Fortschrit­tliche Date­n­analyse ermöglicht es Forscherin­nen und Forsch­ern, Muster zu erken­nen, Ergeb­nisse vorherzusagen und Wahrschein­lichkeit­en zuzuord­nen. Robot­er, die mit Kün­stlich­er Intel­li­genz aus­ges­tat­tet sind, kön­nen men­schliche Aus­drücke und Gefüh­le lesen, Krankheit­en diag­nos­tizieren, men­schliche Reak­tio­nen simulieren oder den Men­schen Hand­lungsempfehlun­gen geben.

DIE MENSCHEN FÜHLEN EINE GEWISSE ZUNEIGUNG ZU NEUEN TECHNOLOGIEN.

Welche Kon­se­quen­zen hat diese größere Trans­parenz für die Zukun­ft der Men­schen? Führt eine erhöhte Fähigkeit, indi­vidu­elle Schick­sale vorherzusagen, zu ein­er vorherse­hbaren Zukun­ft für alle? Wie viel Gestal­tungsspiel­raum haben wir beim Ein­fluss von Big Data und KI auf die Pri­vat­sphäre und den öffentlichen Diskurs, auf Emo­tio­nen und Ver­hal­ten? Wer­den wir von der Tech­nolo­gie getrieben oder kön­nen und müssen wir ihre Anwen­dun­gen und Auswirkun­gen bestimmen?

ACADEMIA SUPERIOR lud drei renom­mierte, „out of the box“ Denkerin­nen und Denker ein, sich mit diesen The­men auseinan­derzuset­zen. Mit sein­er bahn­brechen­den Forschung vor zehn Jahren über die Vorher­sage­fähigkeit der Date­n­analyse prägte Stan­ford Asso­ciate Pro­fes­sor Michal Kosin­s­ki das Feld der Psy­chome­trie. Heute betont er kri­tisch die Risiken, die er mit aufgedeckt hat, bleibt aber opti­mistisch, dass neue Tech­nolo­gien zur Verbesserung des Lebens beitragen.

Nadia Mag­ne­nat Thal­mann teilt diesen Opti­mis­mus. Die Grün­derin und Lei­t­erin von MIRAL­ab an der Uni­ver­sität Genf und Direk­torin des Insti­tute for Media Inno­va­tion an der Nanyang Tech­no­log­i­cal Uni­ver­si­ty in Sin­ga­pur war eine frühe Pio­nierin auf dem Gebi­et der Com­put­eran­i­ma­tion. Sie sieht sich selb­st als Kün­st­lerin und erk­lärte uns, Rodins Arbeit habe sie inspiri­ert, den humanoiden Robot­er Nadine nach ihrem Eben­bild zu erschaffen.

Die Autorin, Jour­nal­istin und ehe­ma­lige Poli­tik­erin Susanne Gaschke ist skep­tisch in Bezug auf den Ein­fluss neuer Tech­nolo­gien auf das Lesen, Ler­nen und Kom­mu­nizieren. Klick, ihr Man­i­fest gegen „dig­i­tale Ver­dum­mung“, stieß bei sein­er Veröf­fentlichung vor zehn Jahren auf eine gemis­chte Res­o­nanz, erscheint aber im Nach­hinein vorauss­chauend. Gaschke gab zu, dass ihr Wahlspruch „ana­log statt dig­i­tal“ prak­tisch schw­er einzuhal­ten ist, ver­trat zugle­ich aber überzeu­gende Argu­mente für einen vor­sichti­gen Umgang mit dig­i­tal­en Werkzeugen.

Die Diskus­sion zwis­chen den Exper­tin­nen und Experten und Vertreterin­nen und Vertretern der ACADEMIA SUPERIOR war nuanciert und bre­it gefächert. Bei der Erkun­dung, wo uns die neuen Tech­nolo­gien hin­führen, schilderten Kosinksi und Gaschke offen die Nachteile wie den Ver­lust der Pri­vat­sphäre oder die Ver­schär­fung der poli­tis­chen Polar­isierung. Kosin­s­ki ging gar so weit, die Pri­vat­sphäre für tot zu erk­lären. So bedauer­lich wir diesen Ver­lust auch find­en mögen, so kön­nte die Trans­parenz, die wir dadurch gewin­nen, auch Vorteile mit sich brin­gen. Als Beispiele dafür zitierte er die Sit­u­a­tion eines jun­gen Schülers in einem Armen­vier­tel, der über einen Algo­rith­mus möglicher­weise einen besseren Unter­richt erhal­ten würde als von einem über­ar­beit­eten Lehrer, sowie die Erweiterung des Hor­i­zonts durch Such­maschi­nen-Optio­nen für eine Bürg­erin eines Lan­des mit einem autokratis­chen Regime.

Mag­ne­nat Thal­mann nan­nte auch Beispiele für den pos­i­tiv­en Nutzen von sozialen Robot­ern: als Diag­nos­tikas­sis­ten­ten bei der Suche nach Mustern, die auf eine Erkrankung wie Bipo­lar­ität oder Demenz hin­weisen kön­nten, oder als Begleit­er für ältere Men­schen. Sie argu­men­tierte, dass humanoide Robot­er isolierten alten Men­schen ein „Gefühl der Präsenz und weniger Ein­samkeit“ bieten kön­nen, und sagte, wenn es eine Wahl gäbe, einen Ted­dy­bären in der Hand zu hal­ten oder die Gesellschaft ein­er Nadine zu genießen, wäre ihre klare Präferenz let­ztere: „Es ist eine Frage der Würde.“

Die Diskus­sion über die Gren­zen von und für prädik­tive Tech­nolo­gien beanspruchte den ganzen Tag über einen großen Teil des Aus­tauschs. In Bezug auf die inhärenten Leis­tungs­gren­zen bestand Kosin­s­ki darauf, dass „dieser per­fek­te Algo­rith­mus, die per­fek­te Vorher­sage der Zukun­ft nicht existiert. Es wird immer eine gewisse Befan­gen­heit geben.“ Aber er pochte darauf, dass es schwieriger sei, Vorurteile bei Polizis­ten, Rich­terin­nen oder Zoll­beamten – den jet­zi­gen Entschei­dungsträgerin­nen und ‑trägern – auszumerzen, als es sein wird, Tech­niken zur Erken­nung und Behe­bung ver­steck­ter Vorurteile in der Tech­nolo­gie zu entwickeln.

