Alle relevanten Stakeholder aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betonen stets die große Bedeutung der digitalen Transformation.
Die konkrete Umsetzung stellt Unternehmen allerdings noch vor große Herausforderungen.
ARBEITSORGANISATION
Wir sind in einer Situation, in der die Jungen teilweise erstmals mehr wissen, als die Alten. Das wird massiv auf die Arbeitswelt und die Arbeitsorganisation durchschlagen.
Kreativität fördern
Damit Arbeitsplätze kreativitätsfördernd wirken, müssen sie sozial intensiv sein, innovative Lerngelegenheiten schaffen und die Beschäftigten regelmäßige Feedbacks erhalten:
1. Klassisch hierarchisch-arbeitsteilige Strukturen beschränken Beschäftigte im Erdenken von Lösungen für den Kunden.
Die Digitalisierung führt zwar zu einer Revolution nach innen – an Hierarchien geht trotzdem meist kein Weg vorbei. Innerhalb der Hierarchie wird es aber zunehmend fließende Autoritäten geben (Autorität nur beziehungsweise vor allem in Bereichen, in denen die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter eine besondere Expertise hat).
Unternehmen dürfen jungen Beschäftigten dabei nicht nur das Gefühl geben, dass auch vertikale und horizontale Kommunikation gefragt ist, um lösungsorientiert zu arbeiten – diese Kultur muss auch gelebt werden.
2. Die Industrie kann von der IT-Branche lernen, wenn es um agiles Arbeiten, Design Thinking, Scrum etc. geht.
Die Organisation eines Industrieunternehmens wird nie ganz mit der eines IT-Unternehmens vergleichbar sein. Die Industrie muss sich dennoch zunehmend die Frage stellen, wie neue Modelle der Arbeitsorganisation auf klassische Organisationen/Industrien übertragen werden können, um das Entwicklungstempo zu erhöhen und radikalere Kundenorientierung zu ermöglichen. Dabei kann die Industrie von IT-Firmen – aber auch den IT-Leuten im eigenen Unternehmen – lernen.
Dabei geht es darum, überhaupt erst einmal die Bereitschaft zu erhöhen, sich neuen Arbeitsformen zu öffnen. Da sind gerade wir Personaler gefragt.
Entscheidend ist, dass Beschäftigte keine Angst vor agiler Arbeit haben; die Ausbildung wird über das Selbstbewusstsein der Belegschaften in dieser Hinsicht entscheiden.
3. Der Wandel der Arbeitsorganisation muss die Gesamtorganisation im Blick haben – Einzelprojekte reichen auf Dauer nicht aus.
Schnellboote um den Tanker herum sind gut – wir müssen aber auch den Tanker anders ausrichten: Unternehmen müssen ‚mittelständischer‘, unternehmerischer agieren.
Flexibilität fördern
Der Einsatz digitaler Technologien verschafft Belegschaft und Unternehmen neue Freiheitsgrade bei der Leistungserbringung, die aktiv gestaltet werden müssen:
1. Beschäftigte werden in Zukunft autonomer arbeiten können.
Diese größere Autonomie wird nicht mehr nur von Akademikerinnen und Akademikern, sondern mit steigender Tendenz auch von Fachleuten eingefordert (beispielsweise in Form von selbst gestalteten Arbeits- oder Schichtplänen). Mehr Autonomie fördert Selbstständigkeit und Flexibilität zugunsten der Beschäftigten. Digitale Plattformen können schnellere Entscheidungsfindungen bei Gruppenentscheidungen (Crowd Intelligence) unterstützen.
2. Virtuelles Arbeiten wird an Bedeutung gewinnen, wenn Telepräsenz durch neue Technologien unterstützt wird.
Hier könnten sich neue Potenziale ergeben und flexiblere Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen (Kinderbetreuung und Arbeiten von zu Hause aus, Arbeiten auch abends möglich). Die Entwicklung setzt die Unterstützung des Betriebsrats voraus und die Überarbeitung klassischer Arbeitszeitmodelle, die nicht mehr zeitgemäß sind (beispielsweise die Regel: „Wer von 19:00–23:00 Uhr arbeitet, darf am nächsten Tag nicht wieder um 7:00 Uhr beginnen“).
