig tun zu wollen. Wie hoch ist also der Bio-Anteil am gesamten Lebensmitteleinkauf in Österreich? Lediglich 10%. (1)
Mit dieser Bio-Quote liegt Österreich dennoch im internationalen Spitzenfeld, was auch kürzlich auf diesem Blog thematisiert wurde. Das Phänomen, dass positive Einstellungen oft nicht in Verhalten übersetzt werden, ist also ein globales. (2) Das wirft die Frage auf: Ist es möglich, Menschen dabei zu helfen, „bessere“ – z.B. umweltschonendere – Entscheidungen bei ihrem Lebensmitteleinkauf zu treffen? (3) Ein vielversprechender Ansatz ist die Anbringung eines Öko-Labels auf Produktverpackungen. (4) Das Ziel eines solchen Labels ist es, die Umweltauswirkungen eines Produkts entlang der Lieferkette vom Bauern bis zum Geschäft möglichst objektiv zu messen und dem Konsumenten diese Information für die Kaufentscheidung zur Verfügung zu stellen.
Im Folgenden fasse ich meine wissenschaftliche Studie, die kürzlich in der internationalen Fachzeitschrift Journal of Cleaner Production publiziert wurde, verkürzt und vereinfacht zusammen. Bei tiefergehendem Interesse erhalten Leser dieses Blog-Artikels bis Jahresende 2021 kostenlosen Zugang zur Studie.
Die meisten Konsumenten wissen nur wenig über die Umweltauswirkungen von Lebensmitteln und sind nicht in der Lage, beurteilen zu können, ob Produkt A oder B die nachhaltigere Alternative darstellt. (6) Zudem basieren die meisten Entscheidungen beim alltäglichen Einkauf nicht auf sorgfältigem Abwägen diverser Faktoren. Vielmehr werden diese intuitiv getroffen oder bequem jenes Produkt gewählt, das man in Vergangenheit bereits mehrmals gekauft hat oder jenes mit dem niedrigsten Preis. (7) Auf Basis dieser Erkenntnisse gehen wir – mein Ko-Autor Christoph Moosauer und ich – davon aus, dass die Einführung eines Öko-Labels dabei helfen kann, dem Konsumenten im richtigen Moment – also direkt bei der Produktentscheidung — objektives Wissen über das Produkt zu vermitteln. (8)
Nachdem wir auf Basis von Literaturrecherchen fünf Label-Designs ausgewählt bzw. designt haben (Abbildung 1), testeten wir deren Effektivität in einer Online-Umfrage. Wir stellten fest, dass Labels in Ampel-Logik (grün = umweltfreundlich; rot = umweltschädlich) sowohl von Studienteilnehmern am positivsten aufgenommen wurden als auch dass diese Labels effektiver darin waren, umweltfreundliche Produktentscheidungen zu begünstigen. Das Label L5 wies die größte Effektivität auf und kam bei den Studienteilnehmern zugleich am besten an – obwohl dieses Label die wenigsten konkreten Informationen aller fünf Label beinhaltete.
In einem weiteren Online-Experiment, an dem rund 400 Leute teilnahmen, mussten die Teilnehmer mehrere Einkaufsentscheidungen treffen. Die Kontrollgruppe stand vor den gleichen Produktentscheidungen wie die Treatment-Gruppe. Einziger Unterschied: Die Treatment-Gruppe sah zusätzlich das Label L5 (ohne dass auf dieses explizit hingewiesen wurde). Und tatsächlich: Jene Teilnehmer, die das Öko-Label sahen, entschieden sich…
- Häufiger für umweltfreundliche Produkte
- Häufiger für Bio-Produkte
- Deutlich seltener für die umweltschädlichste Alternative
Während das Öko-Label auf alle Produktalternativen einen Einfluss hatte, führte es vor allem dazu, dass die umweltfreundlichste Alternative deutlich häufiger und die umweltschädlichste Alternative deutlich seltener gewählt wurde (Abbildung 2). Da Bio-Produkte – im Durchschnitt – umweltfreundlicher sind als ihre konventionell produzierten Alternativen, führte das Öko-Label auch zu einem erhöhten Absatz von Bio-Produkten. Durch deren höheren Preis, würden sich durch die Einführung eines Öko-Labels auch die Umsätze von Lebensmittelhändlern und ‑produzenten erhöhen, was – trotz Aufwand – dazu führen könnte, dass auch diese Interessensgruppen einem Öko-Label positiv gegenüberstehen. Für die Konsumenten gilt dies jedenfalls: Über 80% wünschen sich die Einführung eines leicht verständlichen Öko-Labels.
