Kein medizinisches Fach wächst gegenwärtig so rasant wie die medizinische Genetik. Und das mit gutem Grund. Wir können uns in den kommenden Jahren einige Innovationen aus diesem Bereich erwarten, die die Genetik von einem diagnostischen zu einem therapeutischen Fach werden lassen und medizinisch völlig neue Möglichkeiten eröffnen. Dazu zählen v.a. drei Bereiche:
Gen-Analyse
Vor fünfzehn Jahren, als im Rahmen des Human Genome Projects erstmals die Sequenzierung – also die Entschlüsselung der genauen Abfolge der DNA-Bausteine – eines Menschen gelang, war das noch ein Milliardenprojekt. Aber heute ist es bereits möglich innerhalb von ein oder zwei Tagen das gesamte Genom eines Menschen zu analysieren. Je nach Genauigkeit zu Kosten zwischen rund 2.000 bis 4.000 Euro. In einigen Jahren wird das vielleicht um einige hundert Euro beim Apotheker um die Ecke möglich sein.
Es gibt rund 4000 bis 5000 monogenetische Erkrankungen. Monogenetisch bedeutet, dass diese Krankheiten von jeweils einem einzelnen Gen verursacht werden. Wenn früher z.B. ein Kind mit einer genetisch bedingten neurologischen Erkrankung ins Krankenhaus kam, wusste man nicht um welche Krankheit es sich genau handelt. Dann wurde langsam ein Gen nach dem anderen analysiert. Jetzt kann in kürzester Zeit das gesamte Erbgut untersucht werden. Und wenn so die eindeutige monogenetische Ursache der Erkrankung gefunden wird, ist auch viel öfter eine Behandlung mit Medikamenten möglich, die gezielt nur bei dieser einen genetischen Veränderung wirken.
Beispiele für Gentests gibt es schon in der Tumortherapie: So erhalten nur Brustkrebspatientinnen mit einer ganz speziellen Genmutation etwa – HER2/neu – das Medikament Herceptin. Gibt man es anderen Brustkrebspatientinnen, löst es starke Nebenwirkungen aus – und es führt zu nichts.
Stammzellentherapie
Durchbrüche bei der Stammzellenforschung der letzten Jahre, lassen auf Großes hoffen. Seit längerem werden Blutstammzellen gegen die Leukämie eingesetzt. Worum es aber aktuell in der Forschung geht, ist Stammzellen zum Beispiel zur Reparatur von Organschäden einzusetzen. So gibt es Studien mit einer seltenen Form von Netzhautleiden, bei denen den Patienten Netzhautzellen in die Augen injiziert wurden. Solche Zellen können aus Stammzellen gewonnen werden, da Stammzellen noch die Fähigkeit haben, sich in jeden Zelltyp weiterzuentwickeln. Solche Stammzellen können von der jeweiligen Person, von Embryos oder aus dem Fruchtwasser stammen.
Das Problem war bisher, dass sich relativ viele Nebenwirkungen gezeigt haben, darunter häufig ein erhöhtes Krebsrisiko. Auch dank Forschungen am Institut für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien kennt man jetzt aber die Signale, die Stammzellen an den Körper aussenden – und man kann diese auch blockieren. Dadurch kann ein Großteil der Nebenwirkungen unterbunden werden. Das wird künftig sicher zu einem breiteren Einsatz von Stammzellen führen. Teilweise geht die Richtung sogar dahin, dass ganze menschliche Organe aus Stammzellen gezüchtet werden sollen – sozusagen als Ersatzteile für bestehende Organe.
Gentherapien
Neue Technologien wie die Genschere CRISPR-Cas9 ermöglichen vielleicht bald Heilungsmöglichkeiten für besonders seltene genetische Erkrankungen. Besonders die von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2012 entdeckte „Gen-Schere” CRISPR-Cas9 ist einer der größten Durchbrüche in der Genetik. Bei den monogenetischen Erkrankungen, die nur durch ein Gen verursacht werden, könnte es damit sogar möglich werden, die krankmachende Genvariante auszuschneiden – und durch eine gesunde zu ersetzen. Diese Möglichkeiten werden derzeit weltweit intensiv untersucht.
Zur Person
Markus Hengstschläger ist wissenschaftlicher Leiter von ACADEMIA SUPERIOR und Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien.