Vom glücklichen Zufall in der Wissenschaft und Kunst
Serendipität, also das Phänomen des zufälligen Entdeckens von Dingen, die man eigentlich nicht gesucht hatte, war Thema der dritten „Crossing Art & Science“-Veranstaltung in der Tabakfabrik Linz. Wissenschaftler*innen und Künstler*innen der Johannes Kepler Universität und der Kunstuniversität Linz sprachen über ihre Arbeit unter dem Blickwinkel des glücklichen Zufalls, ohne den so manche Forschungserfolge nicht stattfinden hätten könnten.
Die Veranstaltungsreihe „Crossing Art & Science“ findet als Kooperation des „Kraftwerk – Centre for Interdisciplinary Research, Art & Science“ (Projekt des Wissenstransferzentrums West mit JKU und Kunstuniversität in Kooperation mit der Tabakfabrik Linz) und der ACADEMIA SUPERIOR statt. Die Reihe bietet interdisziplinäre Einblicke in neue Forschungsthemen. „Mit einer Veranstaltung wie dieser nehmen wir die 3rd Mission der Universität wahr. Denn neben der Lehre und Forschung steht die Vermittlung und der Austausch mit der Gesellschaft im Vordergrund“, meinte DI Christopher Lindinger, MAS, Vizerektor für Innovation und ForscherInnen der JKU Linz, am Beginn des Abends. Und die Vizerektorin für Forschung der Kunstuniversität Linz, Univ.-Prof. Dr. Karin Harrasser, fügte hinzu: „Damit solche Begegnungen, bei denen Überraschendes in die Welt kommen kann, möglich sind, braucht es vor allem auch Zeit. Zeit, um einen Perspektivenwechsel einzunehmen und so auf Neues aufmerksam zu werden.“
Glückspilze
An Pilzen, die Holzabfälle in Materialien umwandeln können, die einmal als Ersatz für Kunststoffe wie Styropor eingesetzt werden sollen, forscht DI Dr. Robert Koeppe. Er ist Physiker in der Abteilung Physik weicher Materie an der Johannes Kepler Universität. Die Idee für dieses Thema kam ihm durch einen Waldspaziergang. Dabei fiel ihm ein alter Baum auf, der von Pilzen zersetzt wurde. Der Physiker war sofort begeistert von diesem eigentlich fachfremden Thema. „Man muss dem Zufall Raum geben, das Glück dann auch erkennen können, und aus diesem glücklichen Zufall mit intensiver Arbeit etwas entstehen lassen“, meinte Koeppe, der sich gerne in der Natur aufhält und in seiner Freizeit Impro-Theater spielt.
Zufälle begünstigen
„Gute Design- und Innovationsprozesse bauen den Zufall bewusst ein“, betonte Univ.-Prof. Mag.art. Elke Bachlmair. Sie ist Designerin an der Abteilung für Industrial Design an der Kunstuniversität Linz und arbeitet im Designprozess mit dem Prinzip des geplanten Zufalls: nach einer Phase der intensiven Beschäftigung mit einem Thema wird ein Perspektivenwechsel eingeplant. Dabei blickt ein Designer neugierig auf andere Bereiche und öffnet sich für Impulse von außen. „Diese Neugierde ist die Basis für glückliche Zufälle. Der Zufall, dem man aufmerksam begegnet, ist ein mächtiges und bewährtes Werkzeug in der Innovationsentwicklung“, findet Bachlmair.
Die Geschichte fällt uns zu
„Unser Bild von der Geschichte ist stark von Zufällen geprägt“, weiß em. o. Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber. Der Historiker leitete viele Jahre das Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz und berichtet aus seiner Erfahrung: „In Wirklichkeit hängt es meist schon nur vom Zufall ab, welches Quellenmaterial die Zeit überhaupt überdauert und uns überliefert ist.“ So basierte etwa Sandgrubers Buch über Millionäre in der Habsburgermonarchie wesentlich auf einer Liste der reichsten Einkommensbezieher in Niederösterreich und Wien aus dem Jahr 1910. Die Liste, die eigentlich eine persönliche Notiz eines Ministers war, fand er bei anderen Archivakten aus dieser Zeit. „So eröffnen zufällige Archivfunde manchmal gänzlich neue Perspektiven auf ein Thema“, meinte Sandgruber.
Ein Schwarm Fliegen
In ihre Arbeit zur Programmierung von künstlichen digitalen Lebewesen lässt sie bewusst auch dem Zufall Platz. Erst dadurch werden die Ergebnisse realistischer. Univ.-Prof. Dr. Christa Sommerer ist Medienkünstlerin an der Abteilung für Interface Cultures an der Kunstuniversität Linz. Sie gilt als eine Pionierin der interaktiven Kunst. Bei ihrem wohl bekanntesten Projekt „Portrait on the Fly“ formt ein Schwarm von 10.000 auf einem Bildschirm simulierten Fliegen, ein Abbild der Person, die vor dem Bildschirm steht – und formt sich sofort neu, sobald man sich bewegt. Die Idee dazu entsprang einem Zufall: „In unserem Wintergarten starben viele Fliegen, wir wollten ihnen sozusagen ein Denkmal setzen. Diese Inspiration brachte uns schließlich zu diesem Projekt, das international sehr erfolgreich ist“, erzählte Sommerer.
Im Anschluss an die vier Inputs gab es einen regen Austausch zwischen dem Publikum und den anwesenden Forscher*innen und Künstler*innen über Serendipität in Wissenschaft, Kunst und als Lebensmotto.