Kontrolle ist ein Bedürfnis unserer Zeit
Wir leben in einer Zeit, wo man manchmal das Gefühl hat, die Welt gerät aus den Fugen. Terroranschläge mitten in Europa, der Austritt Großbritanniens aus der EU, das Wahlergebnis in den USA mit allen Konsequenzen für die Wirtschafts‑, Sicherheits- und Klimapolitik, Cyberangriffe, Fake News, Medienblasen und vieles mehr.
Wir leben in einer Zeit der Umbrüche. Das birgt einerseits große Chancen, die erkannt und ergriffen werden wollen, andererseits nehmen Unsicherheiten und Risiken zu. Das Vertrauen in Institutionen und Mitmenschen scheint zu sinken. Die Gegenwart wird für viele Menschen daher immer schwerer begreiflich, die Zukunft weniger abschätzbar. Daraus resultiert ein oft undefinierbares Gefühl des Kontrollverlustes und der Orientierungslosigkeit sowie Sorgen um die persönliche und gesellschaftliche Zukunft. So erklärt sich auch das steigende Bedürfnis nach Kontrolle, nach Sicherheit, nach Abgrenzung nach außen und nach einfachen Erklärungen.
Die Sorgen der Menschen nimmt man nicht ernst, indem man sie schürt.
Dabei haben unsere modernen, aufgeklärten und freiheitsorientierten Gesellschaften ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Thema Kontrolle: Wir selbst möchten möglichst wenig kontrolliert werden, aber gleichzeitig große Kontrolle ausüben. Wir möchten über unser Leben und Schaffen selbst bestimmen und lehnen überbordende Bürokratie, Regulierungen oder Bevormundung ab. Gleichzeitig wollen wir unser Dasein in geregelten und sicheren Bahnen wissen. Wir möchten uns auf etwas verlassen und auf die Zukunft vertrauen können. Aber dieses Bedürfnis, selbst möglichst viel kontrollieren zu können und gleichzeitig selbst nicht kontrolliert zu werden, lässt sich im Zusammenleben nicht gänzlich vereinen und erzeugt Spannungen.
Vertrauen schaffen
Was sind die Antworten auf diese Entwicklungen? Die Aufgabe der Politik ist es, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen. Doch das tut man nicht, indem man sie populistisch anheizt, sondern indem man durch strategische Weitsicht einen Rahmen schafft, der Vertrauen und Sicherheit ermöglicht, einen Rahmen, der Kontrolle mit Verantwortung verbindet.
Gerade im Zeitalter der Digitalisierung wird jeder Mensch transparenter. Das individuelle Handeln kann stärker nachvollzogen und überwacht werden. Neue Big-Data-Analysemethoden ermöglichen es Unternehmen, Parteien oder Staaten, die Menschen anhand ihres digitalen Nutzungsverhaltens immer besser einzuschätzen und zu beeinflussen. Auch für die digitale Welt muss gelten: Je größer der Eingriff in die Privatsphäre, desto stärker der Schutz vor Missbrauch. Derzeit laufen wir jedoch Gefahr, dass das richtige Maß an Kontrolle selbst außer Kontrolle zu geraten droht.
Innovation braucht Eigenverantwortung, nicht Kontrolle.
Es gibt besorgniserregende Hinweise darauf, dass durch Fake News und automatisierte Chatbots in den sozialen Medien gezielt Wahlbeeinflussungen erfolgt sind. Gleichzeitig stehen unabhängige Medien, die nicht umsonst zu den Grundsäulen der Demokratie gehören, zunehmend vor der Herausforderung, ihre Unabhängigkeit und Objektivität beweisen und verteidigen zu müssen. Auf die Frage, wie man auch in der digitalisierten Welt wieder mehr Vertrauen schaffen kann, müssen bald Antworten gefunden werden.
Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Auf diesem Grundkonsens des Miteinanders ist unsere Gesellschaft aufgebaut. Eine größere Handlungsfreiheit und Eigenverantwortung wiederum sind der Treibstoff für Innovation und Weiterentwicklung. Sie sind der Grund dafür, warum die „Freiheitsgesellschaften“ die Welt zu einem besseren Ort gemacht haben und die „Kontrollgesellschaften“ immer wieder scheiterten und untergingen. Deshalb gilt: Kontrolle ist gut, aber Vertrauen ist besser.
Es gibt keine Kontrolle ohne Kontrollverlust, keine Stabilität ohne Instabilität, keine Sicherheit ohne Unsicherheit. Die Welt ist nicht wirklich außer Kontrolle. Sie will gestaltet werden. Und es liegt an uns, dafür Verantwortung zu übernehmen.