Was ist heute noch normal, was extrem? Wer ist links, wer ist rechts und wo ist die Mitte? Gerade in jüngster Zeit ging es in politischen Debatten in den österreichischen Medien meist um die Ränder. Man liest von „denen da oben“, „denen da unten“, den Linken, den Rechten, den „Normalen“ und den „Extremen“. Die Gesellschaft scheint – vor allem seit der Pandemie – immer stärker auseinander zu driften. Das stimmt betrübt, denn gerade die Mitte der Gesellschaft ist für die Demokratie, für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung, für die Stabilität und Sicherheit unseres Landes von größter Bedeutung.
Deshalb begibt sich Academia Superior – Gesellschaft für Zukunftsforschung in einem neuen Arbeitsschwerpunkt auf die Spurensuche nach der Mitte der Gesellschaft. Das Ziel ist es, eine Debatte über die Zukunft unseres gesellschaftlichen Miteinanders anzustoßen. Im OÖNachrichten Forum wurden erste Ergebnisse aus einer repräsentativen Umfrage zur Verortung und zum neuen Selbstverständnis der Mitte präsentiert und diskutiert.
Obfrau LH-Stv. Mag. Christine Haberlander sieht es als Aufgabe, der breiten Mitte Halt zu geben: „Jeder zweite Österreicher und jede zweite Österreicherin fühlen sich der Mitte der Gesellschaft zugehörig. Das Potenzial der Mitte ist enorm, wir sind in der Verantwortung, ihr eine verbindende Identität zu geben.“
Wie könnte eine moderne Identität der Mitte aussehen?
DDr. Paul Eiselsberg vom IMAS Institut, das die Befragung durchführte, gewährte Einblicke in interessante Details: „Quer über alle sozioökonomischen Schichten sehen sich viele Menschen selbst als Teil der politischen Mitte. Was diese Mitte aber eigentlich ist, ist nicht ganz klar. Den Menschen fehlt ein positives Narrativ, eine Aufstiegserzählung, die eine verbindente Identität schaffen kann“. Um dieses zu schaffen, müsse man die Frage stellen, wofür ein modernes Österreich stehe. Gleichzeitig solle dieses Narrativ stärker die Gemeinschaft ansprechen und versuchen, möglichst viele Menschen mitzunehmen.
Die Mitte könnte lauter sein
Die ehemalige österreichische Außenministerin Dr. Ursula Plassnik verwies in der Diskussion darauf, dass die Mitte zu leise ist, während die politischen Ränder immer lauter werden. „Die politischen Ränder verzerren das Bild von Österreich durch ihre Lautstärke. Es gibt eine Dynamik der Angst. Und es gibt Leute die das anheizen und die ihr Geschäft mit dieser Angst machen,“ so Plassnik. Dem sollten Politikerinnen und Politiker der Mitte viel stärker die vielen positiven Entwicklungen und Anstrengungen der Vergangenheit entgegenhalt.
Wir müssen über Menschenbilder diskutieren
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal betonte, dass der Mensch ein soziales Wesen sein und nicht so einfach in rechts-mitte-links Schemas einzuordnen ist. Man müsse wieder stärker über „Menschenbilder“ diskutieren, denn „wer keinen Standpunkt hat und nicht weiß, wo er steht, muss sich wo anlehnen. Und so kommt es dann zum Erfolg des politischen Populismus“ folgert der Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Gleichzeitig konstatierte er einen Mangel an Basiswissen in der Bevölkerung über die Grundfunktionen des österreichischen Gemeinwesens. „Es braucht mehr Staatsbürgerschaftskunde. In den Schulen, aber auch für Zuwandererinnen und Zuwanderer. Nur so können sachliche Diskussionen geführt und Lösungen gefunden werden“, zeigte sich Mazal überzeugt.
Academia Superior wird dieses Thema weiter vertiefen und arbeitet bereits an konkreten Konzepten, wie sachliche Debatten zu diesen gesellschaftlichen Themen erfolgreicher geführt werden können.