Es ist sehr schwierig, jüngere Leserinnen und Leser für die Zeitungslektüre zu gewinnen, weil die Meinungsmache war „wer Zeitung liest, ist technologisch nicht auf dem neuesten Stand“. Aber heutzutage sehen wir, dass die Zeitung auch Vorteile hat. Zum Beispiel habe ich Expertinnen und Experten, Journalistinnen und Journalisten, die für mich kuratieren und abwägen, ob eine Quelle ernst zu nehmen oder ein Thema wichtig und relevant ist. Online erhalten Sie Informationen im Rohzustand. Sie müssen sie selbst zusammenstellen und herausfinden, was eine gute oder schlechte Quelle ist. Man ist mit vielen Meinungen konfrontiert, einige davon sind gut durchdacht, andere völlig unverantwortlich. Und einige davon sind nicht wirklich Meinungen, sondern eher Propaganda.
DIE MENSCHEN MÜSSEN DAS INTERNET UND DIGITALE TECHNOLOGIEN VERSTEHEN LERNEN.
Was Kinder lernen sollen, das ist die erste Frage, die beantwortet werden muss. Ich glaube, was die Leute wirklich über das Internet verstehen müssen, ist, wie man es benutzt, um gehaltvolle Information zu erhalten. Das bedeutet, dass man selbst einige Sachen wissen muss, um sinnvolle Recherchen durchzuführen. Ich denke, die Leute müssen im Lesen und Schreiben gut fundiert sein. Es gibt verschiedene Theorien, wie man das am besten erreichen kann, aber meines Erachtens ist das Schreiben mit der Hand weiterhin wichtig für die Entwicklung des Gehirns.
Es gab diese „Stavanger-Erklärung“ von mehr als 130 Expertinnen und Experten zur Erforschung des Lesens. Hirnforscher, Sprachwissenschafter, fortschrittliche Menschen kamen zu dem Schluss, dass lange Texte schwieriger zu erfassen, zu verstehen und zu verinnerlichen sind, wenn man sie auf einem Bildschirm liest; es ist einfacher, wenn man sie auf Papier hat und Dinge unterstreichen oder notieren kann. Es scheint sich auf bessere Weise mit dem Gehirn zu verbinden.
Die grundlegendste Gefahr beim Online-Lesen ist, dass man mehr von dem bekommt, wonach man sucht, aber dazu neigt, sich Gegenmeinungen oder völlig fremde Gedanken nicht anzuschauen. Die Zeitung besteht dagegen aus einem Bündel von seltsamen und manchmal erstaunlichen Dingen, man entscheidet sich für den Titelbericht auf der ersten Seite, begegnet aber auch in einem anderen Teil einer unerwartet spannenden Geschichte.
Unsere Online-Leserschaft tendiert manchmal dazu, etwas extremistischer zu sein. Man kann immer noch anonym kommentieren, und das scheint mit den Menschen etwas Entsetzliches zu machen. Sie fangen an, schreckliche Dinge zu sagen und Meinungen zu äußern, die sie von Angesicht zu Angesicht nie aussprechen würden.
Ich wurde für mein skeptisches Buch Klick damals andauernd angegriffen. Die Leute sagten: „Ah, sie versteht das überhaupt nicht“. Ich wollte nur die Schwierigkeiten ansprechen, aber niemand wollte zu dem Zeitpunkt von Problemen hören. Jetzt, denke ich, ändert es sich, weil die Leute erkennen, was die großen Technologieunternehmen mit unseren Daten machen. Die Leute erkennen langsam, dass man nichts umsonst haben kann.
Ich sehe nicht, dass irgendeine Technologie davon ausgenommen werden kann, Gegenstand politischer Entscheidungen zu sein, denn der Souverän ist das Volk, der Souverän sind die Bürgerinnen und Bürger. Und ich sehe keinen Grund, warum das vorbei sein sollte. Wir müssen für die Souveränität des Volkes kämpfen, bis wir sterben.
Die Plattformen verdienen viel Geld mit Artikeln, die Journalistinnen und Journalisten schreiben, sind aber nicht bereit, dafür zu bezahlen. Man würde nie sagen, dass ein Anwalt oder Ökonom umsonst arbeiten sollte. Ich bestreite, dass wir nach diesem Modell einen verantwortungsvollen Journalismus betreiben können, der die Demokratie am Leben erhält. Deshalb brauchen wir einen für dieses Zeitalter angemessenen Journalismus.
VITA
Dr. Susanne Gaschke ist deutsche Journalistin und Publizistin und beschäftigt sich dabei u.a. mit gesellschaftlichen Themen wie Digitalisierung, Manieren oder Erziehung und kommentiert das aktuelle politische Geschehen. Sie studierte Anglistik, Pädagogik und Öffentliches Recht und promovierte mit einer Dissertation über Kinderliteratur.
Bereits während des Studiums war Susanne Gaschke politisch aktiv. Nachdem Sie von 1997 bis 2012 als Redakteurin im Politikressort der Wochenzeitung „Die Zeit“ tätig war, wurde sie 2012 zur Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Kiel gewählt. Nach 10 Monaten legte sie das Amt wieder zurück. Seit 2015 schreibt sie für „Die Welt“ und „Die Welt am Sonntag“. Susanne Gaschke ist eine vielseitige Autorin mehrerer Sachbücher zu unterschiedlichen Themen. Unter anderem skizziert sie mit ihrem 2009 erschienenen Buch Klick „Strategien gegen die digitale Verdummung“ und ruft zu einem Umdenken im Umgang mit digitalen Medien auf.
Sie selbst sagt von sich, sie sei keine Freundin der total vernetzten Welt und das Internet sei zwar in vielerlei Hinsicht segensreich, aber in vielen Bereichen auch ein Verstärker von Hass, Fake News und grobem Unfug. Ihr Motto lautet dementsprechend: analog statt digital.