Alle relevanten Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betonen stets die große Bedeutung der digitalen Transformation.
Die konkrete Umsetzung stellt Unternehmen allerdings noch vor große Herausforderungen.
Ambidextre Strukturen
Ambidextre, also beidhändige Strukturen sind Organisationsstrukturen, die Unternehmen helfen, bestehende Stärken weiter zu nutzen („Exploitation“) und gleichzeitig ganz neue Strukturen zu erkunden („Exploration“), die sie in die Lage versetzen, den disruptiven Teil der (digitalen) Transformation zu gestalten. Unternehmen setzen sich zunehmend mit diesem Konzept auseinander – auch wenn der Prozess erhebliche Veränderungen in einer Organisation mit sich bringen kann und es letztlich keine Erfolgsgarantien gibt:
Pfadabhängigkeiten überwinden
Da große Unternehmen immer Pfadabhängigkeiten unterliegen, sind neue Startups für die digitale Transformation so wichtig – unabhängig davon, ob sie eigenständig und parallel zu den etablierten Unternehmen agieren oder teilweise mit ihnen verbunden sind:
1. Der größte Feind der Transformation lauert im Innern eines Unternehmens, da etablierte Strukturen zu Konservatismus neigen.
Sattheit und Hybris auf Basis der eigenen (erfolgreichen) Historie stellen eine große Gefahr dar. In ambidextren Strukturen können innovative Einheiten mit Startup-Verhalten parallel zum klassischeren Betrieb des Mutterunternehmens mit entsprechenden Freiräumen agieren. Gleichzeitig „schwappt“ immer auch ein Teil der Startup-Kultur auf den Konzern über.
2. Die Erfahrung zeigt, dass ein gewisser Abstand dieser agileren Einheiten von den potenziell erstickenden Strukturen der Mutter sich positiv auf Recruiting- Erfolg und Output dieser Einheiten auswirkt.
3. Konzerne vereinen zum Teil sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten und digitale Reifegrade in den verschiedenen Geschäftsbereichen innerhalb des Unternehmens (zum Beispiel Medien: Musik versus Buch versus Zeitschriften) – und weisen damit oft per se ambidextre Strukturen auf.
Unternehmensteile, die bislang wenig Erfahrung mit radikalen Veränderungen gemacht haben, können gegebenenfalls von anderen Einheiten lernen, die schon eine weitere Strecke auf dem Weg der Digitalisierung gegangen sind.
Hohe Anforderungen an das Management
Die konkrete Realisierung und Steuerung ambidextrer Strukturen stellt das Management vor große Herausforderungen. Jedes Unternehmen muss hier seine eigenen Erfahrungen machen und entsprechende Experimente zulassen:
1. In parallelen Strukturen mit zugekauften oder ausgegliederten Spin-Alongs besteht natürlich immer die Gefahr, dass die alte Welt die neue Welt abstößt.
Zum Versuch von Unternehmen, selbst Startups als Probierfelder aufzubauen, gibt es aktuell erste Beratungsansätze, die vom Markt sehr gut angenommen werden. Ziel solcher Initiativen ist eine „digitale Vitalisierung“ des eigenen Geschäfts. Für KMU sind parallele Showcases, Innovation-Hubs und Lernbereiche, die später integriert werden können, ein guter Einstieg in die Transformation der bestehenden Mannschaft des Kerngeschäfts.
2. Übergeordnete Managementstrategien müssen sicherstellen, dass sich die verschiedenen Unternehmensbereiche nicht gegenseitig kannibalisieren,sondern stattdessen eine gemeinsame Optimierung ermöglichen.
Spin-Alongs sollen die Selbstständigkeit nach außen und digitale Befruchtung nach innen ermöglichen. Dieser Anspruch erfordert eine hohe Managementkompetenz. So bedarf es fähiger Mittler zwischen den schnellen Einheiten und dem Mutterschiff. Der Austausch von Personal zwischen traditionellen und neuen Bereichen kann sich positiv in der strategischen Personalentwicklung auswirken. Inkubatoren langfristig wieder in die Mainstream-Organisation zu überführen ist eine riesige Herausforderung.
3. Organisationen werden in Zukunft stärker in Netzwerken arbeiten und Entscheidungen dezentral treffen (Active Ownership mit regionaler Verantwortung und unterstützt/herausgefordert vom Corporate Center).
Statt alle Funktionen an einem Ort zu zentralisieren, können dabei auch regionale Einheiten gegebenenfalls eine Corporate Function übernehmen, wenn sie dafür besonders geeignet sind.
4. Neben dem Zukauf von Startups zur digitalen Vitalisierung sollte immer auch erwogen werden, den eigenen Leuten im Unternehmen Ressourcen für die Realisierung neuer Ideen zur Verfügung zu stellen.
Hier bestehen Vertrauensverhältnisse und junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auch noch nicht so stark im Unternehmen sozialisiert, dass sie nicht „out of the box“ denken könnten. Es geht darum, Beschäftigte etwas mit eigenem Budget machen zu lassen und sie nicht nur „mitzunehmen“. Dabei ergibt sich für die Unternehmen allerdings ein Dilemma: Sie müssen die besten digitalen Talente für Innovationsthemen abstellen und dabei konsequent von anderen Aufgaben befreien; diese Strategie sorgt für Knappheit in anderen Unternehmensbereichen.
Diese Empfehlungen und Stimmungsbilder stammen aus: acatech (Hg.): Die digitale Transformation gestalten. Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. April 2016.