Mit 13. Dezember 2014 tritt die EU-Verbraucherinformations-Verordnung Nr. 1169/2011 zur Lebensmittel-Kennzeichnung in Kraft. Diese regelt, wie verpackte Lebensmittel in allen 28 EU-Mitgliedstaaten einheitlich zu kennzeichnen sind. Sie gilt zum Schutz und zur Information für alle 450 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten im gemeinsamen Europa.
Das Inkrafttreten der neuen Verordnung wurde zum Anlass genommen, um in diesem Workshop der Fachtagung ESSEN:TIELL die Grundthematik der Lebensmittelkennzeichnung und des Lebensmittelrechts noch einmal zu diskutieren und gemeinsam mit Studierenden auf ihre regionale Bedeutung hin zu befragen.
Workshopleiter DI Oskar Wawschinek von der LVA Consult GmbH stieg mit sehr allgemeinen Fragen und Anregungen in die Diskussionen ein: Was für einen Zugang gibt es auf unterschiedlichen Ebenen zur Lebensmittelkennzeichnung? Wie nützlich und nutzbar ist die Information, die wir über Lebensmittel erhalten? Gibt es zu viel Information und Kennzeichnung oder zu wenig? Sind die derzeit gültigen ca. 13.000 Gesetze und Verordnungen in diesem Bereich für die Österreicherinnen und Österreicher noch überschaubar und — ganz zentral — für die Konsumentin und den Konsumenten dienlich?
Ein Diskussionsteilnehmer brachte ein, dass wir das, was aus der EU kommt, nicht mehr ändern können. Er sieht dort dort eine starke Lobby für gewisse Interessen. Deshalb muss für jede und jeden Einzelnen gelten: „Was in der EU passiert, muss uns interessieren!” Speziell Kleine haben jedoch oft keine Möglichkeit, Wünsche einzubringen, was dazu führt, dass viele mit den Verordnungen, die aus Brüssel kommen, unzufrieden sind. Macht die EU nur Politik für die Großen? Die Umstellung auf das neue System hat laut Auskunft der Unternehmen in Österreich ca. 80 Millionen Euro Kosten verursacht. Ist das gerechtfertigt und vertretbar?
Nur drei Prozent der Bevölkerung sind Allergikerinnen und Allergiker, die werden auch in Zukunft genau darauf achten und nachfragen, was in ihren Lebensmitteln steckt, meinen einige Diskussionsteilnehmerinnen und ‑teilnehmer. Aber wir schreiben die Allergene für 97 Prozent der nicht Betroffenen auf die Verpackungen. Schießen wir mit riesen Kanone auf Spatzen?
Was soll uns die neue Lebensmittelinformation überhaupt bringen? Die grundsätzliche Idee dahinter ist eine Verbesserung der Verfügbarkeit von Informationen für Konsumentinnen und Konsumenten im Vergleich zu früher, weiß der Experte Wawschinek. Trotzdem gilt als wichtiger Punkt die Eigenverantwortung. Doch die kommt nur dann zum Tragen, wenn ich die Information, die ich dazu benötige, auch bekomme, d.h. diejenigen, die sie haben, müssen sie hergeben. Wissen wir — abseits der Kennzeichnung — was in Lebensmitteln wirklich drin ist und wie sie hergestellt wurden? — In den Diskussionen während der Tagung wurden etwa die medikamentöse Behandlung von Tieren oder Reinigungsprozesse mit Chemikalien angesprochen.
Oskar Wawschinek bezog sich hier auf das „General Food Law”, in dem verordnet ist, dass jede und jeder, der oder die Lebensmittel in den Verkehrt bringt, Lebensmittelunternehmer bzw. ‑unternehmerin ist und dafür Sorge zu tragen hat, dass diese sicher sind. Dazu gehören auch sämtliche Arten von Produktbehandlung, Hygiene, etc. Er sieht hier große Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Ergebnissen und deren journalistischer Aufbereitung. So etwa der jüngste Skandal um Giftstoffe im Mineralwasser, die erst einen Schwellenwert erreichen, würde man 8.000 Liter pro Tag trinken.
Ganz klar gibt es hier ein Missverhältnis zwischen tatsächlichem Risiko und Risikowahrnehmung. „Was ist gefährlicher für Ihr Kind: das Haus eines Freundes, in dem es Waffen und ein Schwimmbad gibt, ein Haus in dem es nur Waffen oder nur ein Schwimmbad gibt? Eltern neigen dazu, Waffen als risikoreich einzuschätzen, obwohl weit mehr Unfälle mit Kindern im Schwimmbad passieren”, betonte Wawschinek.
Drei Problematiken lassen sich aus den Diskussionen des Workshops zusammenfassen:
- Es gibt zu wenige bzw. falsche Einflussnahmen auf Entschei5dungsträgerinnen und ‑träger, speziell in Brüssel
- Es gibt zu viele Regelungen, sodass die Übersicht verloren geht
- Nährwertangaben helfen nicht, wenn man sie nicht einordnen kann
Klare Antworten auf diese Problematik lassen sich aufgrund der Komplexität des Themas nicht geben. Speziell in der Lebensmittelbranche spielen alle Bereiche, von den Herstellungsbedingungen, den Transportwegen, der Kennzeichnung bis zur Preisbildung und der Information, in der Thematik ein Rolle. Langzeitfolgen einzelner Maßnahmen sind aufgrund der Komplexität der zusammenwirkenden Faktoren oft nicht absehbar.
Der primäre Ansatzpunkt muss hier also die Bildung sein, was einer vermehrten vertrauenswürdigen Information, z.B. auch in den Schulen, bedarf. Die Frage ist, wie viel Information ist nötig oder sinnvoll und erzeugt eine Kennzeichnung bereits das nötige Vertrauen.
Es scheint, dass diejenigen, die sich mit dem Thema beschäftigten, auch mit der neuen Verordnung immer noch nicht die Dinge über ein Lebensmittel auf der Verpackung finden, die sie wissen möchten (z.B. Herstellungsland, Verarbeitungsgrade, etc.) und es für diejenigen, die es nicht interessiert, ohnedies keinen Unterschied macht bzw. ein „Mehr an Information” mitunter kontraproduktiv wirkt.
Hier gilt: Information ist etwas grundsätzlich anderes als Bildung. Durch „Bildung” lernt man, die gegebenen Informationen zu deuten. Diese Fähigkeit zu vermitteln gehört klar in die lokale Verantwortung. Deshalb müssen auch in Oberösterreich Maßnahmen gesetzt werden, diese Bildung, mit deren Hilfe die Informationen erst bedeutungsvoll werden, vermehrt vermitteln zu können.
Nur durch begleitende Bildungsmaßnahmen kann das „Mehr an Information” zu einem „Mehr an Vertrauen” in die regionale Lebensmittelproduktion führen.
Zur Person
DI Oskar Wawschinek MAS, MBA, ist Geschäftsführer der Lebensmittelversuchsanstalt (LVA), der größte private Labordienstleister für Lebensmittelanalysen sowie Audits, Zertifizierungen und Schulungen. Die LVA versteht sich als Kompetenzzentrum für die österr. Lebensmittelwirtschaft und bietet Expertise für Öffentlichkeitsarbeit, Risiko- und Krisenkommunikation sowie Unternehmensberatung an.