Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber ist einer der ersten Professoren, die neu an das Kepler Universitätsklinikum berufen wurden. Die Universitätsklinik für Neurochirurgie, der er vorsteht, ist die größte Neurochirurgie unter einem Dach in Österreich und je nach Betrachtungsweise abwechselnd mit der Charité in Berlin sogar die größte im deutschsprachigen Raum. Der neue Primar setzt ganz auf Kooperation über Ländergrenzen hinweg, um gemeinsame Erfolge zu erzielen. „Die Kontakte sind sehr gut“, betont er.
Navigation im Gehirn
Neurochirurgie ist ein enorm anspruchsvolles und hochtechnologisches Fach. Denn es geht um millimetergenaue Arbeit. Das Navigieren durch das Gehirn will geübt sein, und dafür gibt es verschiedene Hilfsmittel. Seit einigen Jahren schon verfügt das frühere Wagner Jauregg beispielsweise über ein intraoperatives Magnetresonanz-Gerät. So kann während der Operation das Gehirn von Patienten neu gescannt und der operative Fortschritt quasi live und unmittelbar festgestellt werden. Daran erkennt man, dass die Neurochirurgie in Linz hochmodern und gut ausgestattet ist.
Es gibt aber auch eigene Sender im OP, sodass Chirurgen im engen Raum des Kopfes dank Sensoren millimetergenau navigieren können, vergleichbar mit einem GPS. Denn die Herausforderung während einer Operation sind die Veränderungen des Gehirns selbst, der sogenannte „Brain Shift“: „Während einem Eingriff kann bis zu einem achtel Liter Flüssigkeit austreten, da verändert sich natürlich die Form und die Scans stimmen nicht mehr“, weiß der erfahrene Chirurg.
Training am Simulator made in Hagenberg
Ein Defizit in der Ausbildung neuer Hirnchirurgen war bisher, dass es sehr schwierig ist, geeignete Trainings oder Simulationen zu absolvieren. „Jedes Gehirn ist anders, das macht es sehr schwierig, Eingriffe zu simulieren,“ meint Gruber, der Defizite in der Ausbildung durchaus kritisch anspricht.
Eine weltweit einzigartige High-Tech Lösung für dieses Problem wird derzeit in Kooperation mit dem RISC in Hagenberg entwickelt: Ein Simulator, wo mit den echten Geräten vor einem Screen gearbeitet wird. Das Besondere daran: Das System gibt haptisches Feedback. Das bedeutet, dass angehende Neurochirurgen das richtige Gefühl für die schwierige Navigation und Steuerung im Gehirn an diesem System lernen können.
Time is Brain – neue Möglichkeiten der Schlaganfall-Behandlung
Bei einem Schlaganfall geht es um Zeit, denn „time is brain“, so der markante Merksatz. Je mehr Zeit zwischen dem Eintreten der Symptome und der Behandlung vergeht, umso größer die Gefahr, dass die Betroffenen bleibende Schäden davontragen. Wenn jemand zum Beispiel plötzlich einen hängenden Mundwinkel hat, einseitige Lähmungserscheinungen auftreten oder die Sprache verwaschen klingt, geht es um ein Zeitfenster von 4–6 Stunden, in der für gute Erfolge eine Therapie eingeleitet werden muss. Ca. 90% der Schlaganfälle in unseren Breitengraden sind durch einen Gefäßverschluss bedingt. Um diesen zu lösen, werden und wurden bisher meist lösende Medikamente verabreicht. Das war nicht immer erfolgreich und Beeinträchtigungen blieben zurück.
Seit einigen Jahren gibt es jedoch ein neues interventionell neuroradiologisches Verfahren zur Behandlung von Schlaganfällen. Endovaskulär – also durch das Gefäß – kann mit einem Katheter der Verschluss in einem Gefäß im Gehirn manuell entfernt werden, ein ähnliches Verfahren wie bei einem Herzinfarkt. „Wenn es angewandt werden kann, gehört dieses Verfahren zu einer der erfolgreichsten Therapien in der Humanmedizin“, weiß Gruber. In Linz wird dieses Technik von der Abteilung für Neuroradiologie am Neuromed Campus eingesetzt. Die Abteilung von Prim. Trenkler ist darin österrreichweit führend.
