Wie sich Oberösterreich für die Verlagerung der globalen ökonomischen Kräfteverhältnisse rüsten kann
Global Shift – Es bewegt sich überall
Eine Verlagerung der globalen ökonomischen Kräfteverhältnisse zeichnet sich deutlich ab: in vormaligen Schwellenländern – allen voran in Asien – herrscht enorme wirtschaftliche Dynamik. Forschung und Innovation boomen weltweit und fast unbemerkt hat es 2010 eine Zeitenwende gegeben, als der gemeinsame Anteil der EU und USA am Welt-Bruttoinlandsprodukt erstmals seit 200 Jahren die 50% Marke unterschritt. Aber welche Auswirkungen hat dieser „Global Shift“ auf den Wirtschaftsstandort Oberösterreich mit seiner hohen Industrie- und Exportorientierung? Welche Maßnahmen können wir jetzt setzen, um weitblickend auf die Veränderungen im globalen Gefüge vorbereitet zu sein? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die neue Studie der ACADEMIA SUPERIOR, im Siemens Forum in Linz präsentiert wurde.
Den Global Shift gestalten
Prof. Gabriel Felbermayr, PhD, Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft der Ludwig Maximilians Universität München und Hauptredner des Abends, brachte es in seinem Eingangsstatement auf den Punkt: „Es shiftet überall wo wir hinsehen“ und sprach dabei die großen tektonischen Veränderungen der Weltwirtschaft an. Diese hängen derzeit eng zusammen mit dem Aufstieg von China, der uns auch viele Vorteile gebracht hat: günstige Produktion und große Zukunftsmärkte.
Aber diese Entwicklung hat auch China verändert: „China ist schon lange kein Rule-Taker mehr sondern Rule-Maker“, weiß der Wirtschaftsexperte und weist auf ein wachsendes Selbstbewusstsein Chinas hin. Dieser Einfluss auf die Gestaltung der Weltwirtschaft wird in Zukunft noch sichtbarer werden. „Wir brauchen Chinapolitik!“ ist der gebürtige Oberösterreicher überzeugt und sieht die Uneinigkeit Europas als größte Hypothek, speziell für kleinere Länder und Standorte in Europa. „Wenn wir westliche Standards und Werte wie fairen Wettbewerb, Verbraucherschutz, Datenschutz, Umweltschutz und Menschenrechte wahren wollen, müssen wir die geostrategische Tragweite begreifen und China einbinden,“ zeigte sich Felbermayr überzeugt.
Bevölkerungswachstum, Technologie und Marktmacht
Andere Treiber und Shifts, auf die wir uns einstellen müssen, sieht der Volkswirt auch in der Bevölkerungsexplosion in dem vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen im Mittelmeerraum rund um Europa: „Europa altert und schrumpft, rund um uns boomt die Bevölkerung in Gegenden, die politisch instabil sind und vom Klimawandel betroffen.“ Auch mit den Technologien sieht Felbermayr große Veränderungen verbunden: „Routinen werden automatisiert, wir sehen eine noch stärkere Vernetzung aller Dinge, das wird sich auf unsere Arbeitsmärkte auswirken.“
Wenn die Marktmacht umverteilt wird, werden große globale Konzerne an Bedeutung gewinnen. Große Player haben strategische Visionen und tragen die Global Governance, da darf die EU nicht passiv zusehen.
Stillstand in der Reformpolitik in Österreich und Europa wäre die größte Gefahr im Global Shift. – Gabriel Felbermayr
Wie kann man umgehen mit diesen tiefgreifenden Umwälzungen? Auch auf lokaler Ebene kann strategische Wirtschaftspolitik gemacht werden. Die Unternehmen selbst sind mit in der Verantwortung und müssen sich in die Debatten noch stärker einbringen. Als große Gefahr sieht der Wirtschaftswissenschafter die vermeintlich größer werdende soziale Spaltung, der mit einer Stärkung der sozialen Systeme gekontert werden muss, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten.
