Raum, Geschichte und Generationen: Gespräche zwischen China, USA und Europa, Dialoge zwischen Alt und Jung
Vier außergewöhnliche Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Regionen der Welt trafen sich, um gemeinsam mit Beiratsmitgliedern und Studierenden unter dem Generalthema „Das Neue Alt” Aspekte des Neuen und Alten in ihrer jeweiligen Relativität und Veränderlichkeit zu diskutieren. Vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen und überraschender Entwicklungen unser Zeit wurden Themen rund um die stets alternde Gesellschaft einerseits und die Schnelllebigkeit unserer (hochtechnisierten) Zeit andererseits beleuchtet und aus den Perspektiven der USA, Europas und Chinas näher betrachtet.
Was ist alt, was ist neu?
Eine Vielzahl komplexer Themen und Sichtweisen verstrickt die vermeintlich einfachen Ausdrücke „alt” und „neu”:
- Das neue Neu — Welche neuen Entwicklungen werden Bestand haben, werden uns auch in Zukunft begleiten und neu bleiben?
- Das neue Alt — Welche neuen Trends aber werden nach einem ersten Hype wieder verblassen und demnächst schon wieder alt sein?
- Das alte Neu — Welche alten Werte werden in Zukunft wieder neu aufleben und uns mit neuen Antworten bereichern?
- Das alte Alt — Welche alten Konzepte werden alt bleiben und aus unserem Gedächtnis verschwinden?
Das Geschenk des Alterns
Helmut Kramer, Ökonom und Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre Altersfragen, stellt die wichtige Frage, was das Altern überhaupt bedeutet — sowohl individuelles Altern als auch das Altern der Gesellschaft. „Das Geschenk des 20. Jahrhunderts war langes Leben, eine steigende Lebenserwartung von drei Jahren in einem Jahrzehnt oder vier Monate pro Jahr, die die Leute einfach automatisch dazugewinnen.” Das daraus resultierende Problem der Finanzierung des Pensionssystems ist nur ein Aspekt, in dem ein möglicher Konflikt der Generationen schlummert.
Dialog zwischen den Generationen
Wenn die Menschen immer älter werden und in einer Demokratie die Mehrheit entscheidet, welche Folgen hat das für die junge Generation, die durch ihr Einkommen soziale Sicherheit finanziert? Was passiert, wenn die erwerbstätige Bevölkerung zur Minderheit wird? Was passiert, wenn erwerbstätige junge Menschen nicht mehr bereit sind, den Wohlstand der älteren Generation zu finanzieren?
Design als Brückenschlag
Jehanne de Biolley, gebürtige Belgierin, und Harrison Liu, Chinese mit Kanadischem Pass, leben in einem Tempel in Peking und haben sich in China im Bereich Design einen großen Namen gemacht. So bringt Harrison Liu in seiner Möbellinie alte Traditionen mit neuen, frischen Aspekten in die Gegenwart. Die schnelle Entwicklung in der Designindustrie markiert den Beginn der wachsenden Aufgeschlossenheit. Dabei ist „Design” auch in der westlichen Welt zum Modewort weit über die Grenzen der Kunst hinaus mutiert indem Unternehmen, Länder, ja ganze Lebensstile heute „designt” werden. Hier geht es nicht nur darum, einen besseren Lifestyle zu erwirken, wie etwa Design zur Förderung der Individualität einzusetzen sondern auch vorhandene, natürliche Ressourcen im Design zu verwenden. Die beiden Designer aus China erachten ein an Umwelteinflüssen angepasstes Design als unerlässlich in unserer Zeit.
