Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf das soziale Gefüge? Und welche Rolle spielen dabei die Medien? Diese und weitere Fragen diskutierten ACADEMIA SUPERIOR und der Verein Frauen in Trend bei einem weiteren women4future RoundTABLE. Ziel der Kooperation ist es, mit mutigen Frauen aus Oberösterreich ins Gespräch zu kommen und damit andere zu ermutigen. Als Gesprächspartnerinnen waren Dr. Mathilde Schwabeneder, bis vor Kurzem Leiterin der ORF-Außenstelle in Rom, und die Geschäftsführerin des Diakonie Zentrums Spattstraße, Mag.(FH) Andrea Boxhofer, zu Gast.
Die Sozialexpertin Boxhofer steht mit den Angeboten ihrer Organisationen jenen Familien zur Seite, die sich so schon am Rand der Gesellschaft bewegen und zeigte sich besorgt: „Ich beobachte durch die Pandemie eine Verschärfung der sozialen Schieflage in Österreich“. Dies betreffe nicht nur die ökonomisch-materielle Ebene, sondern habe auch eine psychologische Dimension und drückt sich für die betroffenen Menschen in einem Mangel an Möglichkeiten aus. Boxhofer strich jedoch auch hervor, dass die Problematik in Österreich schnell erkannt und durch Sonderfördertöpfe oder die Bereitstellung von digitalen Endgeräten für betroffene Familien etwas entschärft wurde.
Mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrung führt zu geringer Unsicherheitstoleranz
Dieser „Mangel an Möglichkeiten” betrifft in der Pandemie breitere Bevölkerungskreise auch auf andere Weise: die fehlenden Möglichkeiten, „Selbstwirksam zu sein” sind für Boxhofer ein prägendes Erlebnis für die große Mehrheit der Menschen in der Pandemie. Aus dem Umstand, dass man scheinbar wenig von sich aus zur Überwindung der Situation beitragen kann, ergibt sich bei vielen Menschen eine geringere Unsicherheitstoleranz (Fähigkeit mit zukünftigen Unsicherheiten umzugehen). Die Sozialen Medien erweisen sich für Boxhofer, als einer der primären Kanäle, wo die Menschen den Druck dieser Unsicherheit psychologisch abbauen, indem sie (ungeprüft) Behauptungen zur Pandemie verbreiten oder ihren Emotionen freien Lauf lassen.
Soziale Medien sind Kanäle, in denen man sich selbst, eine vermeintliche Selbstwirksamkeit demonstrieren kann, indem man alles Mögliche — ungeprüft — rauslässt. — Andrea Boxhofer
Die Sozialexpertin verwies darauf, dass man die Unsicherheitstoleranz eines Menschen in jungen Jahren fördern kann, indem man Kindern möglichst früh und möglichst oft ermöglicht, selbst Pläne zu schmieden und diese Vorhaben selbstbestimmt anzugehen. Wer früh lernt, dass er etwas umsetzen und bewirken kann, der setzt sich auch als Erwachsener leichter in Bewegung und findet Wege, wie er oder sie zur Lösung eines Problems beitragen kann.
Die Journalistin Mathilde Schwabeneder, die jüngst ein Buch über den Kampf der Frauen gegen die Mafia in Italien veröffentlicht hat, berichtet im Vergleich dazu von ihren Beobachtungen im Ausland: „In Süditalien haben Mafiaclans die durch die Ausnahmesituation bei vielen Menschen entstandenen finanziellen Probleme schnell erkannt und die Leute mit Geld, Essen oder zum Beispiel Gütern wie Windeln versorgt. Davon erhoffen sich die Clans natürlich langfristig Sympathien und, dass sich die Menschen bei den nächsten Wahlen für ihre Vertreter entscheiden“.
Mit Sprache aufmerksam umgehen
Für die alltägliche und journalistische Sprache im Zusammenhang mit sozialen Phänomenen wünschte sich Andrea Boxhofer allgemein mehr Sensibilität: „Die Sprache beeinflusst stark unsere Einstellungen und unser Handeln“, macht sie ihren Punkt am Beispiel der Begriffe Sozialhilfe und Mindestsicherung fest. „Mindestsicherung“ transportiere die Vorstellung, dass das Mindeste, was man zum Leben braucht, abgedeckt wird; eben etwas, das für jede und jeden selbstverständlich sein sollte. Das Wort „Sozialhilfe“ vermittle den Eindruck, dass man etwas geschenkt bekommt, um das man bittstellend ansuchen muss. „Das macht für die Betroffenen einen großen Unterschied“, weiß Boxhofer zu berichten.
Große Achtsamkeit im Umgang mit der Sprache und den Fakten mahnt Mathilde Schwabeneder auch von ihren Kolleginnen und Kollegen ein. Denn was im Radio, in der Zeitung, im Fernsehen oder aber auch in sozialen Medien veröffentlicht werde, wird von vielen Menschen unhinterfragt als Wahrheit akzeptiert. Die Journalistin zeigte sich beunruhigt: „Ich habe den Eindruck, dass viele klassische Medien immer mehr zu ‚Hofberichterstattern‘ werden und nicht mehr genug kritisch hinterfragen. Gleichzeitig existiert im Bereich der sogenannten sozialen Medien ein Wildwuchs. Die ungeprüfte Weitergabe von Meinungen dominiert“. Schwabeneder gibt dabei zu bedenken, dass das alleinige Kommunizieren von Fakten und Ereignissen im Zeitalter der Smartphones und sozialen Medien überholt sei. Zukunftsfähiger Journalismus muss den Dingen einen Kontext geben und den Menschen helfen, Ereignisse und Fakten einzuordnen.
Der mittlerweile 4. RoundTABLE war der erste, der online stattfand. „Was MUTmacherinnen auszeichnet, ist, dass sie anpacken, tun und offen sind für Neues“, sind die beiden Initiatorinnen Dr. Claudia Schwarz, Geschäftsführerin der Academia Superior, und Abg. zum NR a.D. Claudia Durchschlag, Obfrau des Vereins Frauen im Trend, überzeugt. Zuversichtlich zeigt sich auch LH-Stv. Mag. Christine Haberlander, Obfrau von Academia Superior: „Der vergangene Weltfrauentag hat wieder gezeigt, wie groß das öffentliche Interesse und der Bedarf an weiblichen Vorbildern ist. Die Gesprächsreihe leistet dazu einen kleinen aber wichtigen Beitrag“.