Die Medienlandschaft hat sich grundlegend verändert. Die Art und Weise, wie wir Journalisten unseren Job früher gemacht haben, funktioniert heute nicht mehr. Es war das beste Geschäftsmodell der Welt: Man sammelt die Nachrichten des Tages, druckt sie auf Papier und verteilt sie am darauffolgenden Tag. An jedem Tag lesen die Menschen, was am Vortag passiert ist.
Wir können die Realität beklagen, aber wir müssen sie bewältigen.
Mit der Digitalisierung hat sich alles verändert. Denn Digitalisierung ist eigentlich eine Entmaterialisierung. Sie verwandelt ein ehemals physisches Produkt, wie eine Zeitung, in Bits und Bytes. Heute müssen wir daher akzeptieren, dass wir unsere Inhalte nicht mehr so verbreiten können, wie wir es gewohnt waren. Außerdem konsumieren die Menschen Informationen nicht mehr wie früher. Wir erkennen das zum Beispiel an der Wahl von Donald Trump. Er verwendet traditionelle Medien als Feindbilder und neue Medien wie Twitter, um seine Anhänger zu emotionalisieren.
Ein berühmtes Sprichwort besagt: „Jedes Medium hat seinen Meister“. Beim Radio war es Roosevelt, beim Fernsehen Kennedy und bei Twitter ist es Trump. Traditionelle Medien kontrollieren die Gesprächsinhalte heute nicht mehr so wie früher. Wir haben sozusagen unser einstiges Geschäftsmodell verloren. Die meisten journalistischen Marken erreichen heute ein größeres Publikum als je zuvor. In Deutschland erreicht die Marke Bild mit der Zeitung ca. zehn Millionen Menschen täglich. Aber Jugendliche würden die Bild niemals auf Zeitungspapier lesen. Wir erreichen sie mit Twitter, SnapChat oder Facebook. Aber wir können dort nur sehr schwierig Geld verdienen.
Die heutige Medienlandschaft ist wahrscheinlich viel mehr außer Kontrolle als in den guten alten Tagen.
Die größte Krise des Journalismus lautet: Wie können wir den Journalismus finanzieren, der für die Aufrechterhaltung der Kommunikation innerhalb von Gesellschaften so wichtig ist? Es ist verrückt, dass wir das nicht haben kommen sehen. Die Kernaufgabe des Journalismus ist Neugierde. Es geht darum, in die Zukunft zu blicken und Neuigkeiten vorauszuahnen, noch bevor sie passieren. Und wir haben es nicht kommen sehen. Wir Journalisten haben allen anderen gesagt, dass sie sich ändern müssen. Dabei sind wir selbst am resistentesten gegenüber dem technologischen Wandel.
Wir müssen auch die Journalisten davon überzeugen, dass der Wandel nicht nur eine Gefahr, sondern vor allem eine Chance ist. Denn im digitalen Raum gibt es keine Einschränkungen. Man kann Geschichten erzählen – 24 Stunden am Tag, mit Ton und Video. Das ist eine großartige Chance für den Journalismus.
Am Weg zum Kiosk verliert die Zeitung ihren Wert.
Die Medienwelt ist heute viel mehr außer Kontrolle als in den guten alten Zeiten. Früher waren Journalisten so etwas wie Torwächter. Es gibt das bekannte Zitat: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“ Aber mit der Digitalisierung kann heute jeder Herausgeber sein oder seine Meinung kundtun. Mit Facebook kann man sogar seinen eigenen Fernsehkanal betreiben. Früher gab es gegenseitige Kontrollen innerhalb des Mediensystems. Jetzt sind es globale Konzerne wie Facebook, SnapChat, Twitter, Apple oder Amazon, die kontrollieren, wie Inhalte verteilt werden, welche gesehen werden und wer dafür Sichtbarkeit erhält.
Wir leben in einer Welt, die von Algorithmen kontrolliert wird. Das Problem mit Algorithmen ist, dass sie eine inhaltliche Welt erschaffen, die extrem anders ist als die analoge Welt. In der analogen Welt suchen wir Themen nach ihrer Relevanz aus. Es gab Momente bei der Bild Zeitung, in denen wir uns aus tiefer Überzeugung über die Bedeutung von Themen dazu entschieden haben, echte Schlagzeilen daraus zu machen, auch wenn wir wussten, dass wir damit weniger Zeitungen verkaufen würden. Algorithmen umgehen diese Auswahl nach Relevanz aus journalistischer Sicht. Denn der Nutzer einer Plattform verlässt sie sofort wieder, wenn sie ihm Inhalte vorschlägt, die er als nicht wichtig erachtet. Das ist es, was Algorithmen so gefährlich macht: Siezerstören etwas, das für den Diskurs in unserer Gesellschaft unerlässlich ist.
VITA
Als ehemaliger Herausgeber und Chefredakteur der deutschen Bild gilt Kai Diekmann als einer der erfahrensten Journalisten im deutschsprachigen Raum. Im Anschluss an Abitur und Militärdienst startete er ein zweijähriges Volontariat bei Axel Springer, einem der größten Verlagshäuser Europas. 1987 wurde Kai Diekmann Parlamentskorrespondent für Bild und Bild am Sonntag, 1989 war er als Chefreporter des Magazins Bunte tätig.
Zwei Jahre danach wurde Kai Diekmann zum stellvertretenden Chefredakteur der B.Z., kurz danach erhielt er die Position des stellvertretenden Chefredakteurs und Leiters des Politik-Ressorts von Bild, die er fünf Jahre innehatte.
Seine Karriere setzte der renommierte Journalist 1998 als Chefredakteur der Welt am Sonntag fort, ehe er 2001 zum Chefredakteur von Bild und Herausgeber von Bild und Bild am Sonntag berufen wurde.
Während seines zehnmonatigen Aufenthaltes im Silicon Valley 2012/2013 beschäftigte sich Kai Diekmann intensiv mit digitaler Disruption und begab sich auf die Suche nach neuen Ideen für digitales Wachstum.
Seit April 2017 ist Kai Diekmann im Political Advisory Board des US-Fahrdienstleisters Uber tätig.