Ein Auszug des Artikels „Arme sterben früher” von Dorit Kowitz (DIE ZEIT, 12. Juli 2012), der Studien des Robert Koch-Instituts (RKI Berlin)
Es geht um Verwerfungen im Leben, die arm und krank machen, die das Leben verkürzen
Zwischen dem reichsten und dem ärmsten Viertel der Bevölkerung besteht in der Lebenserwartung ein Unterschied von elf Jahren bei den Männern und acht Jahren bei den Frauen.
Forscher des Robert Koch-Instituts wiesen nach, dass weder langes Arbeiten noch bescheidene Einkommen für sich genommen riskant für Leib und Leben sind sondern Zeiten der Arbeitslosigkeit und unsichere Beschäftigungsverhältnisse. In ihrem Gesundheitsbericht für den Bund (Deutschland) schrieben sie: „Arbeitslose sind häufiger krank und sterben früher”, und „Prekär Beschäftigte haben mehr gesundheitliche Beschwerden.” Die psychische Gesundheit werde durch Jobverlust oder unsichere und schlecht dotierte Arbeitsverhältnisse „besonders beeinträchtigt”.
Was genau verkürzt das Leben der Absteiger und Armen
Nach ausgefeilten Befragungen von rund 15.000 erwerbstätigen und arbeitslosen Deutschen im Alter von 18 bis 64 in den Jahren 2009 und 2010 bietet sich den Forschern ein differenziertes und teils überraschendes Bild: Je häufiger ein Mensch arbeitslos ist und je länger er es bleibt, desto höher steigt sein Risiko, schwer zu erkranken — an Depressionen, Stoffwechselleiden oder Herz-Kreislauf-Beschwerden — und das gilt nicht nur für Unterprivilegierte. „Das Phänomen ist bildungsunabhängig und tritt bei Absteigern aus der Mittelschicht genauso auf”, erklärt der Soziologe Thomas Lampert vom Robert Koch-Institut. Was bei den Auswertungen zudem auffiel: Unsicher und schlecht entlohnte Beschäftige leben ähnlich gesundheitsbewusst wie Menschen mit einer guten, sicheren Stelle sind aber trotzdem viel häufiger krank. So haben beispielsweise Frauen in prekären Jobs an 35 Prozent mehr Tagen körperliche Beschwerden als ihre Altersgenossinnen mich sicheren Jobs.
In unteren Einkommensschichten wird mehr geraucht, Alkohol getrunken und falsch gegessen als in anderen, dazu kommt Bewegungsmangel, das zeigen die Analysen vom Robert Koch-Institut, wie unzählige Studien davor. Lampert ergänzt, dass materielle Not und Angst vor der Zukunft psychosozialen Stress auslösen und krankheitsanfällig machen.
Untersuchungen belegen: Männer und Frauen sind unterschiedlich gefährdet
Männer neigen eher dazu, durch einen sozialen Abstieg aus der Bahn zu geraten. Scheidung und Schulden verquicken sich mit Süchten und Verarmung. Frauen dagegen fangen sich in einer Arbeitslosigkeit schneller. Lampert sagt, beide Phänomene hätten dieselbe Wurzel: Auf der Mehrheit der Männer lastet noch immer der Druck, Haupternährer der Familie zu sein. Genügen sie dem nicht, bricht oft gleich mehr weg als nur der Job: Haus, Ehe, Kinder, Ansehen. Frauen, die ihre Arbeit verlieren, haben dagegen häufiger die Möglichkeit, eben durch einen solchen Ernährer aufgefangen zu werden. Was Frauen jedoch stark gefährdet und krank macht, sind unsichere und schlecht bezahlte Beschäftigungsverhältnisse wie Leiharbeit oder 400-Euro Jobs. Bei Alleinerziehenden in prekärer Stellung potenzieren sich dann die Risiken: Geldmangel, Erschöpfung und Zukunftssorgen wirken wie ein schleichendes Gift im Körper.
„Die Lösungen liegen auf dem Arbeitsmarkt und damit in der Gesellschaft.”
Thomas Lampert vom Koch-Institut glaubt nicht, dass mehr soziale Fürsorge oder ein Ausbau des Gesundheitswesens durch den Staat die Leben der Armen verlängern würden. Sichere Beschäftigungsverhältnisse, faire Löhne, alters- und familiengerechte Arbeitszeitmodelle und eine größere Durchlässigkeit zwischen den Schichten seien Schlüssel für gesündere und damit längere Lebensläufe.
