Ohne MINT, keine Zukunftstechnologien
Die Bedeutung der Naturwissenschaften und der technischen Wissenschaften ist in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich gestiegen und wird in den nächsten Jahrzehnten noch weiter steigen. Neue Technologien entwickeln sich mit einer ungeheuren Geschwindigkeit. Der am schnellsten wachsende Bereich ist die Mikroelektronik und Informatik. Bei beiden Gebieten schreitet die Entwicklung nahezu exponentiell fort. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und um in den entsprechenden Ländern eine Wertschöpfung auf diesem Gebiet zu erreichen, werden junge Menschen notwendig sein, die eine Ausbildung in den sogenannten MINT-Fächern – das ist Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – erhalten haben. Nur dann wird das entsprechende Land den industriellen Standard aufrechterhalten können.
Technikphobie beim Studieren, nicht beim Anwenden
Eine Technikphobie ist bei den jungen Leuten in Bezug auf ein Studium in den MINT-Fächern zu sehen, nicht aber in Bezug auf Technik-Anwendungen. Die jungen Leute wenden die neuesten und modernsten Technologien an, bringen sich selber die Fertigkeiten bei, um diese Technologien zu nutzen. Unser Schulsystem ist nicht imstande das Interesse an Technik in die Ausbildungspläne zu integrieren und diese Fertigkeiten im Unterricht zum Nutzen der Schüler einzusetzen. Wir finden bei den jungen Leuten eher eine Leistungsphobie in Bezug auf MINT Fächer vor, da technische Fächer den Ruf haben, schwer erlernbar zu sein. Man muss sich ziemlich plagen, um ein technisches Studium zu schaffen. Das dann erreichte Gehalt ist bezogen auf die Leistung aus der Wahrnehmung der jungen Leute nicht adäquat.
Ein eklatantes Beispiel für diese Fehlentwicklung unseres Schulsystems ist, dass in einem Standard-Gymnasium Informatik nur in der 5. Klasse durch einen zweistündigen Unterricht abgedeckt ist, was eigentlich himmelschreiend ist. Veränderungen der Fächerverteilung sind kaum möglich, weil die Lehrer unkündbar sind und ein Großteil der Lehrer, wenn man das Schulsystem auf die heutigen und künftigen Bedürfnisse anpassen würde, überflüssig wäre. In den entwickelten Ländern zieht es die Jungen in die sogenannten Geldfächer und Prestigefächer, MINT Fächer sind stark rückläufig.
Dies ist besonders in den hochentwickelten Ländern Europas zu einem großen Problem geworden. Woher kommt das?
Ein Schulsystem für das vergangene Jahrhundert
Unser Schulsystem bereitet aus meiner Sicht unsere Kinder auf das 20. Jahrhundert, aber eher auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht auf das 21. Jahrhundert vor. Die Schulfächer haben sich im Wesentlichen seit dem 19. Jahrhundert kaum geändert. Wir haben zu viele Fächer, zu wenig Unterrichtsstunden und im Großen und Ganzen eine sehr mittelmäßige Lehrerschaft in den MINT Fächern. Die besten Absolventen dieser Fächer gehen in die Industrie oder bleiben an der Universität. Einige von ihnen gründen sogar Firmen. Die Rahmenbedingungen für Start-ups, die ja Innovationstreiber sind, sind besser geworden, aber noch immer viel schlechter als in angelsächsischen Ländern, (USA und England z.B.). Dazu fehlen in Österreich auch die Investoren aufgrund einer verbreiteten Risikophobie. Denn Geld wäre ausreichend auch für Risikoinvestitionen vorhanden, dies wird aber sehr stark durch gesetzliche Rahmenbedingungen behindert, da einerseits die steuerliche Absetzbarkeit von Risiko fehlt und zum anderen viele bürokratische Hürden sehr behindernd sind. Ein Konkurs erzeugt noch immer eine Stigmatisierung des Gescheiterten. In den USA wird ein 1 bis 2‑maliges Scheitern durchaus als positiv gesehen, da dies zu einem Lerneffekt und einer wichtigen Erfahrung führt.
Diese Entwicklung, die wir seit etwa 20 Jahren merken, ist in den USA schon vor 40 Jahren abgelaufen. Die Zahl der jungen Amerikaner die MINT Fächer studieren, ist auf ein sehr niedriges Niveau gesunken. Mit den eigenen Absolventen könnten die USA ihre technische und industrielle Kultur nicht aufrechterhalten. Die USA holen sich allerdings die notwendigen gut ausgebildeten Naturwissenschaftler und Ingenieure aus der der ganzen Welt, in den 60- und 70-Jahren vorwiegend aus Europa, jetzt aus Asien.
