Wolf Wondratschek war Experte beim heurigen SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM „Wo beginnt, wo endet Freiheit?” in Gmunden.
Wolf Wondratschek im Interview:
Wenn man an Freiheit und das Schreiben denkt, möchte man glauben, es sei pures Vergnügen, ein Schriftsteller zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist der härteste Job: Den richtigen Satz zu finden. Das richtige Wort zu finden. Die Musik zu finden, in der man schreibt. Letztlich die Wahrheit zu finden; das zu finden, worum es geht. In einem seiner Briefe schreibt Gustav Flaubert, „Einen Monat lang habe ich ein Wort gesucht.“ Klingt das nach Spaß?
Schreiben ist ein Monolog mit sich selbst und ein Kampf mit dem Unmöglichen. Man macht es für etwas, das wir Kunst nennen.
Als ich neulich beim Einschlafen über Freiheit nachgedacht habe, sind mir folgende Gedanken gekommen: Niemand entscheidet frei, „besser nicht geboren zu werden“. Niemand entscheidet frei, wer seine Mama und sein Papa sind und die sozialen Umstände, in die man geboren wird. Niemand ist frei in dem, was wir „Schicksal“ nennen. Niemand ist frei zu entscheiden, was einen antreibt oder was einen stoppt. Niemand ist frei von der Angst, zu versagen. Niemand ist frei in einer Welt, die von Geld regiert wird. Es ist also niemand frei. Und ein „Niemand“ zu sein ist die perfekte Existenz für einen Schriftsteller.
Will nichts besitzen, sei besessen.
Um zu schreiben, muss ich alleine sein, ein Einzelgänger. Es dauert zweieinhalb Jahre, einen Roman zu schreiben. Kein Fernsehen, keine Zeitung, es besteht kein Grund zu wissen, was in der Welt der Politik vor sich geht. Ich muss die Trance, in der ich bin, erhalten. Das bedeutet, nicht von einer Ehefrau oder einem sozialen Leben abhängig zu sein. Da ist man einfach kein soziales Wesen.
Als Schriftsteller frei zu sein bedeutet, keine Ambitionen zu haben. Kein Streben nach Erfolg oder Geld oder danach, seinen eigenen Namen in der Zeitung zu lesen. Überlasse die Entscheidung über den Wert von dem, was du schreibst, der Zukunft – 100 Jahre von jetzt.
Auf der anderen Seite hatte ich Glück, als ich jung war. Ich veröffentlichte mein erstes Buch mit 27 und es war auf Anhieb ein Erfolg. Der berühmteste deutsche Kritiker, Marcel Reich-Ranicki, schrieb eine ganzseitige Rezension in der Zeitung. Aber dann hatte ich ein Problem: Der Verlag wollte den nächsten Roman und zwar sehr schnell.
Ich habe mich dazu entschlossen, das nicht zu machen. Stattdessen begann ich, Gedichte zu schreiben. Gedichte waren einfacher für mich. Es dauerte nicht ein Jahr, bis eines fertig war; in einer guten Nacht konnte ich ein Gedicht schreiben. Aber ich traute mich nicht, sie meinem Verleger zu zeigen, weil der meinen nächsten Roman erwartete. So publizierte ich diesen winzig kleinen Gedichtband selbst. Ich bezahlte dafür, 800 Stück, die ich in meinem kleinen Koffer zur Buchmesse mitnahm.
Es war eine Art „Anti-Karriere“-Aktion, weil ich wusste, was die Leute sagen würden: „Oh mein Gott, er war vor zwei Jahren ein großer Star und jetzt ist er auf Drogen und er verkauft dieses kleine Gedichtbändchen? Armer Junge!“ Doch was passierte? Ich gab den Gedichtband schließlich einem Verlag, er kam in den Handel und innerhalb von einem Jahr verkaufte ich 200.000 Exemplare. Dann sagten die Leute, „Wondratschek ist sehr klug!“
Das ist auch eine Lektion zur Freiheit. Egal was du tust, es gibt immer einen Journalisten, der dich umbringen will oder dir ein Klischee umhängt, das dich erwürgt. Am Ende des Tages, auch in einer Diktatur, wird immer irgendwo ein Stift und ein Papier und ein leerer Raum sein, und eine Kerze, um etwas niederzuschreiben. Das ist genug. Du brauchst die Industrie nicht. Du brauchst den Ruhm nicht. Du brauchst es nicht „jemand zu sein”. Dann hast du die Freiheit.
Zur Person:
Der gebürtige Deutsche wuchs in Karlsruhe auf und studierte Literaturwissenschaften, Philosophie und Soziologie unter anderem bei Hans Georg Gadamer und Theodor W. Adorno.
Wolf Wondratschek gilt als absoluter Freigeist, vor allem seine literarischen Anfänge zeichneten sich durch eine gesellschaftskritische Haltung aus. Der Schriftsteller startete seine Karriere mit den Büchern „Früher begann der Tag mit einer Schußwunde“ und „Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will“. Wondratschek schrieb viele verschiedene Textsorten, nach seinem Umzug nach Wien (1996) konzentrierte er sich vor allem auf Erzählungen und Romane.
Viele seiner Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt, der Gedichtzyklus „Das Mädchen und der Messerwerfer“ wurde 2014 sogar als Ballett auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt.
Wondratschek ist preisgekrönter Schriftsteller, er erhielt bislang drei bedeutende Auszeichnungen, darunter den Literaturpreis der Wilhelm und Christine Hirschmann-Stiftung (2012).