Science Talk
Im Science Talk zeigt sich Assoz. Univ.-Prof. Dr. Katharina Hofer, Abteilungsleiterin „Marketing for Emerging Markets“ am Institut für Handel, Absatz und Marketing der JKU Linz, überzeugt, dass der Global Shift speziell für Oberösterreich viele Chancen bereithält: „Westliche und speziell österreichische Produkte werden in Märkten wie China gut angenommen.“ Auch innerhalb Chinas gebe es große Unterschiede und man müsse die Märkte genau analysieren, Beziehungen in Emerging Markets schaffen und erst Vertrauen aufbauen und pflegen, um dort reüssieren zu können.
Besonders bei wissensintensiven und innovativen Produkten kann sich Oberösterreich profilieren. – Katharina Hofer
Dekanin Prof. DI Dr. Margarethe Überwimmer, Studiengangsleiterin „Global Sales and Marketing“ an der FH OÖ, unterstreicht die Bedeutung der Forschungskompetenz und sieht Zukunftsfelder speziell in hybriden Leistungsbündeln. Wichtig für die Geschäfte im fernen Osten ist es, Unternehmen und Entscheidungen zu verstehen und die Forschungslandschaft gut zu vernetzen. „Interkulturelle Kompetenz und interkulturelles Lernen sind enorm wichtig. Wissen über die Politik, die Geschichte, die Philosophie und Religion – und wie Teamarbeit funktioniert.“ „Denn“, zeigt sie plakativ, „ein Servicetechniker kann mit einem Chinesen nicht genau so reden wie mit einem Mühlviertler.“
Masterplan: Global Shift regional gestalten
Wie die Gestaltung des Global Shift in einer kleinen Region gelingen kann, zeigt ein von ACADEMIA SUPERIOR erarbeiteter Maßnahmenkatalog, der Oberösterreich auf den Global Shift vorbereiten soll. Denn 60% der Wertschöpfung Oberösterreichs wird auf internationalen Märkten verdient. Die Messlatte sind deshalb schon längst nicht mehr neun Bundesländer oder 270 europäischen Regionen sondern die Wirtschaftsregionen der ganzen Welt.
Es wird um einen Innovationswettbewerb gehen, den müssen wir gewinnen. – Michael Strugl
Zentral ist eine nachhaltige Strategie, erklärte Michael Strugl den Ansatz: „Wir müssen wissen, was wir wollen und intelligent, konsequent und energisch Chancen nutzen. Und trauen müssen wir uns!“ Denn die rasche Umsetzung von Plänen und Strategien sieht er derzeit als größte Herausforderung und zugleich größten Engpass der heimischen Politik: „Wenn sich das nicht ändert, werden wir weggeshiftet.“
Der „Masterplan Global Shift“ steht auf sechs Säulen:
- Bewusstseinsbildung, Sensibilisierung und Wissensaufbau für internationale Entwicklungen,
- Ausbau der globalen Wettbewerbsfähigkeit am Standort,
- gezielte Fokussierung von Zukunftstechnologien und Wachstumsmärkte,
- Positionierung des Forschungs- und Innovationsstandorts in der globalen Welt und Bildung strategischer Allianzen,
- Attraktivierung der Region für internationale Fach- und Spitzenkräfte und
- Stärkung der internationalen Vernetzung der Wirtschaft.
Darunter finden sich konkrete Maßnahmen wie Risk-Checks, Born-Global-Programme, Unterstützung von cross-sektoralen Innovationen, der Ausbau interkultureller Kompetenzen, die Mobilisierung von privatem Kapital für Forschung, die Förderung von außereuropäischen Forschungskooperationen, eine „Brain Gain“-Strategie für Oberösterreich, ein durchgängiges englischsprachiges Bildungsangebot und Englisch als zweite Alltagssprache und der Ausbau globaler Wertschöpfungsketten auf für kleine und mittlere Unternehmen aus Oberösterreich. ( > Details in der Publikation)
Business Talk mit Top-CEOs
Im anschließenden Business Talk, geleitet von ORF-Moderator Klaus Obereder, sprachen die Vorstände von oberösterreichischen Top-Unternehmen über ihre Erfahrungen und Einschätzungen.
