Städte wurden national und international zumeist von Männern für Männer geplant. Viel zu wenig werden oft auch heute noch die urbanen Bedürfnisse von Frauen im Bereich der Stadtentwicklung berücksichtigt. Höchst an der Zeit also, sich differenziert mit der Frage auseinanderzusetzen, wie unterschiedlich die Anforderungen von Mann und Frau sind – und wie „Gender-Planning“ als eine Strategie in der Stadtplanung, bei der gezielt Interessen und Bedürfnisse verschiedener Gruppen beachtet werden, erfolgreich umgesetzt werden kann. Mit einem großen Ziel: Einer gemeinsamen Stadt für alle.
Hochkarätige Expertenrunde
Vor diesem spannenden Hintergrund lud der Linzer Vizebürgermeister Martin Hajart gemeinsam mit Academia Superior unter dem Titel „SEX AND THE CITY – So viel Frau steckt in unserer Stadt“ zum dritten Vordenker-Forum „Forward – VorDenken für Linz“ in das OK Offene Kulturhaus. Zahlreiche hochkarätige Expert:innen folgten der Einladung.
Die Bühne gehörte an diesem Abend den international tätigen Mobilitäts- und Urbanitätsforscherinnen sowie Genderplanning-Expertinnen. Darunter Eva Kail, renommierte Expertin für gendergerechte Planung in der Stadtbaudirektion Wien, die sich seit 30 Jahren für Gender-Mainstreaming in den Bereichen Städtebau und Wohnen, Verkehr sowie der Planung und Gestaltung öffentlicher Räume einsetzt.
„Mobilität braucht Diversität“, das ist der Leitspruch von Claudia Falkinger. Die Oberösterreicherin ist CO-Founderin und CEO des internationalen Mobilitäts-Startups „Punkt vor Strich“ sowie Initiatorin des Netzwerks Women in Mobility Austria. Sie gestaltet mit „MobiliDat“– der Datenplattform für Gender & Mobilität, innovative und inklusive Mobilitätslösungen der Zukunft. Sie sitzt im Startup-Rat des Bundesministeriums und ist Bundesvorstand der Jungen Wirtschaft.
Die starke Stimme für Frauen von seiten der Landespolitik steuerte bei diesem Expert:innentreffen Oberösterreichs Frauenlandesrätin und Academia Superior-Obfrau LH-Stv. Christine Haberlander bei.
Martin Hajart führte als Gastgeber und Moderator zunächst aus, dass das Mobilitätsverhalten nicht geschlechterneutral sei und zeigte anhand einer aktuellen Analyse, dass der Modal Split, also die Verkehrsmittelwahl für die Zurücklegung der Alltagswege, bei Frauen ein anderer ist als bei Männern. Frauen legen in Linz deutlich mehr Wege zu Fuß zurück. Frauen übernehmen immer noch mehr Care-Arbeit und damit Versorgungswege. Es arbeiten vier Mal so viele Frauen in Teilzeit wie Männer. Und das schlägt sich auch auf ihr Mobilitätsverhalten nieder.
Konkret zeigt die Mobilitätserhebung des Landes: Knapp 30 Prozent der Frauen gehen in Linz zu Fuß, bei Männern sind es nur 21,7 Prozent. Ein eklatanter Geschlechterunterschied zeigt sich auch bei der Nutzung des Fahrrads: 7,7 Prozent der Frauen fahren in der Stadt mit dem Rad. Bei den Männern sind es knapp doppelt so viele, die das Rad als Verkehrsmittel wählen.
