Ta|lent, das (n.); <lat.>: talentum „Gabe“ und <griech.> talanton „Waage“; ursprünglich eine Altorientalische Maßeinheit; bezeichnet (1.) eine (natürliche) Begabung oder Anlage, die zu ungewöhnlichen oder überdurchschnittlichen Leistungen auf einem Gebiet befähigt, oder (2.) Bereich, in dem eine Person mehr befähigt ist als in anderen. Genetische Komponenten von Talenten sind nicht loslösbar von sozialen Rahmenbedingungen; Talent kann verlorengehen.
Was ist ein Talent?
Als talentiert erkennen wir jemanden oft erst dann, wenn er oder sie herausragende Leistungen erbringt. Doch damit sich ein Talent entfalten kann, müssen die Voraussetzungen zu seiner Entfaltung gegeben und eine Person auch bereit sein, ihre Fähigkeiten zu fördern. Von der talentiertesten Physikerin, die keinen Zugang zu Bildung hat, wird eine Gesellschaft nie profitieren. Gleichsam wird es ein herausragender Fußballer nie zu Weltruhm schaffen, wenn er nicht trainiert.
Rahmenbedingungen und Lebensumstände entscheiden also maßgeblich darüber, ob ein Talent entdeckt und genutzt wird bzw. Möglichkeiten zur Entfaltung erfährt.
Talente müssen entdeckt und gefördert werden. Das kann nur gelingen, wenn Menschen von klein auf vielfältigste Möglichkeiten haben, ihre Talente zu erkunden, und entsprechende Rahmenbedingungen vorfinden, sie nach eigenem Willen zu entfalten.
Talent ist nicht messbar. Messbar ist der Erfolg, der sich aus einer individuellen Leistungsvoraussetzung und Leistungsbereitschaft zusammensetzt. Begabung und die Bereitschaft, daraus etwas zu machen, sind die eine Seite der (Gold-)Medaille. Die andere sind die Lebensumstände und Rahmenbedingungen. Beides zusammen entscheidet darüber, ob das Talent eines Menschen Früchte trägt oder verkümmert.
Auf die Menschen kommt es an
Die wichtigste Ressource, auf die wir in unserem Land zurückgreifen und zählen können, sind die Menschen mit ihren Fähigkeiten, Begabungen und Ideen. Wir haben keine seltenen Bodenschätze, wir sind kein Billiglohnland, doch wir haben Intellekt und Tatkraft, die es zu fördern gilt.
Das macht die Menschen zu unserem wichtigsten Gut. Wir müssen sie sorgsam und weitblickend, klug und effizient fördern, um ihnen und damit dem ganzen Land die beste Entwicklung zu ermöglichen. Lebenslanges Lernen (*Lebenslanges Lernen: Lernen als bleibende Herausforderung und Chance für persönliche Lebensgestaltung) ist dafür ein Schlüsselbegriff, doch bereits in der Schule muss ein Grundsatz verankert sein: Kein Kind soll eine Bildungsstätte verlassen, ohne zu wissen, wo seine Fähigkeiten und Talente liegen!
Damit Talente wachsen und sich entfalten können, brauchen sie ein positives, kreatives Umfeld und Freiräume. Und das auch innerhalb etablierter Systeme. Gerade auf lokaler Ebene und in kleinen Strukturen fördert die Bereitstellung solcher Freiräume das kreative Miteinander. So entsteht ein optimaler Nährboden für den erfolgreichen Umgang mit lokalen Herausforderungen.
Talente braucht das Land!
Jeder Mensch ist talentiert, hat Fähigkeiten, besondere Interessen, besondere Eignungen. Jede Geburt füllt deshalb unseren „Talente-Pool“ mit 100 Prozent. In den ersten Lebensjahren verlieren wir als Gesellschaft davon etwa ein Drittel. Es sind besondere Leistungsvoraussetzungen, die nie erkannt und/oder nie gefördert werden. Über die Schulzeit verlieren wir ein weiteres Drittel, indem wir Kinder und Jugendliche dazu zwingen, sich auf ihre Schwächen anstatt ihre Stärken zu konzentrieren oder sich Jugendliche durch Unwissenheit oder fehlende Möglichkeiten für weniger geeignete Schulformen oder Ausbildungsmöglichkeiten entscheiden. Von dem übrigen Drittel wird die Hälfte durch fehlende Rahmenbedingungen frustriert und zieht sich zurück, die andere Hälfte verlässt das Land und bringt ihre Fähigkeiten anderswo ein.