Außerdem interessant: Das Öko-Label hatte einen positiven Einfluss auf die Entscheidungen aller untersuchten Konsumentensegmente, insbesondere jedoch auf Entscheidungen von Teilnehmern, die…
- bisher kaum Bio-Produkte gekauft haben
- über einen niedrigen Wissensstand zu Lebensmitteln verfügen
- durch ein relativ niedrigeres Umweltbewusstsein gekennzeichnet sind
Zusammenfassend kann abgeleitet werden:
- Ein leicht verständliches Öko-Label kann zu mehr umweltfreundlichen Entscheidungen im Lebensmitteleinkauf beitragen und den Absatz von Bio-Produkten fördern, ohne die Freiheit des Einzelnen zu beschränken oder an der Preisschraube zu drehen
- Es sollte ein einheitliches Design, z.B. für die gesamte EU, festgelegt werden; wenn jede Supermarktkette ein eigenes Öko-Label einführt, würden Konsumenten verwirrt und der vielversprechende Effekt des Labels könnte untergraben werden
- Das Design sollte sich an einer Ampel-Logik orientieren und ohne Detailinformation auskommen, um so die angezielte intuitive, teils unterbewusste, Wirkung zu erreichen
- Vor allem die relativ umweltschädlichste Produktoption wird durch ein Öko-Label in der Gunst der Konsumenten zurückgedrängt; die Produzenten würden dadurch einen Anreiz bekommen, ihre Produkte umweltverträglicher zu produzieren
- Während das Öko-Label auf alle Konsumentensegmente einen positiven Einfluss hat, werden insbesondere jene Konsumenten angesprochen, die bisher kaum Wert auf Bio und Umweltauswirkungen ihrer gekauften Produkte gelegt haben oder schlicht nicht um deren negativen Effekt wussten
- Da Konsumenten zunehmend bereit sind, nachhaltiger zu agieren aber oft durch ihr limitiertes Wissen darüber, wie man überhaupt nachhaltiger agieren kann, in ihrem Bestreben beschränkt werden, kann ein Öko-Label ein wichtiger Teil der Lösung sein
Sie fragen sich, wie Sie bei Ihrem nächsten Lebensmitteleinkauf umweltfreundliche Entscheidungen treffen können, obwohl der Markt Ihres Vertrauens (noch) kein Öko-Label an Produkte anbringt?
- Bevorzugen Sie Bio
- Ernähren Sie sich hauptsächlich pflanzlich
- Vermeiden Sie Abfälle (z.B. durch Nutzung einer Einkaufsliste und Verzicht auf Aktionen wie „Nimm-2-zahl‑1“)
- Ernähren Sie sich saisonal (eine Tomate im Winter hat einen höheren CO2-Fußabdruck als im Sommer)
Jeder Ihrer Einkäufe ist wie ein Stimmzettel. Mit jeder Produktentscheidung bestimmen Sie mit. Nutzen Sie Ihr Wahlrecht.
Über den Autor
Lambert Neumayr stammt aus Kirchdorf a. d. Krems, Oberösterreich. Nach Master-Studien an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Smith School of Business (Kanada) arbeitete er als Unternehmensberater für McKinsey&Company. Seit 2018 lebt er in Bregenz, Vorarlberg, und forscht an seiner Dissertation an der Technischen Universität München zum Thema Konsumentenverhalten im (Bio-)Lebensmitteleinkauf.
