Susanne Gaschke: Es gibt kein zweierlei Recht

Das Interview beim Symposium 2019 zusammengefasst von Dr. Melinda Crane

Es ist sehr schwierig, jün­gere Leserin­nen und Leser für die Zeitungslek­türe zu gewin­nen, weil die Mei­n­ungs­mache war „wer Zeitung liest, ist tech­nol­o­gisch nicht auf dem neuesten Stand“. Aber heutzu­tage sehen wir, dass die Zeitung auch Vorteile hat. Zum Beispiel habe ich Exper­tin­nen und Experten, Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten, die für mich kuratieren und abwä­gen, ob eine Quelle ernst zu nehmen oder ein The­ma wichtig und rel­e­vant ist. Online erhal­ten Sie Infor­ma­tio­nen im Rohzu­s­tand. Sie müssen sie selb­st zusam­men­stellen und her­aus­find­en, was eine gute oder schlechte Quelle ist. Man ist mit vie­len Mei­n­un­gen kon­fron­tiert, einige davon sind gut durch­dacht, andere völ­lig unver­ant­wortlich. Und einige davon sind nicht wirk­lich Mei­n­un­gen, son­dern eher Propaganda.

DIE MENSCHEN MÜSSEN DAS INTERNET UND DIGITALE TECHNOLOGIEN VERSTEHEN LERNEN.

Was Kinder ler­nen sollen, das ist die erste Frage, die beant­wortet wer­den muss. Ich glaube, was die Leute wirk­lich über das Inter­net ver­ste­hen müssen, ist, wie man es benutzt, um gehaltvolle Infor­ma­tion zu erhal­ten. Das bedeutet, dass man selb­st einige Sachen wis­sen muss, um sin­nvolle Recherchen durchzuführen. Ich denke, die Leute müssen im Lesen und Schreiben gut fundiert sein. Es gibt ver­schiedene The­o­rien, wie man das am besten erre­ichen kann, aber meines Eracht­ens ist das Schreiben mit der Hand weit­er­hin wichtig für die Entwick­lung des Gehirns.

Es gab diese „Sta­vanger-Erk­lärung“ von mehr als 130 Exper­tin­nen und Experten zur Erforschung des Lesens. Hirn­forsch­er, Sprach­wis­senschafter, fortschrit­tliche Men­schen kamen zu dem Schluss, dass lange Texte schwieriger zu erfassen, zu ver­ste­hen und zu verin­ner­lichen sind, wenn man sie auf einem Bild­schirm liest; es ist ein­fach­er, wenn man sie auf Papi­er hat und Dinge unter­stre­ichen oder notieren kann. Es scheint sich auf bessere Weise mit dem Gehirn zu verbinden.

Die grundle­gend­ste Gefahr beim Online-Lesen ist, dass man mehr von dem bekommt, wonach man sucht, aber dazu neigt, sich Gegen­mei­n­un­gen oder völ­lig fremde Gedanken nicht anzuschauen. Die Zeitung beste­ht dage­gen aus einem Bün­del von selt­samen und manch­mal erstaunlichen Din­gen, man entschei­det sich für den Titel­bericht auf der ersten Seite, begeg­net aber auch in einem anderen Teil ein­er uner­wartet span­nen­den Geschichte.

Unsere Online-Leser­schaft tendiert manch­mal dazu, etwas extrem­istis­ch­er zu sein. Man kann immer noch anonym kom­men­tieren, und das scheint mit den Men­schen etwas Entset­zlich­es zu machen. Sie fan­gen an, schreck­liche Dinge zu sagen und Mei­n­un­gen zu äußern, die sie von Angesicht zu Angesicht nie aussprechen würden.

Ich wurde für mein skep­tis­ches Buch Klick damals andauernd ange­grif­f­en. Die Leute sagten: „Ah, sie ver­ste­ht das über­haupt nicht“. Ich wollte nur die Schwierigkeit­en ansprechen, aber nie­mand wollte zu dem Zeit­punkt von Prob­le­men hören. Jet­zt, denke ich, ändert es sich, weil die Leute erken­nen, was die großen Tech­nolo­gie­un­ternehmen mit unseren Dat­en machen. Die Leute erken­nen langsam, dass man nichts umson­st haben kann.

Ich sehe nicht, dass irgen­deine Tech­nolo­gie davon ausgenom­men wer­den kann, Gegen­stand poli­tis­ch­er Entschei­dun­gen zu sein, denn der Sou­verän ist das Volk, der Sou­verän sind die Bürg­erin­nen und Bürg­er. Und ich sehe keinen Grund, warum das vor­bei sein sollte. Wir müssen für die Sou­veränität des Volkes kämpfen, bis wir sterben.

Die Plat­tfor­men ver­di­enen viel Geld mit Artikeln, die Jour­nal­istin­nen und Jour­nal­is­ten schreiben, sind aber nicht bere­it, dafür zu bezahlen. Man würde nie sagen, dass ein Anwalt oder Ökonom umson­st arbeit­en sollte. Ich bestre­ite, dass wir nach diesem Mod­ell einen ver­ant­wor­tungsvollen Jour­nal­is­mus betreiben kön­nen, der die Demokratie am Leben erhält. Deshalb brauchen wir einen für dieses Zeital­ter angemesse­nen Journalismus.

VITA

Dr. Susanne Gaschke ist deutsche Jour­nal­istin und Pub­lizistin und beschäftigt sich dabei u.a. mit  gesellschaftlichen The­men wie Dig­i­tal­isierung, Manieren oder Erziehung und kom­men­tiert das aktuelle poli­tis­che Geschehen. Sie studierte Anglis­tik, Päd­a­gogik und Öffentlich­es Recht und pro­movierte mit ein­er Dis­ser­ta­tion über Kinderliteratur.

Bere­its während des Studi­ums war Susanne Gaschke poli­tisch aktiv. Nach­dem Sie von 1997 bis 2012 als Redak­teurin im Poli­tikres­sort der Wochen­zeitung „Die Zeit“ tätig war, wurde sie 2012 zur Ober­bürg­er­meis­terin der Lan­deshaupt­stadt Kiel gewählt. Nach 10 Monat­en legte sie das Amt wieder zurück. Seit 2015 schreibt sie für „Die Welt“ und „Die Welt am Son­ntag“. Susanne Gaschke ist eine viel­seit­ige Autorin mehrerer Sach­büch­er zu unter­schiedlichen The­men. Unter anderem skizziert sie mit ihrem 2009 erschiene­nen Buch Klick „Strate­gien gegen die dig­i­tale Ver­dum­mung“ und ruft zu einem Umdenken im Umgang mit dig­i­tal­en Medi­en auf.

Sie selb­st sagt von sich, sie sei keine Fre­undin der total ver­net­zten Welt und das Inter­net sei zwar in viel­er­lei Hin­sicht segen­sre­ich, aber in vie­len Bere­ichen auch ein Ver­stärk­er von Hass, Fake News und grobem Unfug. Ihr Mot­to lautet dementsprechend: ana­log statt digital.