Damit sind wir beim „brain drain“ (* „brain drain“: Talenteschwund durch Abwanderung (volkswirtschaftlicher Verlust durch Abgang besonders gut Ausgebildeter)) und „brain gain“ (* „brain gain“: Volkswirtschaftlicher Gewinn durch Immigration). Denn das Rennen um die besten Köpfe hat längst begonnen. Wer als Region mithalten will, muss attraktive Rahmenbedingungen bieten (→ Standort). Für junge Talente stehen nämlich Verdienstmöglichkeiten nicht mehr an vorderster Stelle.
Durchschnitt ist ungerecht
Menschen in Österreich sind im Schnitt 42,2 Jahre alt, 171 cm groß und mit 74 kg leicht übergewichtig. Sie haben 0,72 Kinder, gehen 6,9 Mal pro Jahr zum Arzt und sind jährlich 13 Tage krank. Sie verzehren 66,4 kg Fleisch und 6,3 kg Schokolade pro Jahr, trinken täglich ein Seiterl Bier und alle neun Tage eine Flasche Wein. Pro Tag produzieren sie 1,63 kg Müll, verbrauchen 3,7 l Öleinheiten Energie, verbringen 172 Minuten vor dem Fernseher und rauchen 4,5 Zigaretten. Diese Durchschnittswerte mögen zwar für die Gesamtbevölkerung relevant sein, sagen über eine Einzelperson aber wenig aus. Denn den exakten „Durchschnitts-Menschen“ gibt es nicht.
Erklärt man einen Durchschnittswert zum erstrebenswerten Ziel für ein Individuum, begibt man sich in die Durchschnittsfalle. Wer sich an Mittelwerten orientiert, übersieht das Potenzial der Verbesserung. Das ist nur insofern gerecht, als dadurch allen gleichermaßen die Chance auf eine bessere Zukunft genommen wird.
Die Besessenheit von statistischen Werten verhindert mitunter den Blick auf das Wesentliche: jene Bereiche, in denen es keine Messlatten gibt. Und allzu oft ist gerade das Ungemessene, Unmessbare und Unberechenbare entscheidend im Leben.
Fehler gehören dazu
„Bloß keine Fehler machen!“ So lautet die Devise in Österreich, die bereits jedem Kindergartenkind eingebläut wird. Fehler sind schlecht, sie werden rot markiert, angeprangert und persönlich genommen.
„Fehler sind eine Chance!“, sollte es heißen. Denn jeder Fehler ist eine Möglichkeit, etwas zu lernen und sich zu verbessern. Wer aktiv und unternehmerisch denkt und handelt, scheut nicht davor zurück, Fehler zu machen, denn sie sind Zeugnis von Tatkraft und Lebendigkeit.
„Wir müssen Vielfalt als Chance begreifen.“ – Paul Zulehner
Wer nur auf das Ergebnis schaut, möchte glauben, dass Erfolgsgeschichten geradlinig nach oben zeigen. Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall: Viele kleine positiv bewältigte Misserfolge können am Ende für einen großen Erfolg stehen. Frei nach dem Motto: Versuche, das nächste Mal noch besser zu scheitern! „Fail better next time!“
Wie lässt sich das kulturell verankern? Mit einer positiven Feedbackkultur und ausreichenden Freiräumen, Fehler machen zu dürfen und daraus gestärkt hervorzugehen. Das macht resilient und krisensicher.
Mehr Freaks für die Zukunft
Die Natur macht es uns vor: Vielfalt und Verschiedenheit sichern die Überlebenschancen einer Spezies. Wir werden mit Ungleichheiten geboren, damit wir – in der Vielfalt unserer Verschiedenheit – den künftigen Herausforderungen erfolgreich begegnen können. Das mag zunächst ungerecht wirken, doch wenn alle anders sind, ist auch jede und jeder besonders.
Der kulturell vorgegebene Anpassungsdruck, möglichst „normal“, unauffällig und konform durch das Leben zu schreiten, macht uns unglücklich. Vielmehr sollte jedoch gelten, dass Verschiedenheit und Andersartigkeit eben gelebt werden müssen, um auch gesamtgesellschaftlich erfolgreich zu sein.
„Wir brauchen Peaks und Freaks!“ – Markus Hengstschläger
Denn so verrückt es klingen mag: Rulebreaker und Querdenker verleihen einem System die Stabilität und Sicherheit, um Herausforderungen standzuhalten.
Individualität, Flexibilität und Vielfalt sind also der Schlüssel für die Zukunft. Erst durch weniger Durchschnittshörigkeit und die Förderung individueller Lösungskompetenzen entstehen Gemeinschaften, auf die man bauen kann.