Manche haben sie schon lange entdeckt: die „Kreativen”. Sie gelten vielen als Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs von (vor allem) urbanen Regionen. Bereits im Jahr 2002 schrieb der Stadtforscher Richard Florida in seinem Buch „The Rise of the Creative Class” darüber wie die wirtschaftliche Prosperität und kulturelle Attraktivität einer Stadt immer mehr davon abhängen, ob es ihr gelingt diese „Kreativen” an sich zu binden bzw. anzulocken. Denn die von der Kreativen Klasse ausgehenden Innovationen sind in Floridas Theorie entscheidend für das ökonomische Wachstum einer Region.
The Creative Class
Basis hiervon ist die These eines gesellschaftlichen Strukturwandels im 20. Jahrhundert. Aus der Vogelperspektive betrachtet existieren demnach in postmodernen Gesellschaften primär nur mehr zwei soziale Gruppen: die „Kreative Klasse” und die „Service-Klasse” — während die klassische „Arbeiter-Klasse” immer mehr im Verschwinden begriffen ist. Die Kreative Klasse unterteilte Florida wiederum in den „Super-kreativen-Kern”, der unter anderem Ingenieure, Künstler, Universitätsprofessoren, Unternehmer, Designer oder „Thinktank-Forscher” umfasst, und in die Gruppe der „Kreativen Fachleute”. Diese zweite Gruppe umfasst alle, die in wissensintensiven Berufen arbeiten wie z.B. Anwälte, Facharbeiter, Ärzte, Bankangestellte. Deren Hauptbeschäftigung ist es zwar nicht, etwas Neues zu schaffen, aber ihr Beruf erfordert selbständiges Denken und kreative Problemlösungen. Demnach ist fast jeder und jede „kreativ”, der oder die nicht im ungelernten, produzierenden Industrie- oder im Servicesektor tätig ist.(1)
Bedeutung der Kreativen Klasse
Der kreative Output, die Innovationen, optimierten Prozesse oder neues Gedankengut welche die Klasse der Kreativen — auf technologischer, kultureller oder gesellschaftlicher Ebene — produziert, sind laut Florida der zentrale Faktor für zukünftiges Wirtschaftswachstum. Und da es Regionen gibt, die besonders viele Kreative beherbergen, sind diese Regionen auch die innovativen Wachstumsmotoren der globalen Weltwirtschaft. Denn die Konzentration von kreativen Humanressourcen führt zu überdurchschnittlichem Wachstum und Wohlstand und — damit einhergehend — mit sich ansiedelnden Unternehmen.
Nach Florida wurde das im 20. Jahrhundert vorherrschende fordistische Wirtschaftsmodell (Massenproduktion mit ungelernten Arbeitern und Maschinen), seit den 1980er Jahren großen Veränderungen unterworfen: Globale Konkurrenz und kurze Produktionszyklen führten zu einem Abflachen der Hierarchien in Betrieben, stärkerer Flexibilisierung und zu größerer Verantwortung der MitarbeiterInnen, deren kreatives Potential genutzt wurde. Im Jahr 2000 waren demnach in den USA bereits 30% aller Beschäftigten der kreativen Klasse zurechenbar, während die Anzahl der Beschäftigten der Service-Klasse auf 43% zurückgegangen war.(2)
Quantifizierung der Kreativen Klasse
Da diese Kreativen aber hoch mobil sind, konzentrieren sie sich vor allem in für sie attraktive Regionen. Um die Attraktivität einer Region zu messen, wurde von Florida das Modell der drei T — welches sich aus den Indikatoren Technologie, Talent und Toleranz zusammensetzt — entwickelt:
- Technologie steht für die bereits vorhandene Hochtechnologie- und Wissensbranche in einer Region; also die potentiell vorhandenen wissensintensiven Arbeitsplätze.
- Talent meint das bestehende kreative Potential einer Region; messbar durch die Zahl der Angestellten in kreativen Berufen.
- Toleranz steht für die Offenheit der Gesellschaft oder Region gegenüber Sub-Kulturen, Minderheiten und Migranten. Toleranz zieht eine große Vielfalt an Persönlichkeiten an, was wiederum zu einem hohen Austausch an neuen Ideen führt.(3)
Regionen in denen diese Faktoren dominieren, zeichnen sich durch Bildungsstärke, Weltoffenheit und das Vorhandensein von zukunftsträchtigen Wirtschaftsbranchen aus. Von diesen Regionen gehen entscheidende Innovationen aus, die einen Einfluss auf andere Räume ausüben. Sie ziehen weitere hochqualifizierte Kreative aus anderen Regionen an. Nach bestimmten Kriterien wie dem Bohemian Index, dem Gay Index oder dem Diversity Index versuchte Florida zu beurteilen, ob eine Region attraktiv für die Kreative Klasse ist und erstellte daraus Städte-Rankings.
Stadtforschung, Gentrifizierung und Urbanismus
Floridas Theorie hat großen Einfluss auf die Stadtforschung und ‑planung entfaltet. Bspw. wird versucht mit ihr den Prozess der Gentrifizierung, denn Stadtplaner heute bewusst zu aktivieren versuchen um Stadtviertel zu beleben, zu erklären. Durch diesen Prozess kommt es zu einer Ansiedlung „kreativer” Berufsgruppen in bestimmten „heruntergekommenen” Stadtquartieren, was eine Entwicklung der Aufwertung des Viertels, hin zum Trendviertel, in Gang setzen kann.
Dass es sich die Politik hier vielfach zu leicht macht, kritisierte kürzlich der Norweger Ståle Økland. Florida, meint er, wird falsch interpretiert und die Politik investiert zu oft nur in die „hübschen” Seiten der Urbanität, also in Kultur und Lifestyle, und nicht in Jobs und Business-Infrastruktur. Letztendlich seien es aber die Karrierechancen die die Mitglieder der Creative Class anziehe und nicht trendige Viertel, Cafés oder Theater. Investitionen in Kultur ziehen erst dann Menschen in eine Region, wenn diese auch ohne solche Investitionen für Kreative anziehend wäre — und dies gilt besonders für Städte aus der zweiten und dritten Reihe (wie Linz).(4)
Quellen:
(1) Alexandra Manske: Wer oder was ist die creative Klasse? Auf: www.goethe.de am: 28.06.2008.
(2) vgl. Richard Florida: The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure and Everyday Life. Basic Books, 2002, 72ff.
(3) vgl. Richard Florida: The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure and Everyday Life. Basic Books, 2002, 250ff.
(4) Detlef Gürtler: Das Florida-Syndrom. Gespräch mit Ståle Økland. In: GDI Impuls. Nr. 2. 2014, 76–80.
Zum Weiterlesen:
Ståle Økland und Nicolai Strøm-Olsen: Bykamp. Frekk Forlag, 2014.
Richard Florida: The Rise of the Creative Class. And How It’s Transforming Work, Leisure and Everyday Life. Basic Books, 2002.
Richard Florida: Cities and the Creative Class. Routledge, 2005.