Jehanne de Biolley und Harrison Liu leben mit ihren beiden Kindern in Peking in einem 500 Jahre alten Tempel. Das inspiriert und stimuliert sie für die kontemporäre Welt zu arbeiten. Beiden kommen aus traditionellen Familien mit künstlerischem Hintergrund. Liu wurde im Alter von 15 Jahren, als einer von abertausenden Bewerbern, für die Ausbildung zum Opernsänger, Schauspieler, und Filmemacher in die Studios der chinesischen Armee gewählt. 1989 ging er nach Kanada wo er mit Dreharbeiten beschäftigt war. Jehanne de Biolley, gebürtige Belgierin, verließ Europa 1991 zum ersten Mal und zog 1997 nach Peking ohne ein Wort Chinesisch zu sprechen. Davor arbeitete sie als Restauratorin mit Bildern und europäischen Antiquitäten. Seit ungefähr zehn Jahren arbeiten die beiden zusammen oder jeder für sich, an unterschiedlichen Projekten in Design, Raumgestaltung und Innenarchitektur. Liu ist nach wie vor als Schauspieler und Regisseur tätig. De Biolley designt Schmuck, Mode und Accessoires. Außerdem ist sie Vizedirektorin eines Kunstförderverbandes der Regierung.
Ein besseres Leben als Triebkraft einer Gesellschaft
Liu hatte die Möglichkeit, sich die Welt anzusehen; im Gegensatz zu vielen anderen Chinesen: „Während man versucht die Kulturen anderer Länder zu verstehen, entdeckt man die eigene neu.” „Als Künstler”, sagt er „möchtest du dir etwas Eigenes schaffen, hältst Ausschau nach Neuem, suchst Wahrheiten und bewegende Geschichten.” Ständig versucht er herauszufinden, „wo das bessere Leben für Menschen ist.” Beruflich berücksichtigt Liu deshalb seinen Lebenshintergrund, seine Reiseerfahrungen und die Geschichte. „Wir alle halten nach dem Besten für uns Ausschau”, meint Liu und erklärt, selber noch keine Antwort gefunden zu haben. „Niemand hat dafür eine Antwort und genau dieses Phänomen macht eine Gesellschaft aus: sie bleibt, durch eine nicht vollkommene Sicherheit, in Bewegung”, so der Künstler.
Bildung als Weg für die Zukunft
China ist eine alte Gesellschaft. Nach wie vor besinnt man sich auf Aussagen des Konfuzius oder des Lao Tse. Menschen schätzen ihre Kultur, wertschätzen Kunst, die Nuancen der Sprache und den Sinn für Humor. Erstmals wurden im neuen Fünfjahresplan Chinas Kultur und Design berücksichtigt. Schon 2008 erhielten Werbungen in Fernsehen und anderen Medien, im Zuge der Olympischen Sommerspiele, quasi über Nacht eine neue chinesische Identität. Eine stilistische Sprache, die kein Klischee des Westens mehr war. China lernt und entdeckt die eigene Kultur der 56 Minderheiten durch Kunst, Bräuche und Traditionen neu und beschäftigt sich ebenfalls mit Kulturen anderer Länder. Das Bildungsniveau der jungen Generation ist hoch. Alle besuchen die Schule und alle wissen, dass Bildung der richtige Weg für die Zukunft ist.
New China Look
Heute werden alte Traditionen und Kulturen der Minderheiten wiederbelebt, so de Biolley. Viele Künstler und Studenten gehen in die Provinzen und studieren alte Formen und Muster. Alte Techniken, Musikinstrumente, Sprachen, alte Kleidung und traditionelle Nahrung werden neu entdeckt. Städter sind auf den Spuren ihrer ländlichen Wurzeln.
Der New China Look verbindet Altes mit Neuem. Harrison Lius Möbel sind zum Beispiel Teil des New China Look. Das sind einfache stilvolle Möbel mit starken Farben oder Elementen aus der Ming-Dynastie. Der New China Look kann aus kontrastreichen Farben wie Schwarz und Weiß bestehen. De Biolley betont, dass Mode und Design heute als etwas Neues, Modernes in und für China angesehen werden.
