Am Abend des 7. Novem­ber 2024 fand im Kepler Uni­ver­sität­sklinikum in Linz der 13. MUT.Talk zum The­ma „Die Gesund­heit ist weib­lich!?“ statt. Die Ver­anstal­tung, organ­isiert vom Frauen­net­zw­erk MUT­macherin­nen und dem Think Tank ACADEMIA SUPERIOR, wid­mete sich einem hochak­tuellen The­ma: der Bedeu­tung geschlechter­spez­i­fis­ch­er Unter­schiede in der Medizin.

Frauenspezifische Schmerz- und Krebstherapien im Fokus

Weltweit lei­det jed­er fün­fte Men­sch unter chro­nis­chen Schmerzen, die Mehrzahl davon sind Frauen. Seit Jahren zeigen Stu­di­en, dass Schmerz- und Kreb­s­ther­a­pi­en bei Män­nern und Frauen unter­schiedlich wirken. Frauen haben oft eine stärkere Immu­nant­wort und eine höhere Medika­mentenein­wirkung, während Män­ner Medika­mente schneller abbauen. Auf diese wis­senschaftlich abgesicherten Unter­schiede wird derzeit bei Ther­a­pi­en zu wenig Rück­sicht genom­men. Eine ähn­liche The­matik beste­ht auch in der Tumor­biolo­gie, bei der unter­schiedliche Immunreak­tio­nen und die Kör­perzusam­menset­zung zu verän­derten Medika­menten­wirkun­gen führen. Entwick­lung und flächen­deck­ende Umset­zung von geschlech­ersspez­i­fis­chen Ther­a­pi­en sind daher entschei­dend, um die Behand­lungswirk­samkeit zu max­imieren und Neben­wirkun­gen zu minimieren.

Ärztinnen im Aufschwung: Medizin wird zunehmend weiblich

Der Trend zeigt: Die Medi­zin wird weib­lich­er. Dies spiegelt sich auch in der Umbe­nen­nung zur „Ärztin­nen- und Ärztekam­mer“ in Vorarl­berg und Niederöster­re­ich wider. Um die Zukun­ft der Gesund­heitsver­sorgung zu sich­ern, müssen struk­turelle Hür­den abge­baut und die beru­fliche Entwick­lung von Ärztin­nen gezielt gefördert wer­den. Öster­re­ich ste­ht vor ein­er dop­pel­ten Her­aus­forderung: Fast die Hälfte der niederge­lasse­nen Ärztin­nen und Ärzte wird in den näch­sten zehn Jahren in den Ruh­e­s­tand gehen, während jährlich 938 neue Ärztin­nen und Ärzte benötigt wer­den, um den aktuellen Ver­sorgungs­stand zu hal­ten. Die Förderung von Ärztin­nen wird somit immer wichtiger, um die Zukun­ft des Gesund­heitssys­tems zu sich­ern. Über 100 Inter­essierte, darunter zahlre­iche Opin­ion Leader aus dem Gesund­heits­bere­ich, fol­gten der Ein­ladung und beteiligten sich an der angeregten Diskussion.

ACADEMIA SUPERIOR und MUTmacherinnen stellen Patientinnen und Ärztinnen in den Vordergrund

In sein­er Begrüßung betonte Mag. Clemens Zier­ler, Geschäfts­führer der ACADEMIA SUPERIOR, wie wichtig es sei, die Medi­zin zukun­ft­sori­en­tiert zu denken und um eine geschlechtsspez­i­fis­che Per­spek­tive zu erweit­ern. „Entschei­dend ist, dieses The­ma aus dem Expertenkreis her­aus in einen bre­it­en gesellschaftlichen Diskurs zu über­führen, um zu tragfähi­gen Lösun­gen zu kom­men“, so Zier­ler. Daniela Huf­nagl, Präsi­dentin der MUT­macherin­nen, wies darauf hin, dass Gesund­heit all­ge­mein eines der Leit­the­men des Frauen­net­zw­erkes im Jahr 2024 sei und dieser MUT.Talk einen wesentlichen Akzent set­ze. „Um die Her­aus­forderun­gen der kom­menden Jahre im Gesund­heitswe­sen meis­tern zu kön­nen, braucht es starke weib­liche Stim­men, inno­v­a­tive Ideen und eine beständi­ge Zusam­me­nar­beit aller Gremien,“ sieht Huf­nagl den Auf­trag dieser Veranstaltung.

