Kai Diekmann – Medien außer Kontrolle?

Die Medienbranche steckt mitten in enormen Umbrüchen – und verschläft sie weitgehend, warnt der ehem. Chefredakteur der deutschen Bild-Zeitung

Die Medi­en­land­schaft hat sich grundle­gend verän­dert. Die Art und Weise, wie wir Jour­nal­is­ten unseren Job früher gemacht haben, funk­tion­iert heute nicht mehr. Es war das beste Geschäftsmod­ell der Welt: Man sam­melt die Nachricht­en des Tages, druckt sie auf Papi­er und verteilt sie am darauf­fol­gen­den Tag. An jedem Tag lesen die Men­schen, was am Vortag passiert ist.

Wir kön­nen die Real­ität bekla­gen, aber wir müssen sie bewältigen.

Mit der Dig­i­tal­isierung hat sich alles verän­dert. Denn Dig­i­tal­isierung ist eigentlich eine Ent­ma­te­ri­al­isierung. Sie ver­wan­delt ein ehe­mals physis­ches Pro­dukt, wie eine Zeitung, in Bits und Bytes. Heute müssen wir daher akzep­tieren, dass wir unsere Inhalte nicht mehr so ver­bre­it­en kön­nen, wie wir es gewohnt waren. Außer­dem kon­sum­ieren die Men­schen Infor­ma­tio­nen nicht mehr wie früher. Wir erken­nen das zum Beispiel an der Wahl von Don­ald Trump. Er ver­wen­det tra­di­tionelle Medi­en als Feind­bilder und neue Medi­en wie Twit­ter, um seine Anhänger zu emotionalisieren.

Ein berühmtes Sprich­wort besagt: „Jedes Medi­um hat seinen Meis­ter“. Beim Radio war es Roo­sevelt, beim Fernse­hen Kennedy und bei Twit­ter ist es Trump. Tra­di­tionelle Medi­en kon­trol­lieren die Gesprächsin­halte heute nicht mehr so wie früher. Wir haben sozusagen unser ein­stiges Geschäftsmod­ell ver­loren. Die meis­ten jour­nal­is­tis­chen Marken erre­ichen heute ein größeres Pub­likum als je zuvor. In Deutsch­land erre­icht die Marke Bild mit der Zeitung ca. zehn Mil­lio­nen Men­schen täglich. Aber Jugendliche wür­den die Bild niemals auf Zeitungspa­pi­er lesen. Wir erre­ichen sie mit Twit­ter, SnapChat oder Face­book. Aber wir kön­nen dort nur sehr schwierig Geld verdienen.

Die heutige Medi­en­land­schaft ist wahrschein­lich viel mehr außer Kon­trolle als in den guten alten Tagen.

Die größte Krise des Jour­nal­is­mus lautet: Wie kön­nen wir den Jour­nal­is­mus finanzieren, der für die Aufrechter­hal­tung der Kom­mu­nika­tion inner­halb von Gesellschaften so wichtig ist? Es ist ver­rückt, dass wir das nicht haben kom­men sehen. Die Ker­nauf­gabe des Jour­nal­is­mus ist Neugierde. Es geht darum, in die Zukun­ft zu blick­en und Neuigkeit­en vorauszuah­nen, noch bevor sie passieren. Und wir haben es nicht kom­men sehen. Wir Jour­nal­is­ten haben allen anderen gesagt, dass sie sich ändern müssen. Dabei sind wir selb­st am resisten­testen gegenüber dem tech­nol­o­gis­chen Wandel.

Wir müssen auch die Jour­nal­is­ten davon überzeu­gen, dass der Wan­del nicht nur eine Gefahr, son­dern vor allem eine Chance ist. Denn im dig­i­tal­en Raum gibt es keine Ein­schränkun­gen. Man kann Geschicht­en erzählen – 24 Stun­den am Tag, mit Ton und Video. Das ist eine großar­tige Chance für den Journalismus.

