Die mit dem demographischen Wandel einhergehenden sozialen Veränderungen werden sowohl das Zusammenleben der Generationen als auch die Lebensläufe der einzelnen Menschen betreffen. Die Tagung beleuchtete daraus entstehende Herausforderungen und Chancen für die Bereiche Arbeitswelt, Zusammenleben der Generationen und Human Enhancement-Technologien näher und stellte sich die Frage, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um in Zukunft eine hohe Lebensqualität für alle Altersgruppen zu gewährleisten.
Bevölkerung heute und morgen. Gesellschaftliche Herausforderungen und Chancen des transnationalen Wandels
Harald Wilkoszewski, Analyst bei der OECD spannt den Bogen von der Schönheit der puren Demographie, das Werden der Geburten und Familien, über das Vergehen, bis hin zu den Sorgen und Hoffnungen der Zukunft und den politischen Handlungsoptionen. Als positive Botschaft versteht er zwei große Entwicklungen: die Senkung der Geburtensterblichkeit und niedrigere Sterberaten im höheren Alter. Er erinnert uns alle an den Rückgang der durchschnittlichen Kinderzahl pro Frau und an den Anstieg der Kinderlosigkeit, als Konsequenz einer möglichen Verunsicherung der Gesellschaft oder eines geringeren Mutes in unserer Zeit. Er erinnert aber auch an die heutige Rekordlebenserwartung (jahrelanger Rekordhalter ist Japan) und zugleich an gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und deren Implikationen, über die wir uns Sorgen machen können: über eine niedrige Fertilität in der gesamten EU, eine lebenslange Kinderlosigkeit — Tendenz steigend, über weniger formell Verheiratete, über den Anstieg der Einpersonenhaushalte, die Überalterung, aber auch über einen Zugewinn an geistigen und körperlichen Fähigkeiten im Alter. Demographische Prozesse politisch zu planen entgegnet Wilkoszewski mit einem klaren „Nein!”.
Fertilitätsentwicklung ist nicht planbar!”, so der Politikwissenschaftler. Deshalb rät er auch davon ab, die Geburtenentwicklung im Rahmen einer Familienpolitik zu steuern. Seine drei Empfehlungen: Gesundheit und Pflege als Präventionspolitik, Bildungspolitik als Generationenpolitik (,Drei Generationenvertrag‘) und Zeitpolitik im Hinblick auf die Umgestaltung der Lebens- und Arbeitszeit. Bei letzterer gäbe es Bestrebungen, Arbeitszeitstunden im Alter zu erhöhen oder zur Zeit der Familie weniger Stunden zu arbeiten und dafür länger konstant mehr zu arbeiten. „Wie wollen Sie denn Ihr Arbeitsleben gestalten?”, spielt Wilkoszewski die Frage zurück. Seine subjektiven SURPRISE FACTORS zum demographischen Wandel: der Anstieg der Pflegebedürftigkeit, ein selbstbestimmtes Leben und die Einschränkungen der älteren Bevölkerung (z.B. Gesundheit, Mobilität), wobei schwere Einschränkungen abnehmen, moderate zunehmen.
Für ein nachhaltiges soziales Gleichgewicht in einer sich rasch verändernden Welt
Franz Fischler, der amtierende Präsident des Europäischen Forums Alpbach sieht die größte Herausforderung heute darin, „mit komplexen Systemen umgehen zu lernen um zu überleben”. Fischler bemerkt, dass die soziale Dimension der Nachhaltigkeit in den letzten Jahren zu wenig diskutiert wurde und spricht von Einbrüchen der sozialen Entwicklung, nicht zuletzt verursacht durch die Wirtschaftskrise, einhergehend mit „Rückzügen” der Politik. „Es gibt eine soziale Krise”, so Fischler, „mit politischen Veränderungen, in der traditionelle politische Kräfte verlieren, Populisten Saison haben und Radikale Boden gewinnen”. Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich nicht aktiv in der Politik, was eine dramatische Entwicklung mit sich bringt, deren Folgen nicht zu unterschätzen sind. Fischler warnt vor einem EU-Sozialsystem und fordert, „unser marktwirtschaftliches System auf den Prüfstand zu stellen”. Internationale Finanzinstitutionen, renommierte Ökonomen, Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Wissenschaft und Politik versuchen abzulesen, ob wir durch Mehrproduktion mehr Schäden als Vorteile oder mehr Vorteile als Schäden produzieren. Was wollen wir mit unserer Wirtschaft erreichen? Wollen wir Wirtschaftswachstum? Wollen wir unseren Lebensstandard erhöhen? Eine Antwort auf die Frage, was nach dem Kapitalismus kommt, gibt es nicht, „aber es sind alle herzlich eingeladen, sich damit zu beschäftigen”, so Fischler.