ALLE LINEAREN VORHERSAGEN SIND MIR SUSPEKT.

Eben­so erk­lärte Mag­ne­nat Thal­mann, dass Robot­er Maschi­nen bleiben wer­den, die zwar in der Lage sind, Emo­tio­nen wie Empathie oder Wärme zu simulieren, aber unter keinen Umstän­den tat­säch­lich zu empfind­en. Sie wies darauf hin, dass sie mit den Mikro­plättchen und Kabeln eines Humanoiden wie Nadine bestens ver­traut sei, und sagte, die Inter­ak­tion mit einem Robot­er würde sich weit­er­hin qual­i­ta­tiv von der Beziehung mit einem anderen Men­schen unter­schei­den: „Men­schen sind so viel kom­plex­er, die Inter­ak­tion mit Men­schen ist so vielfältig, das ist kein Vergleich.“

Doch es war klar, dass uns der Ein­satz von prädik­tiv­en Tech­nolo­gien als Men­schen bee­in­flusst: Auch wenn Nadine selb­st nicht fühlen kann, scheint Mag­ne­nat Thal­mann so etwas wie Zunei­gung bei der Inter­ak­tion mit ihrer Krea­tur zu empfind­en. Gaschke erk­lärte, dass über­mäßige Abhängigkeit von Online-Unter­richtsmeth­o­d­en die Fähigkeit zum kri­tis­chen und kreativ­en Denken beein­trächtigt, und sagte, dass die Online-Leserin­nen und ‑Leser ihrer Zeitun­gen dazu neigten, aggres­siv­er und polemis­ch­er zu kommunizieren.

Alle drei Gäste wün­schen sich, dass die Poli­tik Maß­nah­men ergreift, um Stan­dards und Lim­its für prädik­tive Tech­nolo­gie zu set­zen. In den Worten von Gaschke: „Ich sehe nicht ein, dass irgen­deine Tech­nolo­gie davon ausgenom­men wer­den kann, Gegen­stand poli­tis­ch­er Entschei­dun­gen zu sein.“ Wie eine effek­tive Reg­u­la­tion ausse­hen sollte, war allerd­ings umstritten.

Gaschke äußerte die Hoff­nung, dass Zahlungsmod­elle entste­hen, die einen stärk­eren Daten­schutz ermöglichen, während Kosin­s­ki solche Mod­elle verurteilte, da diese sein­er Mei­n­ung nach soziale Ungle­ich­heit schüren und zur Entste­hung eines Zweik­lassen-Inter­nets führen. Er sprach sich jedoch für Regeln aus, welche große Tech-Fir­men zwin­gen, Dat­en mit Start-ups zu teilen. Mag­ne­nat Thal­mann wiederum beschrieb die zunehmende Bere­itschaft von Wis­senschaf­terin­nen und Wis­senschaftern, ethis­che Regeln und rechtliche Nor­men in die Soft­ware­pro­gramme von KI einzufü­gen. Sie sagt, das Prob­lem ist nicht die Tech­nolo­gie, son­dern die Men­schen. In Worten, die bei den meis­ten im Raum anka­men, beteuerte sie: „Es liegt an uns, zu entschei­den, was wir mit unseren Werkzeu­gen machen.“

VITA

Dr. Melin­da Crane mod­eriert für zahlre­iche Organ­i­sa­tio­nen und Fir­men hochrangige Podi­ums­diskus­sio­nen und Kon­feren­zen und hält Vorträge zu diversen transat­lantis­chen The­men. Sie ist häu­fig Podi­ums­gast und Kom­men­ta­torin im deutschen Fernse­hen und Hör­funk und analysiert regelmäßig die US-Poli­tik für den Nachricht­ensender n‑tv.

Als erfahrene Fernsehmod­er­a­torin und poli­tis­che Chefko­r­re­spon­dentin im englis­chen Pro­gramm von Deutsche Welle TV kom­men­tiert sie auch die deutsche und europäis­che Poli­tik und mod­eriert die inter­na­tionale Talk­sendung „Quadri­ga“. Im Jahr 2014 erhielt sie den Steuben-Schurz Medi­en­preis für ihren Beitrag zur transat­lantis­chen Verständigung.

Melin­da Crane hat Geschichte und Poli­tik­wis­senschaften an der Brown Uni­ver­si­ty und Rechtswis­senschaften in Har­vard studiert und über die Poli­tis­che Ökonomie der Entwick­lungszusam­me­nar­beit an der Fletch­er School of Law and Diplo­ma­cy promoviert.

Als Bera­terin für Inter­na­tionales der Diskus­sion­ssendung „Sabine Chris­tiansen“ pro­duzierte Crane u.a. Inter­views mit Kofi Annan, Bill Clin­ton, Hillary Clin­ton und George Bush. Neben weit­eren jour­nal­is­tis­chen Tätigkeit­en schrieb sie für das „New York Times Mag­a­zine“, den „Chris­t­ian Sci­ence Mon­i­tor”, die „Boston Globe” und die „Frank­furter Hefte“.