Wir haben in Österreich eine ausreichend große Zahl an sehr begabten jungen Menschen. Bei den Studierenden sind dies zwischen 15 und 20 %, je nach Fächern, denen unser Bildungssystem nichts anhaben konnte und die sich auf der Universität sehr gut entwickeln. Leider fällt der Rest der Studierenden deutlich ab. Die Verteilung der Leistungen ist nicht gemäß einer Gaußkurve verteilt, mit einem Maximum in der Mitte. Wir finden heute in ganz Europa eher eine Kamel- back ‑Verteilung, ein kleines Maximum bei den Spitzenleistungen und ein breites Maximum bei den schwachen Leistungen. In der für eine Volkswirtschaft wichtigen Mitte findet sich ein Minimum. Dies ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, die es so in den 60- und 70er Jahren noch nicht gab. Als junger Assistent habe ich schriftliche Arbeiten korrigiert und immer die Verteilung der Noten aufgestellt. Damals war eine Gaußkurve der Normalfall.
Ich glaube das kommt davon, dass der Stoffumfang und der Anspruch der Lehrerschaft an die Schüler deutlich gestiegen sind, die effektiven Unterrichtsstunden sind aber gesunken. Die Zahl der Schüler in den Gymnasien ist deutlich gestiegen, sodass es schwierig wurde, eine qualifizierte Lehrerschaft im gleichen Tempo nachzuliefern. Die Basis für das Vermeiden einer Technikphobie wird aber bereits in den Primär- und Sekundärschulen gelegt.
Natürlich sind auch die Universitäten in die Pflicht zu nehmen. Sie haben alles zu unternehmen, um motivierte und kreative Naturwissenschaftler und Ingenieure auszubilden. Eine solche Ausbildung erfordert aber die Bereitstellung und das Beherrschen der neuesten Technologien Dies ist mit erheblichen Kosten verbunden (siehe ETH Zürich, die etwas das 4‑fache der TU Wien pro Student ausgibt), die in einigen Ländern Europas aufgewendet werden (Deutschland, Schweiz) aber nicht in Österreich.
Kreativität ist der Schlüssel
Die große Konkurrenz kommt von den „Emerging Markets“ Ländern, in erster Linie China und Indien, aber auch den aufstrebenden Ländern Südamerikas. In diesen Ländern ist der Drang nach einer Ausbildung in MINT Fächern deutlich steigend. Was können wir tun?
Es gibt weltweit zwei Wege zur Kreativität:
In den USA und England werden die jungen Menschen in Mittelschulen nicht sehr belastet. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf Motivation, die Ausbildung beschränkt sich auf einige wenige Fächer. Der Leistungsanspruch kommt erst an der Universität. Dort haben die Studenten sehr schnell ihre fehlenden Kompetenzen aufgeholt und sind am Ende des Studiums deutlich kreativer und optimistischer als österreichische bzw. europäische Studenten. In Europa und besonders in Österreich wird noch immer Wert auf breite Wissensausbildung in jungen Jahren gelegt, was offensichtlich der Kreativität nicht förderlich ist.
Im fernen Osten ist der Drill junger Menschen in den Mittelschulen noch viel ausgeprägter als in Europa, was dazu führt, dass sich eher eine Kopiermentalität und Kopierkreativität ausbildet, als eine echte Kreativität, die in Innovation endet. Von dieser Seite sehe ich in den Ländern des Fernen Ostens keine so große Bedrohung für Europa.
Um auf dem Weltmarkt bestehen zu können, müssen die Länder, die kaum über natürliche Ressourcen verfügen, zu denen insbesondere Österreich gehört, auf die Ressource Mensch setzen. Dies weiß zwar jeder und es gibt Lippenbekenntnis dazu von allen Politikern, die Realität sieht aber in jeder Hinsicht anders aus. Das so wichtige Thema, die Förderung der jungen Menschen, wird in der Umsetzung sehr schlecht behandelt.
Wir brauchen neue Prioritäten
Wir brauchen eine Änderung der Prioritäten, eine deutliche Verbesserung der Unterrichtsmethoden und eine Ausrichtung der Unterrichtsfächer auf das 21. Jahrhundert. Wir müssen auch in den Köpfen der Menschen die digitale Wende schaffen. Ein Problem ist dabei, dass die heutige Generation der Entscheider in der Jugend mit diesen neuen Methoden nicht in Berührung gekommen ist. Eine deutliche Verbesserung der Lehrerausbildung – die Strukturen der Schulen sind eigentlich irrelevant – und eine deutliche Aufwertung des Lehrerberufes, sind dringend notwendig.
Mit diesen Maßnahmen können wir die Technikphobie in Bezug auf die Technik-Ausbildung bei jungen Menschen überwinden. Damit bekommen wir den Schlüssel in die Hand, die Voraussetzungen für eine innovative und optimistische Jugend zu schaffen, was gleichbedeutend ist mit einer Zukunft für uns alle.
Zur Person
em. o.Univ.-Prof. Dr. Erich Gornik ist Universitätsprofessor für Festkörperelektronik an der Technischen Universität Wien. Er studierte an der TU Wien Physik und war danach international an zahlreichen Universitäten tätig. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Preise, u.a. 2000 den Erwin Schrödinger Preis und 1997 den Wittgenstein Preis. Zwischen 2003 und 2008 war er Geschäftsführer der Austrian Research Centers GmbH und seit 2012 ist er Beiratsmitglied der ACADEMIA SUPERIOR.
Am 20.01.2016 hielt er diesen Vortrag bei einer unserer Veranstaltung zum Thema „Technikphobie” in Wels.