Lebensqualität:Lebenslang
Zukunftsbilder in Österreich und Deutschland: Reinhold Popp und Ulrich Reinhardt präsentieren Statistiken über Faktoren von Lebensqualität, wo Gesundheit, Freundschaften, Partnerschaften und Familie an den ersten Plätzen rangieren. Studien ergaben, dass das durchschnittliche Lebenszeitbudget in den letzten 100 Jahren um 200.000 Stunden stieg, wir drei Viertel unserer Lebenszeit in Wohnräumen verbringen, Frauen nach wie vor Hindernissen in der Erwerbsbeteiligung gegenüberstehen. Die Popp und Reinhardt empfehlen eine allumfassende Zukunftsvorsorge: Erstens, eine materielle Vorsorge: beide stellen den Generationenvertrag in Frage und sprechen von den immer wichtiger werdenden finanziellen Ergänzungen in Zukunft, wobei der Staatszuschuss dennoch ein „unverzichtbarer Teil der Spielregel” bleiben wird. Die zweite Maßnahme: eine Gesundheitsvorsorge, als wichtigstes Kriterium für Lebensqualität. Drittens, eine soziale Vorsorge: Popp und Reinhardt prophezeien eine „Renaissance der Nachbarschaft”, plädieren für ehrenamtliches Engagement, Familienbindungen und das Pflegen der Freundeskreise. Zu guter Letzt ist ebenso die mentale Vorsorge unerlässlich für lebenslange Lebensqualität, worunter sie Mußezeit, Weiterbildung und Kultur als Beispiele für mentale Vorsorge nennen. Popp geht davon aus, dass „es für die jüngere Generation in Zukunft schwierig sein wird, ebenso abgesichert in Wohlstand zu leben, wie die heutige Elterngeneration” und meint in einem äußerst pointierten Nachsatz: „Die Alten sollen mehr ihr eigenes Leben genießen und weniger für die Jungen sparen.” „Einen Krieg der Generationen ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich.”
„Wofür es sich zu leben lohnt”
Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien, erinnert uns, dass wir unsere Missionen dem Leben unterordnen und fragt zugleich was passiert, wenn die Mission beendet ist. „Wir haben ein Problem mit dem Genuss des Lebens”, so Pfaller „und haben eine Epidemie der Beschwerde etabliert”, was er als postmodernes Phänomen bezeichnet. „In unserer Epoche wird Glück als Diebstahl und Beraubung vermutet”. Glück sieht er als etwas Schillerndes, als Bedrohung und Ärgernis gleichsam, wie etwas Gutes. Es lohnt sich, für das Gefühl der Grenzenlosigkeit, bei dem wir uns dem Leben ebenbürtig fühlen, zu leben. Es gilt, Zwiespältiges in Großartiges zu verwandeln. Leider ist unserer Generation das Erhabene abhanden gekommen und offenbar sind wir nicht alleine in der Lage, Großartiges und Grenzenlosigkeit zu leben, so Pfaller. Menschen brauchen kulturelle Gebote für den Zugang zum Glück. In der Gegenwartskultur werden Glücksgebote nicht mehr geduldet, viele Dringlichkeiten tauchen auf, Robert Pfaller nennt sie ‚pop-ups‘: das pop-up Sicherheit oder das pop-up Gesundheit seien hier als Beispiele erwähnt. Diese Dringlichkeiten führen zu Warnungen, Kontrollen bis hin zu Verboten. „Wir sind heute wenig rebellionsbereit und finden das sogar oft noch gut, wenn uns dieses und jenes verboten wird. Folglich sehnen wir uns dann immer mehr nach anderen Genüssen, zum Beispiel nach Schlagobers ohne Fett, Bier ohne Alkohol und so weiter. „Man mäßigt sich maßlos”, so Pfaller „wie altkluge Kinder, die Verbote noch mehr beherzigen als wir selbst.” Er versteht die Postmoderne als „Epidemie altkluger Kinder”. Befürchtungen einer solchen Postmoderne gegen die wir uns wehren und von denen wir uns befreien müssen sind Imperative, begriffen als Propaganda innerweltlicher Unsterblichkeit sowie infantilisierte Gebote und Ratschläge. Es täte uns gut, würden wir die Dringlichkeiten immer relativieren und uns danach fragen, wofür es sich zu leben lohnt. Wir müssen uns gegenseitig helfen, ein Leben nicht der Mission wegen zu leben. Wir müssen eine Welt herstellen, in der wir eine Rolle einnehmen, in der wir uns aus Bevormundungen befreien, die uns unglücklich machen und in der Glück geteilt werden kann. Wir müssen der Segregation Abhilfe verschaffen; entscheidend ist, dass Generationen miteinander auskommen können. „Eine Welt altkluger Kinder in 20–30 Jahren wäre schrecklich!”