Der Österreichische Weg
Im Jahresdurchschnitt 2011 betrug laut Mikrozensus die Zahl der Arbeitslosen in Österreich nach internationaler Definition 179.000 (ILO-Konzept). Im Vergleich zum Vorjahr wurde nach internationaler Definition eine Abnahme von 9.100 Arbeitslosen verzeichnet. [1] Im Jahr 2011 waren in Österreich laut AMS rund 247.000 Personen von Arbeitslosigkeit (,Arbeitslosigkeit‘ nach nationaler Definition) betroffen, 139.000 Männer und 108.000 Frauen. Die Arbeitslosenquote betrug 6,7%, bei den Frauen 6,3%, bei den Männern 7,1%. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der Arbeitslosen um 4.000. [2]
Oberösterreich hatte in der heurigen ersten Jahreshälfte die geringste Arbeitslosenquote (4,6%) des Landes, im Juni 2012 lag sie bei 3,6%. [3] 2011 waren in Österreich um etwa 433.000 mehr Personen als noch vor zehn Jahren erwerbstätig. Diese Entwicklung geht fast ausschließlich auf das Konto der weiblichen Erwerbstätigen, deren Zahl sich seit 2001 beträchtlich erhöhte. [4] Trotz Rückgang der Arbeitslosigkeit und Zunahme der Erwerbstätigen, vor allem der Frauen, mehrten sich atypische Beschäftigungs- [5] und prekäre Beschäftigungsverhältnisse [6] in Österreich: beispielsweise stiegen die Teilzeitjobs bei Frauen und Männern[7], Leiharbeit nahm zu [8] und das Phänomen der ‚Generation Praktikum‘ entwickelte sich. Deutlich wird ein stetiger Anstieg der Zahl der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in Österreich seit Beginn Beobachtungszeitraumes. Waren im Januar 1997 noch unter 160.000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse registriert, bestand im März 2010 bereits eine Zahl von über 302.000. Diesen Daten zufolge ist basierend auf einer Fortschreibung davon auszugehen, dass diese Beschäftigungsform auch in Zukunft noch eine weitere Ausweitung erfahren wird. Jährliche Zuwachsraten zwischen 3% und 4% dürften durchaus realistisch sein. [9]
Kritische Beschäftigungsverhältnisse sind auf keine Weise, wie oben erläutert, für den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden der Bevölkerung förderlich, im Gegenteil, sie lösen Stress aus und machen krankheitsanfällig.
Gibt es am österreichischen Arbeitsmarkt einen Spielraum, diesem Trend entgegenzuwirken und sichere Beschäftigungsverhältnisse in einer immer unsichereren Wirtschaftslage und Zeit zu fördern und dadurch Wohlergehen, Gesundheit und Lebenserwartung zu steigern?
[1] STATISTIK AUSTRIA. [Letzte Änderung: 20.06.2012] http://www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/arbeitslose_arbeitssuchende/index.html [Zugriff: 1.8.2012]
[2] Ebd. http://www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/erwerbsstatus/index.html [Zugriff: 1.8.2012]
[3] Land Oberösterreich. (2012). http://www.land-oberoesterreich.gv.at/cps/rde/xbcr/SID-C0FC4463-880424A0/ooe/stat_Kurzbericht.pdf [Zugriff: 1.8.2012]
[4] Ebd.
[5] „Atypischen Beschäftigungsformen”
_Fehlende Zeitkontinuität des Arbeitseinsatzes;
_geringeres oder höheres Arbeitsstundenausmaß;
_ungewöhnliche Lage der Arbeitszeit;
_diskontinuierlicher Arbeitseinsatz;
_permanent außerbetrieblicher Arbeitseinsatz;
_Trennung von VertragspartnerIn und LeistungsnehmerIn oder
_fehlende sozialrechtliche (Ab-)Sicherung.
Arbeiterkammer. (2012). Seite 4 http://www.arbeiterkammer.at/bilder/d168/MWUG112.pdf [Zugriff: 2.8.2012]
[6] „Kriterien prekärer Beschäftigung”. Arbeiterkammer. 2012. Seite 40 http://www.arbeiterkammer.at/bilder/d168/MWUG112.pdf[Zugriff: 2.8.2012]
[7] Ebd. http://www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/arbeitszeit/teilzeitarbeit_teilzeitquote/index.html [Zugriff: 1.8.2012]
[8] Arbeiterkammer. http://www.arbeiterkammer.at/online/leiharbeit-1987.html [Zugriff: 1.8.2012]
[9] L&R Social Research. (2011). http://www.lrsocialresearch.at/files/Forschungsbericht_2011_Geringfuegige_Beschaeftigung_-_L&R_Sozialforschung_(53).pdf [Zugriff: 2.8.2012]