Am Weg zum Kiosk ver­liert die Zeitung ihren Wert.

Die Medi­en­welt ist heute viel mehr außer Kon­trolle als in den guten alten Zeit­en. Früher waren Jour­nal­is­ten so etwas wie Tor­wächter. Es gibt das bekan­nte Zitat: „Presse­frei­heit ist die Frei­heit von 200 reichen Leuten, ihre Mei­n­ung zu ver­bre­it­en.“ Aber mit der Dig­i­tal­isierung kann heute jed­er Her­aus­ge­ber sein oder seine Mei­n­ung kund­tun. Mit Face­book kann man sog­ar seinen eige­nen Fernsehkanal betreiben. Früher gab es gegen­seit­ige Kon­trollen inner­halb des Medi­en­sys­tems. Jet­zt sind es glob­ale Konz­erne wie Face­book, SnapChat, Twit­ter, Apple oder Ama­zon, die kon­trol­lieren, wie Inhalte verteilt wer­den, welche gese­hen wer­den und wer dafür Sicht­barkeit erhält.

Wir leben in ein­er Welt, die von Algo­rith­men kon­trol­liert wird. Das Prob­lem mit Algo­rith­men ist, dass sie eine inhaltliche Welt erschaf­fen, die extrem anders ist als die analoge Welt. In der analo­gen Welt suchen wir The­men nach ihrer Rel­e­vanz aus. Es gab Momente bei der Bild Zeitung, in denen wir uns aus tiefer Überzeu­gung über die Bedeu­tung von The­men dazu entsch­ieden haben, echte Schlagzeilen daraus zu machen, auch wenn wir wussten, dass wir damit weniger Zeitun­gen verkaufen wür­den. Algo­rith­men umge­hen diese Auswahl nach Rel­e­vanz aus jour­nal­is­tis­ch­er Sicht. Denn der Nutzer ein­er Plat­tform ver­lässt sie sofort wieder, wenn sie ihm Inhalte vorschlägt, die er als nicht wichtig erachtet. Das ist es, was Algo­rith­men so gefährlich macht: Siez­er­stören etwas, das für den Diskurs in unser­er Gesellschaft uner­lässlich ist.

VITA

Als ehe­ma­liger Her­aus­ge­ber und Chefredak­teur der deutschen Bild gilt Kai Diek­mann als ein­er der erfahren­sten Jour­nal­is­ten im deutschsprachi­gen Raum. Im Anschluss an Abitur und Mil­itär­di­enst startete er ein zwei­jähriges Volon­tari­at bei Axel Springer, einem der größten Ver­lagshäuser Europas. 1987 wurde Kai Diek­mann Par­la­mentsko­r­re­spon­dent für Bild und Bild am Son­ntag, 1989 war er als Chefre­porter des Mag­a­zins Bunte tätig.

Zwei Jahre danach wurde Kai Diek­mann zum stel­lvertre­tenden Chefredak­teur der B.Z., kurz danach erhielt er die Posi­tion des stel­lvertre­tenden Chefredak­teurs und Leit­ers des Poli­tik-Ressorts von Bild, die er fünf Jahre innehatte.

Seine Kar­riere set­zte der renom­mierte Jour­nal­ist 1998 als Chefredak­teur der Welt am Son­ntag fort, ehe er 2001 zum Chefredak­teur von Bild und Her­aus­ge­ber von Bild und Bild am Son­ntag berufen wurde.

Während seines zehn­monati­gen Aufen­thaltes im Sil­i­con Val­ley 2012/2013 beschäftigte sich Kai Diek­mann inten­siv mit dig­i­taler Dis­rup­tion und begab sich auf die Suche nach neuen Ideen für dig­i­tales Wachstum.

Seit April 2017 ist Kai Diek­mann im Polit­i­cal Advi­so­ry Board des US-Fahr­di­en­stleis­ters Uber tätig.