Alle relevanten Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betonen stets die große Bedeutung von Aus- und Weiterbildung für die digitale Transformation.
Die konkrete Umsetzung stellt Bildungsinstitutionen allerdings noch vor große Herausforderungen.
SCHULE
Pauschale Appelle (im Sinne von „die Schulen müssen beim Thema Digitalisierung einfach mehr tun“) erzeugen derzeit eher Widerstand bei den Verantwortlichen: Gerade weil zukünftige Kompetenzbedarfe nie exakt prognostiziert werden können, gibt es keine einfachen Antworten auf die Frage, was genau getan und wie Konzepte – nach Fächern differenziert – implementiert werden sollen. Für die Schulentwicklung benötigt jede Schule erst einmal einen konkreten Rahmen, in dem sie aktiv werden kann. Statt digitalem Aktionismus lohnt sich daher die gute Vorbereitung konkreter Umsetzungsstrategien.
Folgende Impulse sollten dabei handlungsleitend sein:
Solide Grundausbildung sichern und digitalen Dreh finden
Schulen brauchen kein eigenes Fach „Digitalisierung“. Es geht vielmehr darum, gute Grundlagen insbesondere in den MINT-Fächern mit entsprechenden Anwendungsbezügen zu vermitteln, die Wissensverarbeitung und nicht so sehr die Wissensanhäufung in den Mittelpunkt zu stellen und den digitalen Dreh in allen Fächern zu suchen:
1. Eine solide Grundlagenausbildung ist als Versicherung für die Anpassungsfähigkeit in der Zukunft extrem wichtig.
Dies gilt insbesondere aufgrund der Schwierigkeiten, spezifische Kompetenzbedarfe langfristig zuverlässig zu prognostizieren. Bei der Grundlagenausbildung geht es nicht nur um MINT-Fächer, sondern auch um übergreifende Fähigkeiten wie die Offenheit Neuem gegenüber und das Lösen anspruchsvoller Probleme (zum Beispiel mittels Simulationen als robustem Tool, mittels geeigneter Heuristiken etc.).
Tablets alleine lösen die Herausforderungen der digitalen Transformation der Bildung nicht – sie vermeiden allenfalls einen Digital Divide. Wann genau der Einsatz digitaler Medien wirklich von Nutzen ist und wann er dem Lernerfolg eher entgegensteht, ist im Einzelfall nicht immer klar. Das verunsichert die Eltern – Schulen haben darauf oft noch keine Antwort. Wir müssen uns einfach herantasten.
2. Die Zeitanteile in der Lehre müssen neu diskutiert werden.
Um mehr Zeit für neue Inhalte zu haben, müssen auf der anderen Seite auch verzichtbare Inhalte identifiziert werden. Viele Informationen sind in der digitalen Welt unmittelbar verfügbar – hier kann der Lehrstoff gekürzt werden.
3. Schulen müssen bestehenden Fächern konsequent den digitalen Dreh verleihen.
Wenn klassische Inhalte im Zuge der oben genannten Stoffkürzung wegfallen sollen, drohen Konflikte. Vorschläge für radikale Umgewichtungen im Curriculum zugunsten neuer Inhalte könnten daher kontraproduktiv sein. Ein niederschwelliger Ansatz besteht darin, innerhalb bestehender Fächer konsequent digitale Methoden, Inhalte oder Devices zu integrieren.
So lässt sich beispielsweise im Sportunterricht die Videoanalyse zur Sprungtechnik beim Hochsprung oder zur Analyse von Aktionsräumen beim Fußball einbinden. Auch über das Fach Mathematik können neue Inhalte gut transportiert werden. Die Fächer Musik und Kunst bieten ebenfalls interessante Anknüpfungspunkte – auch im Sinne von Digital Humanities (Verwendung digitaler Verfahren und Ressourcen in den Geistes- und Kulturwissenschaften). Es geht letztlich darum, selbstverständliche Nutzungsformen digitaler Technologien in den Unterricht zu integrieren.
Wenn sich das Prinzip BYOD (,Bring Your Own Device‘) an der Schule schon nicht durchsetzen lässt und sogar Handy-Verbot gilt, sollten wenigstens digitale Lernkontrollen und Hausaufgaben möglich sein.
4. Der Unterricht muss Schülerinnen und Schüler in ihrer Rolle als zukünftige Entwickler digitaler Lösungen ansprechen.
Die Frage, ob wir junge Menschen in der Ausbildung vorrangig in ihrer Rolle als spätere Anwender digitaler Technologien oder als spätere Entwickler adressieren, ist entscheidend. Zwar sind 100 Prozent der Jugendlichen Konsumenten in der digitalen Welt und wahrscheinlich nur zehn Prozent sind potenzielle Entwickler: Aber genau auf diese zehn Prozent müsste angesichts der digitalen Transformation der Fokus gelegt werden. Die alltägliche Sozialisation mit den neuen Medien findet ohnehin längst statt; im Unterricht sollte es vorrangig um die komplexen Fragestellungen hinter der Oberfläche gehen.
Wenn wir die digitale Transformation wirklich wollen, müssen wir früh, breit und mit dem klaren Anspruch ansetzen, einen echten Qualitätssprung zu schaffen.
5. Jugendliche müssen lernen, wie sie einfallsreicher werden können und wie sie kooperieren können, um Ziele gemeinsam zu erreichen.