Stadt der kurzen Wege
Auch Eva Kail unterstrich, dass Stadtplanung „nie geschlechtsneutral“ sei. Bereits vor 30 Jahren habe sich in Studien zu Verkehrsdaten gezeigt, dass Männer häufiger mit dem Auto fahren, Frauen dahingegen öfter zu Fuß gingen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Das gilt bis heute. Wichtig sei daher der Aspekt der sogenannte „Care-Arbeit“, ist Eva Kail überzeugt, Die Haus- und Familienarbeit wird auch heute noch zu einem überwiegenden Teil von Frauen übernommen. Die Gestaltung der Stadt kann zwar nicht die Arbeitsteilung beeinflussen, aber Menschen beim Nachgehen dieser Arbeit unterstützen oder einschränken.
Zentral sei, dass alles Notwendige im unmittelbaren Umfeld verfügbar ist: Ärzt:innenpraxen, Schulen, Einkaufmöglichkeiten. Das positive Resümee: Zunehmend werde heute in der Planung des öffentlichen Raums Rücksicht auf den Alltag von Frauen genommen.
Angesprochen auf das Sicherheitsthema sagt die Pionierin der gendergerechten Stadtplanung: „Das subjektive Sicherheitsgefühl ist für Frauen etwas Wichtiges. Eine gute Straßenbeleuchtung trägt dazu bei. Um Angsträume zu identifizieren, können etwa in der Planungsphase nächtliche Begehungen wie in Paris hilfreich sein.“
Mehr Frauen-Straßennamen
Ein wichtiger Punkt, den auch Frauenlandesrätin Christine Haberlander unterstreicht: „Es gibt hinsichtlich der Sicherheit eine absolut unterschiedliche Wahrnehmung zwischen Männer und Frauen. Und es lässt sich auch wissenschaftlich belegen, dass sich die Frauen in Stadt oft unwohl fühlen, weil etwa Plätze sehr dunkel sind“. Deswegen sei die Beleuchtung ein großes Thema. „Das subjektive Sicherheitsgefühl wirkt sich aus, ob Frauen zu Fuß, mit dem Rad oder doch mit dem Auto unterwegs sind.“
Entscheidend sei im Bereich der Stadtplanung unter anderem auch, dass Straßennamen auch nach Frauen benannt werden. Haberlander: „Es gibt so viele Frauen, die Vorbilder sind. Das Sichtbarmachen von Frauen ist essenziell. Sichtbar machen führt zu mehr Mut.“
Mehr Frauen in der Planung
Um die 150 Programme gebe es in Oberösterreich, um Mädchen für Naturwissenschaften und für Technik zu begeistern. „Das beginnt im Kindergarten und geht hin bis zu einem speziellen HTL-Mentoringprogramm. Es gilt Begeisterung zu wecken“, erläutert Haberlander. Es sei schön zu sehen, welche Chancen Frauen 2023 haben. „Wir müssen daher auch Frauen verstärkt in die Stadt- und Verkehrsplanung bringen. Das Motto muss sein: Tut es! Und für die Männer: Fürchtet euch nicht!“
Im Bereich der Frauen-Bildung erinnert Claudia Falkinger daran, dass die ersten Programmiererinnen Frauen gewesen seien: „Aber es wird heute gerne aufgezählt, was Frauen alles noch lernen und erreichen sollen. Doch irgendwann ist es einmal genug – wie wäre es denn einmal mit einem Ausbildungsprogramm für Männer.“ Diversitätsinitiativen würden Männer heute zu wenig ansprechen: „Es ist eben zu wenig, nur zu sagen, wir machen Girls-Days samt Fortbildungen. Wie wäre es, wenn Männer einmal Frauensprechen lernen.“ Es brauche „uns alle gemeinsam“, um Frauen in die Mobilitätsbranche zu bringen und um jene sichtbar zu machen, die dort schon arbeiten würden.
Positive Bilanz
Vizebürgermeister Martin Hajart zieht nach dem Expertentalk eine überaus positive Bilanz: „Es war ein gelungener Abend mit vielen spannenden Denkanstößen. Etwa das genannte Beispiel zu nächtlichen Begehungen in Zusammenhang mit der Straßenbeleuchtung werden wir für Linz aufgreifen.“