Dabei sind die eigentlichen Ursachen für die Blutpfropfen, die eine Schlaganfall auslösen, noch relativ unbekannt. „Die zahlreichen interagierenden Faktoren werden in ihrer Komplexität derzeit noch nicht völlig durchschaut“, so Gruber.
Er selbst ist der einzige Chirurg in Österreich, der komplexe und technisch anspruchsvolle „High flow“-Bypässe ins Gehirn legen kann. Das kommt beispielsweise dann zur Anwendung, wenn Gefäße aufgrund einer Aneurysma-Gefahr stillgelegt werden und ein Bypass die Versorgung gewährleisten muss. „Das kommt zum Glück nicht so oft vor, denn die konservative innere Medizin hat hier auch enorme Fortschritte erzielt,“ so der Experte.
Funktionen erhalten
Das Credo der Neurochirugie ist die funktionserhaltende Neurochirurgie. Demnach wird genau so viel oder so wenig operiert, dass für den Patienten eine maximale Funktionalität gewährleistet ist. Die Entscheidung ist dabei oft nicht einfach: „Entfernt man zu viel, hat der Patient bleibende Schäden. Lässt man zu viel übrig, ist die anschließende Therapie vielleicht wirkungslos,“ beschreibt Gruber das Dilemma der Chirurgen.
Der Chip im Hirn
Gerade das Gehirn in seiner Komplexität muss noch viel besser erforscht werden. Derzeit kann man bereits mit speziellen Hirnstamm-Implantaten bestimmte Nervenerkrankungen behandeln, die zur Taubheit führen. Oder es werden Sonden ins Gehirn eingesetzt, die fehlerhaft arbeitende Zellen mittels eines ausgesendeten Interferenzmusters „übertönen“ und so die Symptome von Parkinson mildern. Für völlig unbegründete Science-Fiction hält der Neurochirurg allerdings Spekulationen über Hirninterfaces die eine externe Kontrolle von Menschen erlauben. Auch den Einsatz von Robotik und Lasern hält er für übertrieben, zumindest in seinem Fachbereich.
Freiräume schaffen für den Fortschritt
Primar Gruber ist nebenbei auch als Gutachter tätig und berät Gerichte und Ministerien. In Wien war er zudem als Notarzt am Hubschrauber im Einsatz. „Zur Medizin gekommen bin ich, weil ich einmal jemanden zum Arzt begleitet habe und aufgrund der Ordinationszeiten gesehen habe, dass man da viel Freizeit haben muss“, meint er aus heutiger Sicht mit einem Augenzwinkern.
Wenn man fleißigen Leuten mehr Raum lässt, als man müsste, arbeiten sie auch mehr, als sie müssten.
An der Neurochirurgie gefällt ihm der klinisch-technische Zugang. Die fundierte und umfassende Ausbildung junger Ärzte für sein Fach ist ihm ein besonderes Anliegen sowie das Schaffen von neuen therapeutischen Möglichkeiten. Wie das gelingen kann, ist durch Freiraum: „Wenn man fleißigen Leuten mehr Raum lässt, als man müsste, arbeiten sie auch mehr, als sie müssten,“ weiß Gruber aus eigener Erfahrung.
Zur Person
Prim. Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber ist Professor für Neurochirurgie an der Medizinischen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz und Vorstand der Universitätsklinik für Neurochirurgie. Er ist einer der ersten neu berufenen Professoren in Linz. Zuvor war er Geschäftsführender 1. Oberarzt der Universitätsklinik für Neurochirurgie der MedUni Wien. Gruber ist seit 25 Jahren im Fach Neurochirurgie tätig und forscht im Bereich der neurochirurgischen Intensivmedizin und der Hirngefäßchirurgie. Gruber ist zudem Additivfacharzt für Intensivmedizin und Notarzt und habilitierte im Jahr 2001 in Wien. Seine fachliche Expertise liegt im Bereich der cerebrovaskulären und endovaskulären Neurochirurgie und in der neurochirurgischen Intensivmedizin.