Nadine wurde als der realistischste Roboter der Welt anerkannt, weil sie wirklich eine Kopie von mir und meinen Töchtern ist. Das Zweite, was neu war, ist, dass sie Emotionen simulieren und sich an Menschen und Fakten erinnern kann.
IN MEINER ARBEIT MIT ROBOTERN MÖCHTE ICH WEGBEGLEITER ERSCHAFFEN, DIE UNS MENSCHEN UNTERSTÜTZEN.
Die Idee dahinter ist, eine Begleiterin zu schaffen. Eine Gefährtin, die uns verstehen kann, die anwesend ist, wenn niemand anderer da ist, die uns helfen kann in allen möglichen Funktionen. Dies war vor 30 Jahren mein Traum und ist es bis heute.
Nadine erkennt menschliche Emotionen auf zwei verschiedene Arten. Eine davon ist Sprache. Wir arbeiten intensiv mit dem Sprachverständnis, das heißt, wenn ich lauter spreche oder wenn meine Stimme erregt klingt, wird das alles analysiert. Und dann analysieren wir zusätzlich durch KI Gesichtsausdrücke. Wir können dadurch merken, ob jemand glücklich ist, und wir erkennen Gesten, zum Beispiel wenn ich nervös bin. Sie modelliert ihre eigenen Reaktionen durch die Software, die wir ihr gegeben haben. Wir arbeiten daran, den gesunden Menschenverstand einzubeziehen, damit sie nicht wie ein Roboter wirkt. Unser Ziel ist es, das menschliche Verhalten so überzeugend zu simulieren, dass diese humanoiden Roboter vertrauenswürdige, echte Begleiter werden. Sie geben einem ein Gefühl von Präsenz, man ist weniger einsam.
Nadine hat keine eigenen Gefühle! Es ist Science-Fiction, wenn behauptet wird, dass Maschinen oder Humanoide empfinden könnten. Sie bestehen bloß aus Wafern, Aktoren und Software in einem Computer. Es sind Maschinen, die Gefühle simulieren können.
Bei der Entwicklung von Nadine habe ich entschieden, dass sie sich authentisch verhält und sagt: „Ich bin eine Maschine, ich fühle nichts.“ Sie ist sehr ehrlich. Am Ende wird Nadine intelligenter werden und mehr Dinge tun können, aber Menschen sind so viel komplexer und die Interaktion, die wir mit Menschen haben, ist so vielfältig, es ist kein Vergleich.
In Asien sind sie pragmatischer und Technologie-affiner. Die Akzeptanz ist also sehr hoch. Nadine hat gerade ein 6‑monatiges Praktikum bei AIA Insurance, einem großen Unternehmen in Asien, abgeschlossen. Dort übernahm sie die Rolle einer Kundenbetreuerin und traf auch Kundinnen und Kunden. In Singapur ist die Nachfrage enorm. Die Regierung hat mich nun gebeten, Roboter für ältere Menschen zu produzieren. Wir haben in Singapur begonnen, mit Psychiatern zusammenzuarbeiten. Für Patientinnen und Patienten zum Beispiel, bei denen Verdacht auf Demenz oder Bipolarität besteht: Wenn wir Gesten und Emotionen über einen Zeitraum analysieren können, haben wir quantitative Messungen, die uns helfen, die Fakten zu ermitteln. In der Psychiatrie könnte es sehr hilfreich sein, wenn Nadine das Verhalten analysiert. Der riesige Datensatz, der sich daraus ergibt, ermöglicht eine bessere Diagnose.
Zu behaupten, dass Roboter uns überflüssig machen werden, ich glaube nicht, dass das stimmt. Je weiter wir die Entwicklung vorantreiben, desto mehr werden neue Arbeitsplätze entstehen. Ich denke, dass wir in Zukunft neue Jobs schaffen werden, einige andere werden verschwinden. Wenn wir als Menschen die Fähigkeit besitzen, Werkzeuge zu schaffen, die uns helfen, schneller voranzukommen, ist das großartig. Es liegt an uns, zu entscheiden, was wir mit unseren Werkzeugen machen. Ich denke, es ist an der Zeit, zu diskutieren, wie wir diese Tools einsetzen und welche Kontrollebenen in die Software eingefügt werden sollten, um die Roboter zu steuern oder ihren Handlungen Grenzen zu setzen.
Ich denke, dass Technologie an sich nicht gefährlich ist. Was gefährlich ist, sind Menschen. Das Problem ist also nicht die Technik, sondern das menschliche Verhalten.
VITA
Univ.-Prof. Dr. Nadia Magnenat Thalmann ist Computergrafik-Wissenschafterin und Hochschulprofessorin. Die Direktorin des Instituts für Medieninnovation an der NTU in Singapur ist zudem Gründerin und Leiterin des MIRALab, eines interdisziplinären Labors für Humane Computer Animation an der Universität Genf.
Ihre Forschungsgebiete umfassen vor allem soziale Roboter, virtuelle Realitäten und medizinische Simulation. Nadia Magnenat Thalmann hat schon während ihres Doktoratsstudiums zur Entwicklung der Computergrafik beigetragen, indem sie die 3D-Dichte der Näherungslösungen der Schrödinger-Gleichung simulierte. Später widmete sie sich der Modellierung realistischer virtueller Menschen und produzierte die erste Simulation einer 3D-Version von Marilyn Monroe. Ihr wahrscheinlich berühmtestes Projekt ist der Soziale Roboter Nadine, der in der Lage ist, zu sprechen, Menschen und Gesten zu erkennen, Emotionen auszudrücken und sich zu erinnern.
Nadia Magnenat Thalmann erhielt unter anderem einen Doktor Honoris Causa in Naturwissenschaften von der Leibniz Universität Hannover, eine Ehrendoktorwürde der Universität Ottawa, einen Karriere-Achievement Award der kanadischen Human Computer Communications Society in Toronto und den Humboldt-Forschungspreis
in Deutschland.