Wer heute in Pension geht, kann sich im Durchschnitt auf weitere 20 gesunde Lebensjahre mit großem Potenzial und zahlreichen Möglichkeiten freuen. Doch das Alter ist mit vielen Vorurteilen behaftet und die Phase des aktiven Alters noch zu wenig als Chance in den Köpfen der Menschen und in der Gesellschaft verankert.
Die Bedeutung der demografischen Entwicklung wird ersichtlich, wenn man sich vor Augen hält, dass die Gruppe der erwerbstätigen 50- bis 64-Jährigen in Oberösterreich bis zum Jahr 2030 um 120.000 Personen anwachsen wird. Eine Gruppe mit enormen Know-How, die die heimischen Leitbetriebe mit aufgebaut hat, steht also vor dem Übergang zur Pension. Das größte Problem dabei ist, dass nur für ca. 20 Prozent der Erwerbstätigen dieser Schritt überhaupt längerfristig planbar ist. Meist kommt die Möglichkeit zur Pensionierung überraschend und kurzfristiger, als gedacht.
Wer dann nicht vorbereitet ist, fällt leicht in ein Loch. Dabei eröffnen sich gerade in dieser neuen Lebensphase, in der man körperlich noch kann, aber beruflich nicht mehr muss, für jede und jeden neue Chancen, die ergriffen werden wollen. Noch fehlen dafür jedoch die Vorbilder und das Bewusstsein.
Um das Bewusstsein für diese persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale zu schaffen und den Blick für die Chancen, die das Alter bietet, zu schärfen, veranstalteten ACADEMIA SUPERIOR und das Netzwerk Humanressourcen einen roundTABLE zum Thema „Alte Vorurteile – Neue Chancen“. Als Experten und Inputgeber eingeladen waren Prof. Dr. Leopold Stieger von der Plattform seniors4success, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der OÖ Ferngas AG, Ing. Dr. Johann Grünberger sowie Mag. Christian Mayer, Arbeitsmarktexperte der oberösterreichischen Wirtschaftsagentur Business Upper Austria.
Dem Leben in jeder Phase einen Sinn geben
„Die Chancen der neuen Lebensphase, in der man nicht mehr arbeiten gehen muss, aber trotzdem aktiv sein kann, müssen von den Menschen und der Gesellschaft erst noch entdeckt werden“, zeigte sich Prof. Dr. Leopold Stieger von der Plattform seniors4success überzeugt. Stieger – selbst schon lange in der Pension, aber nicht im Ruhestand – betonte sein Ziel: „Wir müssen diese 20 Jahre als Zeit der Möglichkeiten in die Köpfe der Menschen bringen“ und forderte: „Vergessen Sie alles, was sie über das Alter wissen und schaffen Sie sich ein neues Bild“. Nur wenn die Menschen sich in der Pension frisch auf die Suche nach ihren Talenten und Potenzialen machen, könnten sie einer sinnerfüllten Tätigkeit nachgehen, so Stieger.
Erst wenn ich eine Antwort auf die Frage ‚Wer braucht mich?‘ finde, dann finde ich eine sinnvolle Aufgabe für mich. Diese Frage auch wirklich zu stellen, liegt in der Verantwortung eines jeden persönlich. – Prof. Dr. Leopold Stieger
Unternehmen könnten mehr machen
Seine Erfahrungen aus zwei Jahren in der Pension schilderte der ehemalige Vorstandsvorsitzende der OÖ Ferngas AG, Ing. Dr. Johann Grünberger. Es gäbe zwar eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie man in der Pension sinnstiftend tätig sein könne. Diese zu finden, sei aber gar nicht so einfach, so Grünberger, der Kurse im WIFI, soziales Engagement und Enkelkinder empfehlen kann. „Wichtig ist, dass man sich früh genug auf die Pension vorbereitet und überlegt, was man machen könnte und wie man seine sozialen Kontakte wieder aufbaut“, betonte Grünberger. Er zieht die Analogie zum Fliegen und meint, dass ein Landeanflug auch nicht erst am Zielort eingeleitet wird.
Das Leben kann man nur nach vorne verlängern, nicht nach hinten. – Ing. Dr. Johann Grünberger
Grünberger sieht auch die Unternehmen in der Verantwortung, in diesem Bereich mehr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun; etwa zu überlegen, wie man die Menschen länger beschäftigen kann, wie ältere Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können oder wie man das Know-How älterer und pensionierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhält. Den Firmenchefs rät Grünberger: „Schaut auf eure alten Leute. Nützt sie als Chance und zeigt es auch her, dass ihr da etwas macht“.
Umdenken in der Arbeitsmarktpolitik ist nötig
Mag. Christian Mayer, Arbeitsmarktexperte der oberösterreichischen Wirtschaftsagentur Business Upper Austria, sieht die Notwendigkeit, auch politisch umzudenken und mutig und vielfältig neue Modelle zu erproben. Das Potenzial der 50- bis 64-Jährigen sei enorm, hat doch gerade diese Generation die vielen Leitbetriebe im Land mit aufgebaut. „Jetzt geht es darum, dass dieses Know-How nicht einfach verloren geht“, betonte Mayer und fügt hinzu: „Derzeit konzentriert sich die Aufmerksamkeit in der Arbeitsmarktpolitik fast ausschließlich auf die Gruppe der Jugendlichen. Aber demografisch gesehen wird diese Gruppe immer kleiner, während die Gruppe der erwerbstätigen 50- bis 64-Jährigen bis 2030 in Österreich um 120.000 Personen anwachsen wird. Sie ist derzeit für den Arbeitsmarkt die interessanteste Gruppe.“
Die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen ist die arbeitsmarktpolitisch interessanteste Potenzialgruppe. – Mag. Christian Mayer
Negativ bewertet der Experte, dass es zwar Abschläge gibt, wenn man früher in die Pension geht, „aber keine Anreize gesetzt werden, damit die Leute überhaupt länger Erwerbstätig bleiben wollen, als unbedingt nötig.“
Emeritierung als Modell
Die engagierte Diskussion mit über 20 Persönlichkeiten drehte sich um die Frage, wie man das Bewusstsein in der Gesellschaft für die Thematik erhöhen könne und konkrete Vorbilder schafft. So wurde etwa danach gefragt, ob das universitäre Modell der Emeritierung von Professoren nicht auch in anderen Berufen funktionieren könnte: eine altersbedingte Befreiung von der Pflicht bei gleichzeitigem Erhalt vieler Rechte. Emeritierte bleiben ihren Institutionen und der Gesellschaft erhalten. Möglicherweise ist das ein Ansatz, der sich auch auf andere Bereiche übertragen lässt.