Mittlerweile ist klar, dass das übergeordnete Thema des SURPRISE FACTORS SYMPOSIUMS jedes Jahr gleichbleibt. Der rote Faden, der sich von Jahr zu Jahr durchzieht, ist Veränderung. Wie antizipieren wir Veränderung? Wie geben wir dem Wandel einen Sinn? Wie nutzen wir die Veränderung, um das Leben der Menschen in Oberösterreich – und der Menschen überall – besser zu machen?
Wie sieht Demokratie auf einem Foto aus?
Heuer nahm das vertraute Thema der Veränderung eine ungewohnte Wendung: „Alles außer Kontrolle?“ Schon diese Frage nur zu stellen, bedeutet anzuerkennen, dass wir uns in vielerlei Hinsicht auf unerforschtem Territorium befinden. Als Folge des Brexit, der Wahl Donald Trumps, einer ansteigenden Flut an Nationalismus – geschürt von einer steigenden Anzahl an Terrorvorfällen – ist es nicht nur fair zu fragen, ob die Dinge außer Kontrolle sind, sondern hochaktuell und essentiell.
Es ist eine Frage, die zu weiteren Fragestellungen einlädt: Wo stehen wir, wenn es um die Weltpolitik geht? Wie sind wir dorthin gekommen? Sind wir Zeugen der Auflösung einer Reihe von Vereinbarungen formeller und informeller Natur, die uns 70 Jahre lang relativen Frieden und Wohlstand geschenkt haben? Was passiert als nächstes?
Um diesen Fragen nachzugehen, hat ACADEMIA SUPERIOR drei begnadete Persönlichkeiten mit verschiedenen Lebensentwürfen eingeladen: Andrea Bruce, eine preisgekrönte Fotojournalistin, die mehr als ein Jahrzehnt damit verbrachte, das Kriegschaos im Mittleren Osten zu dokumentieren; Lord Brian Griffiths, einflussreicher Politikberater von Margaret Thatcher, erfahrener Geschäftsmann und Mitglied des britischen House of Lords; und Kai Diekmann, der visionäre Journalist der Bild Zeitung, genauer Beobachter des Silicon Valley und Berater von Medienplattformen rund um die Welt. Was hörten wir von ihnen?
Selbst in den am stärksten vom Krieg erschütterten Teilen der Welt, wo Bombenanschläge und Gewalttaten wirklich außer Kontrolle sind, scheint Menschlichkeit durch. Es gibt kulturübergreifende Rituale und Praktiken, die uns alle verbinden – vielleicht am deutlichsten erkennbar bei Tod, Beerdigungen und Trauer. Manchmal ist der Alltag kraftvoller als seine Disruption: Nachdem eine Bombe hochgegangen ist, findet man zerbrochenes Glas und Zerstörung – und dann gibt es das Bedürfnis, aufzuräumen und weiterzumachen. Es gibt die Erkenntnis, dass Bilder oft emotionale Informationen transportieren, die Worte niemals vermitteln könnten.
Menschen, die glauben, dass sie nicht gehört werden, leiden an einem tiefen Gefühl des Kontrollverlusts.
Von Andrea Bruce kommt ein Vorschlag: Die Demokratie ist gefährdet, wenn wir sie nicht untersuchen, sie verstehen, uns mit ihr beschäftigen und an ihr teilnehmen. Ein Weg, um Demokratie wahrzunehmen, ist ein auf Gemeinschaft basierendes Fotografieprojekt – ein Projekt, das Oberösterreich starten könnte: Was bedeutet Demokratie für dich? Wie sieht sie auf einem Foto aus?
Wir haben auch davon gehört, dass manchmal das Gefühl des Kontrollverlusts ein politisches Ereignis auslösen kann, von dem manche fürchten, dass es einen noch größeren Kontrollverlust darstellt. Hinter dem Brexit stand das Gefühl einer Mehrheit der britischen Wählerschaft, dass sie die Kontrolle über ihr eigenes Justizsystem und ihre Einwanderungspolitik verloren hätte. Es war das Gefühl von Ärger, von Verbitterung der „Regional-Menschen“ – Menschen, die mit einem bestimmten Ort, mit einer bestimmten Lebensweise verwurzelt sind –, dass sie die Kontrolle über ihr Leben verlieren. Weggenommen wurde es ihnen von „Global-Menschen“, die in der globalen Ökonomie agieren. Menschen, die das Gefühl haben, dass sie nicht gehört werden, leiden an einem tiefen Gefühl des Kontrollverlusts. Der Brexit spiegelt dieses Gefühl teilweise wider.
Die Journalisten sind daran gescheitert, die kommenden Veränderungen ihres eigenen Arbeitsumfeldes vorherzusehen.
Von Lord Brian Griffiths kam ein weiterer Vorschlag: Regionen wie Oberösterreich sollten Wege finden, sich eigenständig hervorzutun. Sie sollten auf Souveränität bestehen, die Differenzierung erlaubt, und die Fähigkeit haben, zu zeigen, was sie einzigartig macht. Und noch einer: Man darf sich aufgrund des Strebens nach Hochschulausbildung nicht von der berufsorientierten und technischen Ausbildung abwenden. Um eine gesunde und gedeihende Mittelklasse zu erhalten, muss man auch weiterhin die arbeitenden Frauen und Männer, die Dinge produzieren, Dinge reparieren und Dinge verbinden, respektieren und würdigen.
Schließlich hörten wir vom Schnittpunkt zwischen Medien und Öffentlichkeit. Hier haben wir gelernt, dass die Medien und der Journalismus selbst außer Kontrolle geraten sind. Das Geschäftsmodell ist beschädigt. Das klassische Monopol auf Nachrichtensammlung und Nachrichtenvermittlung wurde zerstört. Eine Industrie, die eigentlich von Veränderung lebt, war resistent gegenüber Veränderung. Journalisten, die Neugierde hochschätzen, haben sich von der Neugierde verabschiedet, als sie ihr eigenes Leben und ihre Arbeit betraf. Stattdessen sind die Medien heute in den Fängen von Algorithmen, die uns immer mehr mit jenen Dingen füttern, die wir zuvor als das identifiziert haben, was uns interessiert. Als Ergebnis leidet der öffentliche Diskurs. Unsere Fähigkeit, Veränderungen zu verstehen und uns an sie anzupassen, nimmt ab. Wir isolieren uns mehr und mehr in Informationsblasen, die wir uns selbst gebaut haben.
Von Kai Diekmann haben wir einige Anregungen für den Weg nach vorne bekommen. Wir müssen uns daran erinnern, dass Kommunikation in erster Linie emotional und nicht rational ist. Wir sollten die Realität der Emotionalität begreifen und Emotionen nutzen, um wichtige Botschaften zu kommunizieren. Wir müssen daran denken, dass Menschen visuelle Geschöpfe sind: Bilder sind zugänglicher als Worte. Und wir müssen versuchen, das Geschichtsbewusstsein zu verstärken. Wir können es uns nicht leisten, zu vergessen, woher wir kommen, wie wir dorthin gekommen sind, wo wir jetzt sind, und was wir verlieren würden, wenn wir uns von den mühsam erlernten Lektionen der Vergangenheit verabschieden würden.
Vielleicht ist Pessimismus in Zeiten wie diesen ein Freund.
Schließlich müssen wir in einer „außer Kontrolle“ geratenen Zeit vielleicht den Pessimismus als unseren Freund nützen – als eine Erinnerung daran, dass schlechte Dinge passieren können und werden, solange wir nicht noch intensiver daran arbeiten, dass stattdessen bessere Dinge geschehen.