Oberösterreich führend bei Gender-Medizin

Unter der Mod­er­a­tion der MUT­macherin Mag.a Doris Schulz disku­tierten Exper­tin­nen und Experten, wie eine geschlechterg­erechte Medi­zin gestal­tet wer­den kann. Im Rah­men des Warm-ups wur­den frauen­spez­i­fis­che The­men wie Menopause, Lebensstil und Ver­hü­tung erörtert. Diese Bere­iche stellen viele Frauen vor große Her­aus­forderun­gen und verdeut­lichen, warum inno­v­a­tive Lösun­gen notwendig sind.

Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Anna Maria Dieplinger beleuchtete die unter­schiedliche Wahrnehmung von Frauen in der Medi­zin. Das Augen­merk auf Gen­der-Medi­zin begann vor 20 Jahren, als Stu­di­en unter­schiedliche Symp­tome bei kar­dio­vaskulären Erkrankun­gen aufzeigten. Als wis­senschaftliche Lei­t­erin des öster­re­ichis­chen Frauenge­sund­heits­berichts stellte sie neueste Entwick­lun­gen in der Gen­der-Medi­zin vor. „Frauen haben oft einen unter­schiedlichen Zugang zum Sport und hören häu­fig mit der Schwanger­schaft und Fam­i­lien­grün­dung damit auf, während Män­ner weit­er­hin aktiv bleiben. Hier kön­nen sich Frauen etwas von Män­nern abschauen.“, fordert Dieplinger die anwe­senden Frauen auf.

Abschließend wies die Gen­der Exper­tin auf die Brisanz des The­mas hin und forderte, dass Pati­entin­nen mehr motiviert wer­den müssen, sich Zeit für ihr gesund­heitlich­es Wohlbefind­en zu nehmen. Beson­ders her­aus­fordernd sei die Leben­sphase zwis­chen 35 und 45 Jahren, in der viele Frauen eine Fam­i­lie grün­den. Die OÖ Gesund­heit­sh­old­ing set­zt bere­its auf leben­sphasenori­en­tierte Mod­elle, die gemein­sam mit der Betrieb­smedi­zin erar­beit­et wer­den soll­ten. Oberöster­re­ich nimmt im Bere­ich Gen­der-Medi­zin bere­its eine Vor­re­it­er­rolle ein, gestützt durch die starke Verbindung von Natur­wis­senschaft und Sozial­wirtschaft sowie durch inten­sive Gen­der­forschung an der Johannes Kepler Uni­ver­sität und auf dieser Basis gilt es, weit­ere Erfolge zu erzielen.

Frauen und Männern haben unterschiedliche Scham bei Benennung von Symptomen

Univ.-Prof. Prim. Dr. Bernd Lam­precht betonte, dass 33 % der Oberärzte und 50 % der Assis­ten­zärzte sowie 60 % der Studieren­den weib­lich sind. Frauen sind oft kon­se­quenter in der Umset­zung von Ther­a­pi­en und tra­gen dazu bei, dass auch Män­ner ihre Medika­mente regelkon­former ein­nehmen. „Es ist allerd­ings unter­schiedlich, wie Symp­tome bew­ertet wer­den. Wenn Frauen und Män­ner an ein­er Lun­generkrankung lei­den, bericht­en sie ihre Symp­tome nie auf dieselbe Weise. Män­ner sprechen sel­ten über Atem­not, während Frauen weniger über die unan­genehmen Kon­se­quen­zen des Abhus­tens bericht­en“, so Lam­precht. Dies führt zu spez­i­fis­chen Her­aus­forderun­gen in der Behand­lung, wobei neue Lösungsan­sätze erforder­lich sind.

Präventive Medizin derzeit unterfinanziert

„Von 50 Mil­liar­den Euro, die für das Gesund­heitssys­tem zur Ver­fü­gung ste­hen, fließen nur zwei Prozent in die Präven­tion.“, kri­tisierte Lam­precht. Viele Män­ner nehmen noch dazu nach der Stel­lung­sun­ter­suchung beim Bun­desheer lange keine Vor­sorge­un­ter­suchun­gen mehr wahr. Hier agieren Frauen als Vor­bilder. Gle­ichzeit­ig ist das weib­liche Immun­sys­tem deut­lich effizien­ter, aber auch anfäl­liger für Fehler, was die höhere Häu­figkeit von Autoim­munerkrankun­gen erk­lärt. Zudem kön­nen Immunther­a­pi­en bei Krebs sehr unter­schiedliche Reak­tio­nen bei Män­nern und Frauen her­vor­rufen. Dies alles gilt es, stärk­er in Forschung und Lehre zu berücksichtigen.