Die Zehn-Stunden-Arbeitszeitgrenze passt nicht zur Arbeit in Innovation-Labs oder Think Tanks – in Indien versteht man das nicht. Freidenker brauchen und wollen keine Stempelpflicht.
3. Im Dienstleistungsbereich (zum Beispiel Finanz-/Anlageberatung) werden neue Hybridformen physischer und virtueller Beratung entstehen.
Die Betreuerin oder der Betreuer vor Ort, zu der/dem die Kundin oder der Kunde ein besonderes Vertrauensverhältnis hat, wird unterstützt von Fachleuten (zum Beispiel für Baufinanzierungen oder Asset Management) aus der Zentrale, die via Tablet am Beratungsgespräch teilnehmen. Die reine „Roboterberatung“ wird es dagegen nicht geben. Im Filialgeschäft wird es allerdings zu einem weiteren erheblichen Rückgang einfacher Tätigkeiten zugunsten virtueller Angebote und Selbstbedienbereiche kommen.
Unternehmen müssen die Integration in soziale Netzwerke am Arbeitsplatz zulassen. Sonst laufen uns die Leute weg. Im Ausland gehen Firmen sehr viel gelassener mit dem Thema um.
Herausforderungen
1. Die Incentives für die „junge Wilden“ dürfen die Kerntruppe nicht frustrieren.
Bei allem berechtigten Interesse an der Gestaltung attraktiver Arbeitsumgebungen besonders für die kreativen Zerstörerinnen und Zerstörer (Gehalt, flexible Arbeitszeiten, flexible Arbeitsorte, „hippe“ Büros in Berlin oder den USA, Boni/Gewinnungszulagen etc.) müssen Unternehmen auch die Rückkopplungen auf die anderen Leistungsträger im bisherigen Kerngeschäft berücksichtigen.
2. Wenn Arbeitszeiten in Zukunft einen anderen Stellenwert erhalten, stellt sich auch die Frage, wie Performance dann gemessen wird.
Bisher wird Leistung noch stark auf die Arbeitszeit bezogen. Dieser Komplex wird noch sehr wenig diskutiert.
3. In der öffentlichen Diskussion wird zwar gerne über neue Beschäftigungsverhältnisse diskutiert, doch Coworking – gemeint sind neue Arbeitsformen, bei denen Freiberufstätige, Kreative und Startups sich einen gemeinsamen Arbeitsplatz teilen – findet in Unternehmen bislang nur wenig Anklang.
Die politische Debatte driftet in diesem Zusammenhang außerdem zu schnell und zu isoliert in die Arbeitszeitdiskussion ab: Die gesellschaftliche Debatte sollte sich von der Diktion verabschieden, dass alle Beschäftigungsverhältnisse mit weniger als einer 40-Stunden-Woche quasi eine prekäre Beschäftigung sind. Diese Sichtweise ist mit den neuen Flexibilitätsansprüchen von Arbeitnehmerinnen und ‑nehmern nicht mehr vereinbar. Natürlich bedarf es eines Minimums an Regelung (Sozialversicherung), aber es müssen auch Freiräume für Experimente bleiben.
4. Die Personalerinnen und Personaler müssen den Transformationsprozess noch stärker bei sich verankern.
Die Human-Resources-Verantwortlichen spielen eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung des kulturellen Wandels im Unternehmen und bei der Neugestaltung der Arbeitsorganisation. Sie müssen sich dabei noch intensiver mit der Frage befassen, wie sich das eigene Geschäftsmodell der Human Resources im Zuge der digitalen Transformation verändert. Eines der Top-Themen dabei wird eine sachliche Diskussion zu „People Analytics“ sein. Die Personalerinnen und Personaler müssen dabei auch für Freiräume für Experimente sorgen.
Diese Empfehlungen und Stimmungsbilder stammen aus: acatech (Hg.): Die digitale Transformation gestalten. Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen. April 2016.