Lebensqualität ALTERNSGERECHT
Heinrich Geißler, Gesundheitswissenschafter und Berater, spricht über ‚Alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung und Generationen-Management als Führungsaufgabe‘ und thematisiert die Implikationen älterer und jüngerer Arbeitnehmer in der Arbeitswelt, wenn die geistige Arbeitsfähigkeit im Alter, im Gegensatz zur körperlichen Arbeitsfähigkeit, steigt und ebenso die individuellen Unterschiede mit zunehmendem Alter wachsen. Führungskräften kommt hier eine Schlüsselaufgabe zu: ihr Wissen, ihre Beschäftigung mit Anwesenden und Früherkennung (von Veränderungen) ist für eine alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung von großer Bedeutung. Studien zu Folge, hat eine individuelle Gesundheitsförderung durch Führungskräfte große Auswirkungen auf Alter, Gesundheit und Arbeit.
Lebensqualität TECHNISCH OPTIMIERT
Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technologie und Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse und Petra Schaper-Rinkel vom Austrian Institute of Technology Wien präsentieren Visionen im Bereich des Human Enhancements, welche sich von der Verbesserung des Individuums, über Exoskelette (Stützstruktur für einen Organismus) bis hin zur Eroberung des Weltraumes spannen. Human Enhancement soll eigene Handlungsmöglichkeiten ständig verbessern und lebenslanges Lernen in Zukunft ergänzen. Dafür müssen zuerst eine adäquate Infrastruktur geschaffen (flächendeckend WLAN; Barrierefreiheit; etc.) und dann ethische Überlegungen diskutiert werden, so Coenen. Neuro Enhancement soll kognitive Fähigkeiten optimieren, den emotionalen Status, unsere Interaktion und unser soziales Verhalten beeinflussen. Scharper-Rinkel und Coenen sehen Chancen in sämtlichen technischen Optimierungen für den Menschen, sowie zum Beispiel in der Forschungsarbeit zu Demenz; beide stehen dem Thema Neuro- und Human Enhancement aber kritisch gegenüber, alleine wenn man in Betracht zieht, dass in Deutschland jedes Jahr 15% mehr Antidepressiva verschrieben werden, oder bereits in den nächsten 5 Jahren Hüften und bis 2025/2050 Organe mit einem 3D Drucker ausgedruckt werden können. Viele Fragen tun sich auf: Wie wird sich der Einsatz von 3D Druckern entwickeln? Wo liegt der Unterschied zwischen Brille, Penicillin und Ausdruck von Organen? Was ist der Reiz dieser technischen Hilfsmittel? Warum ist das beliebteste Highschool Abschlussgeschenk eine Schönheitsoperation? Brauchen wir Rahmenbedingungen zum Erreichen von Glück? Gibt es eine volkswirtschaftliche Verpflichtung zum Glück? Werden wir einmal eine ‚Natural-League‘ im Fußball oder eine ‚Ritalinfreie Schule‘ haben? Wann ist leiden ein Leiden? Wie viel individuelle Freiheit ist uns gegeben und zu entscheiden? Kommt es zu einer Angleichung der Generationen und Lebenswelten?