Nationaler Selbstmord
Carl Djerassi, Chemiker und Ko-Erfinder der „Pille” unterteilt die Welt in geriatrische und pädiatrische Ländern, also jene Länder, die aufgrund der hohen Geburtenrate ihren Weiterbestand sichern und jene, in denen aufgrund der sinkenden Geburtenrate ein massiver Rückgang der Bevölkerung absehbar ist. Um den Level zu halten, erfordert es in Österreich eine Geburtenrate von 2,1. Österreich liegt derzeit bei 1,5. Eine Möglichkeit, dem Problem zu begegnen ist Immigration. Hier sind Länder begünstigt, die für Migrantinnen und Migranten attraktiv sind, während in Ländern mit wenig Zukunftsperspektiven zusätzlich noch junge Menschen abwandern. Österreich, meint Djerassi, steuert aufgrund der Xenophobie und der Einwanderungspolitik auf „Nationalen Selbstmord” zu.
60+ sind zwei Generationen
Auch die Unterteilung zwischen alt und jung im Sinne der Erwerbstätigkeit ist längst nicht mehr so einfach. So umfasst die Generation 60+ in Wahrheit zwei Generationen, nämlich jene, die sich noch aktiv in die Gesellschaft einbringen und daran teilnehmen und jene, die das nicht mehr können. Hier liegt die Herausforderung darin, Wege, Mittel und Möglichkeiten zu finden, eine gesunde, alte Bevölkerung aktiv in das gesellschaftliche Leben einzubinden und sie nicht in die Pension „abzuschieben”.
Sex und Reproduktion sind heute getrennt
Wir leben heute in einer Welt, in der Sex und Reproduktion völlig gentrennte Vorgänge sind. „Sex passiert im Bett, Reproduktion unter dem Mikroskop”, mein Djerassi provokant und pointiert. Er wirft auch die Frage auf, weshalb junge Frauen nicht Eizellen einfrieren, sich sterilisieren lassen und zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ein Kind erwünscht ist, die eigenen, jungen Eizellen künstlich befruchten und damit alle Risiken einer Schwangerschaft ab 35 beseitigen. Gänzliches Unverständnis äußert Djerassi über gesetzliche Verbote einer künstlichen Befruchtung dieser Art, wie sie etwa in Österreich zu finden sind.
Das Problem ist in der Software
Der alarmierende Rückgang der Geburtenraten ist kein Resultat der Erfindung der Pille. Verhütung und Abtreibung sind die Hardware, die Mittel dazu nicht ausschlaggebend. Vielmehr geht es um die „Software”, also die ökonomischen und politischen Umstände, die sich positiv auf die nationale Bevölkerungsentwicklung auswirken. Zentral und schnell umsetzbar nennt Djerassi Modelle für Kindergärten und Krabbelstuben direkt beim Arbeitsplatz, wie etwa in Skandinavien oder Israel.
Alte Ideen für die Zukunft neu entwickeln
Familienstrukturen neu und in größeren Formierungen zu denken und zu fördern wäre ein möglicher Ansatzpunkt für viele der genannten Themen. Ist der Lösungsansatz im Ende der traditionellen Kernfamilie verborgen? Und weshalb auf nationales Bevölkerungswachstum setzen, wenn die Welt ohnedies überbevölkert ist und die Menschheit insgesamt zu viele Ressourcen verbraucht, fragt einer der teilnehmenden Studierenden provokant.
Nicht im Elfenbeinturm
Sich mit den Fragen der Zukunft zu befassen und dazu konkrete Handlungsempfehlungen zu erarbeiten ist Aufgabe und Ziel der ACADEMIA SUPERIOR. Die Diskussionen dazu finden nicht im Elfenbeinturm statt sondern im Hinblick auf die konkrete Umsetzbarkeit. Dass dies auch politisch erkannt und wohlwollend begrüßt wird, zeigte die Beteiligung des Landeshauptmanns Josef Pühringer bei der Abschlussdiskussion.
Am Ende des Tages lautet die Frage: Welche Anregungen geben die Gespräche zur Erarbeitung wichtiger Themenaspekte für Oberösterreich? Im ersten Schritt zur Beantwortung der Frage wird das Symposium in den kommenden Wochen in einem von Alan Webber editierten Bericht aufgearbeitet, der die Themenflächen verdichtet, auf denen sich ACADEMIA SUPERIOR im kommenden Jahr bewegt.