Die Initiative „Jugend forscht“ ist ein guter Ansatz, allerdings engagieren sich bislang noch zu wenige Lehrkräfte an zu wenigen Standorten. Auch die Wirtschafts-AG am Nachmittag können Schulen weiterentwickeln, indem die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel eine Schülerfirma gründen. Dabei sollten Jugendliche noch gezielter Wege der virtuellen Vernetzung nutzen können.
6. Besonders die Ausbildung zu IT-Themen muss mit der Zeit gehen und noch stärker nutzenorientiert gestaltet werden.
So hat sich die Methodik in der IT zuletzt stark verändert: Programme werden nicht mehr nach dem sogenannten Wasserfall-Modell in drei- bis sechsmonatigen Entwicklungszeiten geschrieben, sondern binnen ein bis zwei Wochen im Sinne des Rapid Prototyping.
Auch in der Schule muss stärker vom Endnutzen aus gedacht werden und nicht der Programmier-Code im Mittelpunkt stehen. Auf diese Weise lässt sich auch das Interesse der Schülerinnen und Schüler steigern und der Informatikunterricht besser mit Alltagsthemen verknüpfen.
Haltungen klären und Engagement fördern
Unabhängig vom Curriculum wird es auch darauf ankommen, eine Transformation von Haltungen zu schaffen, damit die digitale Transformation der Schule beziehungsweise der Schulbildung gelingt. Wo immer es geht, sollten Schulen, Wissenschaft und Wirtschaft den Schulterschluss suchen, um gemeinsam mehr zu erreichen:
1. Talentförderung muss auf die Top-20-Prozent der Schülerinnen und Schüler ausgeweitet werden.
Der Begriff „Hochbegabte“ muss in Zukunft weiter als bisher gefasst werden. Die echte Talentförderung sollte mehr als nur die Top-1-Prozent der Schülerinnen und Schüler („Genies“) erreichen. Im internationalen Wettbewerb können Deutschland und Österreich nur bestehen, wenn das Gesamtniveau und das Spitzenniveau der Bildung steigen. Ein Top-20-Prozent-Förderprogramm könnte gut mit dem Thema Digitalisierung verknüpft werden. Schülerpraktika (gegebenenfalls auch virtuelle Praktika) und Communities von Praktikantinnen und Praktikanten sowie Unternehmen sind denkbare Elemente eines solchen Programms. Im Vordergrund sollten das Experimentieren, ein ernsthafter Austausch und das frühzeitige Herstellen von Kontakten stehen.
2. Sicherheitsdenken ist ein grundlegendes Problem für die digitale Transformation; bereits in der Schule sollte vermittelt werden, dass Veränderungen wertvoll sind.
Einerseits müssen Lehrkräfte diese Haltung vermitteln, andererseits können sie gerade auch Praktikerinnen und Praktiker von außen besonders glaubwürdig in die Schule tragen. Die Schule muss sich in jedem Fall stärker gegenüber der Wirtschaft öffnen – sowohl im Unterricht als auch zur Fortbildung der Lehrkräfte, im Sinne von Train-the-Trainer-Seminaren. Diese Öffnung sollte Hand in Hand mit der digitalen Öffnung der Schule gehen (zum Beispiel durch digitale Vertiefungsprojekte).
Google und Facebook – amerikanische Firmen – bestimmen die Realität im Kinderzimmer. Das nehmen Eltern sehr gelassen. Mit Unternehmen im Klassenzimmer hingegen – auch deutschen – haben viele ein Problem. Hier müssen wir wirklich umdenken.
3. Die Vermittlung einer allgemeinen Technikbegeisterung ist nach wie vor ein Schlüsselthema für die Schule.
Dabei wäre ein Perspektivwechsel weg von der Konsumentensicht hin zur Gestaltung wichtig: IT als Instrument zur Entwicklung neuer Lösungen und Geschäftsmodelle. Wirkungsvoller als vereinzelte Projekttage ist in jedem Fall das Prinzip „Forschen bei jeder Gelegenheit“.
4. Das Verständnis von Führung an der Schule (vor allem Organisation, Motivation, Veränderungsbereitschaft, ‑geschwindigkeit) sollte bei Schulleitung und Lehrkräften gestärkt werden.
Dieser Aspekt ist nach wie vor auch in der Lehreraus- und ‑weiterbildung kaum berücksichtigt.
5. Die Industrie sollte frühzeitig den Austausch mit jungen Menschen anbahnen und neue Konzepte entwickeln, um Berufsfelder in der Berufsorientierung sichtbarer zu machen.
Jugendlichen fällt die Orientierung im immer dichteren Dschungel aus Berufsbildern zunehmend schwer. Die Schule alleine ist nicht in der Lage, ausreichend Transparenz zu schaffen. Unternehmen können Jugendlichen Orientierung bieten, indem sie Gelegenheiten für Einblicke in den Arbeitsalltag bieten. Die Bundesagentur für Arbeit und die Wirtschaftsverbände könnten die Berufsorientierung mit ansprechenden digitalen Plattformen unterstützen. Jugendliche sollten dort Antworten auf Fragen finden wie: Wie sieht ein digitaler Arbeitsplatz in der Industrie (oder in einem Dienstleistungsunternehmen) aus? Welche grundlegenden Kenntnisse muss ich mitbringen, um in diesem Umfeld arbeiten zu können?
Diese Empfehlungen und Stimmungsbilder stammen aus: acatech (Hg.): Die digitale Transformation gestalten. Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. April 2016.