Ausdruck von Qualität und Intelligenz im Design
China ändert sich drastisch (Schnelllebigkeit, Städte, Architektur, Designindustrie) und niemand kann es kontrollieren, „weil es ums Geld geht”, so Liu. „Dennoch macht sich ein Sinn für Individualität bemerkbar.” Designerinnen und Designer reflektieren bereits den chinesischen Lebensstil und versuchen, ihn so individuell wie möglich zu gestalten. Eine Umwelt soll geschaffen werden, in der sich jede und jeder einzelne richtig wohl fühlt. Design wird für ein individuelles Zuhause konzipiert; auf diese Weise fühlen sich Kunden als Teil der Modernisierungsbewegung. Das ist ein neues Denken in China, „hier findet ein kompletter Wechsel statt”, sagt die Künstlerin.
Liu ist es wichtig, dass sich Designer in Zukunft über einen revolutionären Stil Gedanken machen, vor allem in Bezug auf die Umwelt. Als Beispiel nennt Liu Energie: „Für China ist Energie ein brisantes Thema und für mich eine Herausforderung, weil ich versuche, diesbezüglich umweltverträgliches Design zu gestalten.” Die beiden Künstler haben einen Award gewonnen und den Auftrag für die Raumgestaltung des größten Hotels in Peking erhalten.
Anreize zum Glücklichsein
In China sind alle in Bewegung, auch die Großmutter, alle versuchen Geschäfte zu machen, Geld zu verdienen. „Viele Menschen haben bisher gut verdient und sollen anfangen zu fühlen, was es heißt, glücklich zu sein. Man soll aufhören, mehr zu wollen”, sagt de Biolley. Menschen werden nun ermutigt, einfach glücklich zu sein. Sie brauchen dazu Anreize, so die Designerin und zitiert Premier Wen Jiabao: „die Menschen sollen jetzt Zufriedenheit erfahren.”
Ein hohes Maß an Individualität und Veränderung halten
„Wenn ich für jemanden designe, träume ich den Traum des Kunden. Träumte ich von einem Konzept für Österreich, würde ich es dem Land nicht aufdrängen. Ich würde mich in die Österreicherinnen und Österreicher hineinversetzen und deren Traum interpretieren”, erklärt die Designerin. „Österreich könnte profitieren, wenn es seiner eigenen Kultur unabhängige Bedeutung schenkt.” Wenn es darum geht, die junge Generation mehr in die Gesellschaft einzubeziehen, glaubt Jehanne de Biolley, muss die Arbeit bereits im Kindergarten beginnen. Märchen sollen neu geschrieben und Spielzeug soll neu kreiert werden. Die chinesische Gesellschaft begleitet die Kinder nach wie vor auf traditionelle Art und Weise. Sie schafft Verantwortungsbewusstsein. „Es ist Realität; jedes chinesische Kind weiß, dass Eltern für die Kinder da sind und Kinder auf die Eltern schauen”, bekräftigt de Biolley. Das ist nichts Neues, aber es ist neu für Europa; Europa hat dieses Denken verloren, so die beiden Designer. Liu betont, dass der Westen sehr verwöhnt ist, vor allem die jungen Menschen. Seiner Meinung, führt eine philosophische und soziale Ausbildung zu einem höheren Verantwortungsbewusstsein der jungen Generation.
Neue Energie für Österreich?
China ist alt, hat aber eine neue Energie gefunden. „Auch in Österreich spürt man das Alter”, so der Designer. Er fragt sich wie in unserem Land eine neue Energie gefunden werden kann und kommt zu dem Schluss, dass „Österreich seinen eigenen Weg finden muss.” Das gilt für ganz Europa, so Liu.
Zitate Jehanne de Biolley:
- „Design is a gift in a way.”
- „The children, I can easily understand that they are terrified of the world to come.”
- „I am where I live and I am where I am.”
Zitate Harrison Liu:
- „China need a time and they need the patience.”
- „Even when I drive here or when I walk on the street in the Vienna, I feel as if a dream comes true.”