Lebensqualität INTERGENERATIV
Wolfgang Mazal, Leiter des Instituts für Familienforschung sowie des Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien und Beiratsmitglied von ACADEMIA SUPERIOR spricht über die Veränderungen in der Gesellschaft, die Motive des Zusammenhalts und Problemzonen in diesem Thema: Als große Veränderungen in der Gesellschaft nennt er die Bevölkerungsentwicklung (Alterung, Zuwanderung), die Mobilität (soziale und regionale Mobilität), Erwerbsverhalten (Frauen, Männern, jüngere und ältere Generation) und das Familienverhalten (Bindungsverhalten). Zu den Motiven des familialen Zusammenhalts zählt er Beweggründe wie Altruismus, Emotionen, materielle Anreize und Elemente wie Vorbilder, Konsistenz und Zukunftsaussicht der Nachhaltigkeit. Zu den Problemzonen zählt Mazal innerfamiliale Beziehungen, Lebensplanung und Unternehmen (größte Problemzone). Er plädiert für eine familienfreundliche Arbeitszeitkultur, weil diese sich vielschichtig positiv auswirkt (geringere Fehlzeiten, längere Arbeitszeit, Realisierung Kinderwunsch etc.) und erinnert daran, dass „wir alle gesamt stark belastet sind und die Individualbelastung heute sehr hoch ist”. Die Zuwanderung sieht Mazal als Geschenk, erwähnt sei in diesem Zusammenhang das notwendige Betreuungs- und Pflegpersonal.
„Der Mensch muss immer im Mittelpunkt stehen”
so das Motto von Kerstin Fink, Rektorin der Fachhochschule Salzburg. Chancen, Herausforderungen und Rahmenbedingungen des Tagungsthemas Generationen im demographischen Wandel, in drei Arbeitskreisen gebündelt, reichen von der Selbstverantwortung und Freiheit der/des Einzelnen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, über die Öffnung des Arbeitsmarktes für individuelle Unterschiede, der Zusammenführung von Lebensräumen, bis hin zur besseren Vernetzung sozialer Systeme und dem Vermeiden von Partikularlösungen. Bewusstsein muss bei den Jungen über (Einstieg in) die Arbeitswelt geschaffen werden, Mitarbeitergespräche und Räume für Gemeinschaft als Wege in eine Zukunft mit lebenslanger Lebensqualität gehören gefördert. Andreas Kohl sieht die „Herausforderungen des demographischen Wandels nicht als Bedrohung, sondern als Verheißung”.
Zitate
„Generationen im demographischen Wandel: das Thema hat viele negative Konnotationen. Doch jedes Negative hat auch etwas positives, wie zum Beispiel der Tod, als Motor des Lebens.” (Dr. Kruspel Richard, Mitglied des Leitungsausschusses, Europäischen Forum Alpbach)
„Ist ‚Wachstum‘ eine Kategorie, die dauerhaft existieren kann und hat eine Überfüllung der Erde Sinn und Zweck?” (Dr. Kruspel Richard)
„Es besteht der Bedarf, zukünftig Menschen in ehrenamtlichen Tätigkeiten aufzufangen.” (Richard Kruspel)
„Die Alterung des Elektorats hat Konsequenz für die politische Willensbildung.” (Harald Wilkoszewski, PhD MA, Analyst, OECD, Paris)
„Fertilitätsentwicklung ist nicht planbar!” (Harald Wilkoszewski)
„Work Life Balance, ein blöder Begriff. Er trennt das gesamte Leben in Arbeit und Beruf.” (Reinhold Popp, Wissenschaftlicher Leiter, Zentrum für Zukunftsstudien, FH Salzburg; Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung Zukunftsfragen, Hamburg)
„Wir können nicht mehr an Altersgrenzen festhalten.” (Dr. Cornelia Schweppe, Professorin für Sozialpädagogik, Pädagogisches Institut, Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
„Alternative Lebensmodelle könnten ja parallel laufen.” (Dr. Cornelia Schweppe)
„Eine Welt altkluger Kinder in 20–30 Jahren wäre schrecklich!” (Dr. Robert Pfaller, Professor für Philosophie, Universität für angewandte Kunst Wien)
„Mit zunehmendem Alter wachsen individuelle Unterschiede.” (Dr. Heinrich Geißler, Gesundheitswissenschafter und Berater)
„Haben wir es nötig, dass wir — Frauen und Männer — uns gegenseitig ausspielen?” (Dr. Wolfgang Mazal, Leiter des Instiuts für Familienforschung sowie Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Universität Wien)
„Verbindlichkeit ist Grundlage für Nachhaltigkeit.” (Wolfgang Mazal)
„Es herrscht eine schizophrene Grundstruktur in unserer Gesellschaft.” (Dr. Petra Schaper-Rinkel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Austrian Institute of Technology, Wien)
Links
Zentrum für Zukunftsstudien, Fachhochschulde Salzburg: http://www.fhs-forschung.at/
Europäisches Forum Alpbach: http://www.alpbach.org/index.php?id=48
Zum Autor
Elisabeth Hackl ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der ACADEMIA SUPERIOR