Die Verbindung zur Academia Superior besteht seit 2015, als er Teil der Young Academia beim Surprise Factor Symposium in Gmunden war und einen Blog-Post zu selbstfahrenden Autos verfasste. Beim Inhalt des aktuellen Gastbeitrags handelt es sich um eine – aus dem Englischen übersetzte – Kurzfassung seines im Journal of Cleaner Production publizierten wissenschaftlichen Artikels How to Induce Sales of Sustainable and Organic Food: The Case of a Traffic Light Eco-Label in Online Grocery Shopping. Über folgenden Link erhalten Leser des Academia Superior-Blogs bis Jahresende 2021 kostenlosen Zugang zum Volltext-PDF.
Quellenangaben
(1) https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000124286083/bio-anteil-bei-lebensmittel-durchbrach-2020-zehn-prozent-marke, zuletzt abgerufen am 21.11.2021
(2) Cerri, J., Testa, F., & Rizzi, F. (2018). The more I care, the less I will listen to you: How information, environmental concern and ethical production influence consumers’ attitudes and the purchasing of sustainable products. Journal of Cleaner Production, 175, 343–353. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2017.12.054
Reczek, R. W., Irwin, J. R., Zane, D. M., & Ehrich, K. R. (2018). That’s Not How I Remember It: Willfully Ignorant Memory for Ethical Product Attribute Information. Journal of Consumer Research, 45(1), 185–207. https://doi.org/10.1093/jcr/ucx120
Trivedi, R. H., Patel, J. D., & Acharya, N. (2018). Causality analysis of media influence on environmental attitude, intention and behaviors leading to green purchasing. Journal of Cleaner Production. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2018.06.024
(3) Maki, A., Burns, R. J., Ha, L., & Rothman, A. J. (2016). Paying people to protect the environment: A meta-analysis of financial incentive interventions to promote proenvironmental behaviors. Journal of Environmental Psychology, 47, 242–255. https://doi.org/10.1016/j.jenvp.2016.07.006
(4) Vlaeminck, P., Jiang, T., & Vranken, L. (2014). Food labeling and eco-friendly consumption: Experimental evidence from a Belgian supermarket. Ecological Economics, 108, 180–190. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2014.10.019
(5) Camilleri, A. R., Larrick, R. P., Hossain, S., & Patino-Echeverri, D. (2019). Consumers underestimate the emissions associated with food but are aided by labels. Nature Climate Change, 9(1), 53–58. https://doi.org/10.1038/s41558-018‑0354‑z
Nuttavuthisit, K., & Thøgersen, J. (2017). The Importance of Consumer Trust for the Emergence of a Market for Green Products: The Case of Organic Food. Journal of Business Ethics, 140(2), 323–337. https://doi.org/10.1007/s10551-015‑2690‑5
(6) Dijksterhuis, A., Smith, P. K., van Baaren, R. B., & Wigboldus, D. H.J. (2005). The Unconscious Consumer: Effects of Environment on Consumer Behavior. Journal of Consumer Psychology, 15(3), 193–202. https://doi.org/10.1207/s15327663jcp1503_3
Puska, P., Kurki, S., Lähdesmäki, M., Siltaoja, M., & Luomala, H. (2018). Sweet taste of prosocial status signaling: When eating organic foods makes you happy and hopeful. Appetite, 121, 348–359. https://doi.org/10.1016/j.appet.2017.11.102
Thøgersen, J., & Nielsen, K. S. (2016). A better carbon footprint label. Journal of Cleaner Production, 125, 86–94. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2016.03.098
(7) Costanigro, M., Kroll, S., Thilmany, D., & Bunning, M. (2014). Is it love for local/organic or hate for conventional? Asymmetric effects of information and taste on label preferences in an experimental auction. Food Quality and Preference, 31, 94–105. https://doi.org/10.1016/j.foodqual.2013.08.008