Für DI Michael Aschaber, Geschäftsführer von Steyr Motors, das seit 2012 in chinesischem Besitz ist, sind die Rahmenbedingungen entscheidend. In seiner Branche steht die Technologie im Vordergrund und solange Oberösterreich in einem gut funktionierenden, starken europäischen Netzwerk punktet, sieht er für den Standort keine Gefahr, wenngleich zunehmender Druck spürbar ist. Auch auf ein vermeintlich triviales Phänomen der Globalisierung macht er aufmerksam: „Die Zeitverschiebung wird unterschätzt.“ Denn wenn in Indien jeder schläft, kann man von dort aus kein Service in Europa anbieten.
Dr. Stefan Doboczky, MBA, CEO der Lenzing AG verbrachte selbst viele Jahre im fernen Osten und stimmt mit den Grundzügen des Plans überein, sieht jedoch als große Messlatte die Frage der raschen Umsetzung. Aus eigener Erfahrung kennt er die enorme Geschwindigkeit, die in Asien herrscht und wie rasch sich Kontexte ändern. „In Asien ist ein Hunger nach Lernen und Verbesserung spürbar, es herrscht eine große Flexibilität aufgrund des Bewusstseins, dass sich der Kontext ständig ändert und China selbst ist eine sehr komplexe, riesige Freihandelszone. „Hier sind wir als Führungskräfte gefordert, das Verständnis dafür zu schaffen, wie extrem schnell und agil es dort zugeht“, weiß der Lenzing-Chef.
Auch Mag. Günter Kitzmüller, CFO von Rosenbauer trägt die vorgestellten Punkte mit. Die Gestaltung der Rahmenbedingungen sieht er als Zusammenspiel zwischen Politik und Unternehmen: „Beide müssen ihren Beitrag leisten,“ nimmt er alle mit in die Verantwortung. Als global Player weiß er, dass jeder Markt seine eigene Sprache, sein System hat. „Gerade in unserem Bereich gibt es viele unterschiedliche Standards, da braucht man ein Kommitment zu lokalem Content an neuen Standorten,“ weiß der Vertreter des größten Feuerwehrfahrzeug Herstellers mit Produktionsstandorten auf drei Kontinenten.
Für den Werksleiter der BMW Group Werk Steyr, DI (FH) Gerhard Wölfel ist klar: „Es gibt nichts gutes, außer man tut es. Die dunkle Wolke geht nicht mehr weg, unser Regenschirm ist die Chance.“ Man wäre schlecht beraten, sich auf einen Wachstumsmarkt zu beschränken, die Beteiligung an Investitionen in Schwellenländern ist für ihn unumgänglich und langfristig setzt er, so wie die BMW-Group, auf internationale Vernetzung und Wissensmanagement in allen Bereichen: „Wege, die uns für die Zukunft erfolgreich machen, müssen wir gemeinsam gehen: Industrie, Politik und Sozialpartner.“ Was er in China beobachtet ist, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Verbesserungsvorschlägen einbringen: „Man ist stolz drauf und hat Lust am Gewinn und nicht Angst zu verlieren.“ Das wünscht er sich auch für Österreich.
Rund 300 Personen waren der Einladung zur Diskussion zum Zukunftsthema Global Shift gefolgt und sorgten für ein bis auf den letzten Platz gefülltes Siemens Forum in Linz. Niederlassungsleiter Dr. Josef Kinast war überwältigt über das große Interesse und erklärte, weshalb Siemens der ideale Ort sei, um dieses Thema zu diskutieren. In Oberösterreich werden 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, die Exportquote liegt bei 60%. Kaum ein anderes Unternehmen ist derart international aufgestellt und tätig wie der Siemens Konzern. „Wir leben vom Export. Bei uns geht die ganze Welt rein und raus“, weiß der Vorstand, appelliert an Respekt gegenüber Menschen anderer Kulturen und daran, dass wir nur Arbeitsplätze sichern können, wenn wir beim Shift dabei sind: „Nicht kopieren sondern kapieren, darum geht es“, weiß Kinast.
Diese Veranstaltung wurde unterstützt von der Siemens AG Österreich und der Energie AG.
ACADEMIA SUPERIOR hat die möglichen Auswirkungen des „Global Shift” sowie die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen im Rahmen einer Studie analysiert und konkrete Handlungsvorschläge für die Politik in Oberösterreich erarbeitet, die nun als „Masterplan Global Shift” vorliegen.