Treffen ein Theologe und ein Genetiker aufeinander, dann geht es um die Fundamente unserer Gesellschaft. So beim 10. DIALOG von ACADEMIA SUPERIOR, als Paul M. Zulehner – europaweit renommierter Theologe, Pfarrer und Sozialwissenschafter – und Markus Hengstschläger sich zu einem Gespräch über „Gott und die Welt“ aufmachten. Dabei wurde kein noch so kontroversielles Thema ausgespart: Vom Zölibat über die Frage der aktiven Sterbehilfe führte das Gespräch bis hin zum Umgang der katholischen Kirche mit Frauen als Priesterinnen, Scheidungen und homosexuellen Paaren, aber auch Fragen der Genetik und des religiösen Fundamentalismus im Islam wurden diskutiert.
Freiheit als Herausforderung
Eines kam in dem ebenso geistreich wie unterhaltsam geführten Dialog klar hervor: Alle Institutionen des Landes stehen vor der Herausforderung, ihren Umgang mit den nach individueller Freiheit strebenden Menschen zu verbessern. So boomt zwar die spirituelle Sehnsucht der Menschen, aber die Kirche hierzulande schrumpft. Dieses scheinbar paradoxe Phänomen lässt sich besser verstehen, wenn bedacht wird, dass „sämtliche Institutionen die steuernd in die Gesellschaft eingreifen wollen, egal ob es sich um Parteien, Gewerkschaften oder die Kirche handelt, mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben“, so Paul Zulehner. Der grundlegende Wandel hin zu mehr persönlicher Individualität hat sich in der Gesellschaft seit den 1960er Jahren vollzogen – viele Organisationen hinken dieser Entwicklung jedoch noch hinterher. Besonders die katholische Kirche muss sich, so Zulehner, noch aktiver den aktuellen Fragen der Gesellschaft stellen.
Von Markus Hengstschläger auf einige dieser Themen angesprochen, bemerkte Zulehner, ein Insider der aktuellen kircheninternen Diskussionen, er rechne mit einem baldigen Ende des Zölibats und glaube auch, dass Frauen früher oder später auch im Katholizismus Priesterinnen werden können. Entscheidend für den persönlichen Glauben ist für ihn nicht, dass man allem, was von der Kirche vorgegeben werde, zu 100 Prozent zustimmt. Vielmehr darf man sich auch jene Teile des Glaubens herausnehmen, mit denen man mitgehen kann und andere auch ablehnen. „Das Entscheidende ist, mit Gott und seiner Liebe in Verbindung zu stehen“, betonte Zulehner.
Die zwei Enden des Lebens
Das Gespräch widmete sich auch ethischen Fragen zum Anfang und zum Ende des menschlichen Lebens. Zur aktiven Sterbehilfe stellte Zulehner seine Haltung als differenziert dar: „Ich habe Respekt vor den eigenen freien Entscheidungen eines jeden Menschen, aber ich persönlich würde das gesellschaftlich nicht inszenieren wollen“. Aus den Ergebnissen seiner eigenen wissenschaftlichen Umfragen kennt der Sozialwissenschafter die Problematik der Frage, wo die gesellschaftlichen Grenzen der aktiven Sterbehilfe gezogen werden sollten: Denn während manche Personen der Meinung sind, man sollte sterben dürfen, wenn man zu große Schmerzen hat, finden andere, dass es bereits genügt, wenn man der Familie oder dem Staat nicht mehr „zur Last fallen“ möchte. Eine gesellschaftliche Legalisierung der aktiven Sterbehilfe birgt daher die Gefahr in sich, bei älteren oder kranken Menschen einen Druck zum Sterben aufzubauen, unterstrich Zulehner.
Markus Hengstschläger wies auch darauf hin, dass Genetiker seit diesem Jahr erstmals technologisch dazu in der Lage sind, gezielt einzelne Gene von Menschen zu verändern. „Mit den dadurch möglichen Gentherapien können wir bisher unheilbare Erbkrankheiten verhindern. Aber gleichzeitig ist es dem Menschen nun erstmals in der Geschichte möglich, aktiv in die Evolution einzugreifen“, so Hengstschläger und fragte den Theologen weiter: „Sollen wir das?“. Zulehner antwortete, dass es nun wichtig sein wird, „gut zuzuhören“ und sich ausreichend zu informieren. „Ängstliche Menschen werden nun vor dem Anfang der Eugenik warnen. Aber einer meiner Brüder ist mit einer sehr schweren Behinderung zur Welt gekommen. Ich hätte es toll gefunden, wenn man das verhindern hätte können“, so Zulehner und erklärte weiter „wir müssen in der ethischen Diskussion dieser Themen noch freier werden und dürfen nicht zum Fundamentalismus neigen“.
Religion und Fundamentalismus
Gegenwärtig bringen vor allem die Beispiele radikaler Auslegung von Religion diese in die Medien, bemerkte Markus Hengstschläger und fragte nach, ob diese Radikalität schon immer zum Wesen von Religionen gehört habe oder ob diese – zumal im Islam – zunehme. Zulehner sieht das historisch betrachtet durchaus differenzierter: „Wir Christen sind in Europa schon im selben Zustand gewesen wie der Nahe Osten jetzt. Wir sollten nicht so tun, als wäre das in unserer europäischen Geschichte völlig fremd und das würde nur im Islam vorkommen.“ Vor allem in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, von 1618 bis 1648, herrschten in großen Teilen Europas ähnliche Zustände wie heute im Nahen Osten mit dem Terror des Islamischen Staats – und auch hier wurden Kriege und Gewalt Jahrhundertelang mit der Religion legitimiert.
„Nichts schadet der Religion mehr als diese unheilige Allianz mit der Gewalt.” – Paul Zulehner
Allzu oft werde leider versucht, die persönliche Gewalttätigkeit durch Gott zu rechtfertigen. „Religion ist unglaublich missbrauchsanfällig und alle Religionen standen schon immer vor dem Problem, sich von der Gewalttätigkeit der Menschen befreien zu müssen“, so der Theologe. Für ihn ist „die Trennung von Kirche und Staat, der Verlust des politischen Einflusses, die beste Hilfe für die Kirche in diesem Befreiungsprozess von der Gewalttätigkeit der Menschen“ gewesen.
Auch der Islam ist hinsichtlich der Gewalt zweigeteilt: Im Koran ist die Zeit des Propheten Mohammed in Mekka gekennzeichnet als eine friedliche Phase. Erst ab Mohammeds Zeit in Medina – als er sich mit der politischen Macht verbündete und den Islam mit Gewalt zu verbreiten begann – ist der Koran geprägt von der gewalttätigen Verbreitung des Glaubens und vom heiligen Krieg. „Der Islam muss sich stärker von dieser späten, gewalttätigen Schicht im Koran befreien“, so Zulehner und führte weiter aus: „Der Islam tut sich dabei viel schwerer als das Christentum, welches das leider aber auch erst sehr, sehr spät gemacht hat“.
Unterstützt wurde die Veranstaltung von der Sparkasse Oberösterreich, vertreten durch Vorstandsvorsitzenden Dr. Michael Rockenschaub, der in seiner Begrüßung darauf hinwies, dass die Kirche im Gründungsprozess der Sparkassenvereine eine entscheidende Rolle gespielt hatte und sich die Sparkasse OÖ nach wie vor „christlichen und bürgerlichen Werten in ihrer Geschäftstätigkeit verpflichtet fühlt und deshalb ein besonderes Interesse an der Mitwirkung an dieser Veranstaltung gehabt hat“.