Ärztinnen leisten oft in Teilzeit qualitativen Vollzeitjob

Frauen brin­gen Empathie mit und sehen ihre Rolle zunehmend nicht nur in der Pflege, son­dern auch in der Medi­zin. Bei den Absol­ven­ten sind oft zwei Drit­tel weib­lich. Die Flex­i­bil­isierung der Arbeit­szeit­mod­elle hat hier pos­i­tive Entwick­lun­gen gefördert. Frauen beein­druck­en durch ihr Mul­ti­task­ing und ihre her­vor­ra­gende Organ­i­sa­tion, sodass sie auch in Teilzeit mehr bewälti­gen kön­nen. All­ge­mein­medi­ziner­in­nen arbeit­en bevorzugt in Prax­is­ge­mein­schaften, was es ihnen erle­ichtert, im niederge­lasse­nen Bere­ich Fuß zu fassen.

Frauen sorgen für Familien vor, Männer sorgen sich um sich

Im beru­flichen All­t­ag sieht All­ge­mein­medi­ziner­in und Exper­tin für Mesother­a­pie, Dr.in Sabine Wied-Baum­gart­ner, oft­mals spez­i­fis­che Aus­prä­gun­gen von Krankheits­bildern und Symp­to­matiken bei Frauen. „Zwei Drit­tel Frauen kom­men zur Vor­sorge­un­ter­suchung, oft wer­den Män­ner erst von Frauen zur Unter­suchung auf Druck der Frauen mitgenom­men. Män­ner sehen Medi­zin sehr mech­a­nisch, kom­men meist nur zur „Reparatur“.“, stellte Wied-Baum­gart­ner die Unter­schiedlichkeit­en anschaulich dar. Män­ner inter­essieren sich weit­ers mehr für Longevi­ty, um länger Sport betreiben zu können.

Dr. Wied-Baum­gart­ner betont die Notwendigkeit, ger­ade Frauen dazu zu ermuti­gen, sich im medi­zinis­chen Bere­ich zu engagieren und als niederge­lassene Ärztin­nen in der All­ge­mein­medi­zin tätig zu wer­den. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Ver­sorgung ins­beson­dere für weib­liche Patien­ten zu verbessern. Frauen haben häu­fig andere Bedürfnisse und stellen gerin­gere Ansprüche an sich selb­st, was sich in ver­schiede­nen Sit­u­a­tio­nen zeigt, etwa bei Kuraufen­thal­ten, wo sie oft durch externe Impulse motiviert wer­den müssen, weil sie famil­iäre Verpflich­tun­gen in den Vorder­grund stellen.

Männliche Patien­ten hinge­gen neigen dazu, auf eine schnelle, klare Diag­nos­tik und evi­denzbasierte Bestä­ti­gun­gen zu beste­hen. Sie sehen sich selb­st oft in der Rolle des Ver­sorg­ers, der stets leis­tungs­fähig sein muss. Im Gegen­satz dazu betra­cht­en sich viele Frauen mehr als Ver­sorg­erin ihrer Fam­i­lie und sind bere­it, ihre eige­nen Bedürfnisse zurückzustellen.

Neue Ansätze bei klinischen Prüfungsszenarien für Rollenverständnis der Patientinnen

Die Ver­anstal­tung stieß auf große Res­o­nanz und verdeut­lichte, dass ein geschlechterg­erecht­es Gesund­heitssys­tem einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der medi­zinis­chen Ver­sorgung leis­ten kann. Die Exper­tin­nen und Experten waren sich einig, dass in der Forschung, Aus­bil­dung und Prax­is noch viel Poten­zial beste­ht, um auf die geschlechtsspez­i­fis­chen Bedürfnisse der Pati­entin­nen und Patien­ten einzuge­hen. Klin­is­che Prü­fungsszenar­ien, die stärk­er Rol­len­bilder von Frauen berück­sichti­gen, wer­den in Oberöster­re­ich bere­its umge­set­zt und sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Unterstützung durch führende Unternehmen im Bereich Female Empowerment

Der MUT.Talk „Die Gesund­heit ist weib­lich!?“ wurde von der Energie AG Oberöster­re­ich und der Sparkasse Oberöster­re­ich unter­stützt. Bei­de Unternehmen bauen mit diesem Engage­ment ihre Führungsrolle im Bere­ich Diver­si­ty und Empow­er­ment von Frauen aus und kön­nen mit ihrem Know-how helfen, auch weit­ere Bere­iche der Gesellschaft, wie Medi­zin, weib­lich­er zu machen.

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