Freudig wird man von einer Gruppe stolzer, junger Absolventinnen und Absolventen an der Wiener Pädagogischen Hochschule empfangen. Sie tragen schwarze Roben, blaue Schals und die aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannten Graduierten-Hüte. Es sind akademische Feiern im Gange. „Soweit ich weiß, sind wir momentan die einzige Pädagogische Hochschule im Land, an der Studierende diese Graduierungsroben und ‑hüte tragen” erklärt die Rektorin. „Ursprünglich standen viele dieser bei uns 2007 nicht üblichen Form der akademischen Feier und Würdigung skeptisch gegenüber, aber es zeigten sich sehr rasch, sehr positive Auswirkungen auf die Identifikation mit der damals noch eher neuen Form von Bachelorgraduierungen. Heute würde uns ein wesentlicher äußerlicher Teil der akademischen Feier fehlen.”
Neu im Beirat
Rektorin Hackl ist das neueste Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von ACADEMIA SUPERIOR. Hier freut sie sich besonders darauf, Themen anzusprechen, zu diskutieren, Impulse zu setzen aber auch Impulse zu bekommen, um über Dinge nachzudenken, neue Anregungen und Sichtweisen aufzunehmen und natürlich auf das Zusammentreffen mit spannenden Menschen.
Dagmar Hackl bedauert, dass sie im durchwachsenen Alltag als Rektorin einer Einrichtung mit 490 Professorinnen und Professoren sowie Verwaltungspersonal und rund 1500 externen Lehrbeauftragten viel zu wenig dazukommt, sich mit den tiefgründigen Fragen in der Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer zu beschäftigen. Seit sechs Jahren managt sie eine Organisation, die aus vier heterogenen Institutionen zusammengestellt wurde — eine große Herausforderung in Anbetracht fehlender etablierter Verwaltungsorganisationen, wie sie etwa an Universitäten zu finden sind. Eine neue Strategie hilft ihr derzeit bei der Bewältigung der oft überbordenden täglichen Arbeit: „Ich versuche gerade, nicht zwei Dinge gleichzeitig zu machen. Da kommt man unheimlich herunter.”
Ausbildung auf einen Punkt, der auf die heutigen Anforderungen ausgerichtet ist, ist nicht zielführend
Rektorin Hackl arbeitet gerade an ihrer beruflichen Zukunft, zunächst die Rückkehr in das Ministerium und danach all die Projekte, mit denen sie sich schon lange beschäftigen möchte: einerseits die Weiterentwicklung von Bildungsfragen und deren Mitgestaltung „als zukunftsorientierter, denkender Mensch” und andererseits die Begleitung russischer Bildungsprojekte.
„Wir bilden Lehrerinnen und Lehrer aus, die 40 Jahre im System sind”, meint Hackl und hinterfragt das Bildungssystem in Bezug auf seine Zukunftstauglichkeit: „Somit ist die Idee, Lehrerinnen und Lehrer auf einen Punkt im Heute auszubilden, nicht zielführend, denn wir wissen heute nicht, was Lehrerinnen und Lehrer später (in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren) in den Schulen erwarten wird. Das heißt, wir müssen uns fragen, wie können wir diese Perspektiven als prägendes und gestaltendes Merkmal in die Lehrerbildung zusätzlich zur Vermittlung des derzeitigem Wissensstandes integrieren?”
Von Konzepten die davon ausgehen, dass in der Lehrerausbildung Bestehendes bloß immer weiter angepasst wird und kontinuierlich weitergeht, hält Hackl wenig. Vielmehr erwartet sie für die Zukunft der Bildung radikaler Änderungen und wirft dabei die Frage auf, welche Ansprüche hier entstehen werden: einerseits in Bezug auf die Organisation und Struktur von Schule schlechthin, andererseits in Bezug auf die neuen Formen der Lehrerbildung. Beides hängt natürlich wesentlich auch an den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Wird „Schule” als Organisationsform für Bildung überleben?
„In der Vergangenheit hat mich in der Bildung nichts überrascht”, meint Hackl nüchtern. Überraschungen sieht sie eher in der Zukunft: „Ein Überraschungsfaktor der Zukunft wird sein, ob wir dann noch von einer Schule in der Form sprechen können, wie wir sie kennen. Kann die Organisation Schule den Anforderungen der Zukunft gerecht werden? Oder wird es eine ganz andere Form des Zugangs zu Bildung geben; dazu wie Kinder lernen aber auch wie Erwachsene lernen?” spekuliert die Bildungsexpertin. Sich mit diesen spannenden Fragen zu beschäftigen erfordert einen Rahmen, in dem man frei denken und die Ergebnisse mit anderen er- und bearbeiten kann.
Das Miteinander fehlt
Eine der größten Gefahren unserer Zeit lauert der Pädagogin zufolge in einem zunehmend negativen Miteinander innerhalb der Gesellschaft. So beobachtet Hackl im täglichen Leben, dass immer mehr Menschen die Achtung voreinander verlieren und kaum Verständnis füreinander aufbringen. Es gibt Unfreundlichkeit, Neid, Animosität, bis hin zur ‚Bösartikgeit‘. Schockiert ist sie, wie Menschen, die manchmal nicht in ein bestimmtes Schema passen, bis an Fragen der persönlichen Integrität und Existenz „gedemütigt” werden und wie herabwürdigend Menschen heute immer öfter behandelt werden, wenn sie nicht mit dem Durchschnitt der Masse übereinstimmen.
Mehr Menschlichkeit in guten Zeiten
„Wir hören und lesen von Studien, die besagen, dass die jungen Leute heute lieber mit dem Computer als mit Menschen kommunizieren „, meint sie besorgt und fragt sich, wo das Miteinander bleibt: „Besonders miteinander lachen und fröhlich sein scheint verloren gegangen zu sein, dabei wäre das so wichtig. Wir dürfen nicht erst warten, bis es uns schlecht geht, sondern müssen jetzt schon erkennen, wie sehr wir einander in Sinne unserer Menschlichkeit auch in guten Zeiten brauchen!” Auch im Beruf lauert die Gefahr der Vereinsamung. Dagmar Hackl berichtet aus eigener Erfahrung, dass die Luft sehr dünn wird, wenn man als Frau die gläserne Decke durchbricht.
Wir brauchen Mutbürger!
Der Ausdruck „Wutbürger” gefällt der Rektorin nicht, da er viel Aggressivität suggeriert. Viel lieber spricht sie immer wieder im öffentlichen Rahmen vom „Mutbürger”, von der „Mutbürgerin”, also von Menschen, die den Mut aufbringen, sich gegen Dinge und Sachverhalte zu stellen, hinter denen sie nicht stehen können und dort neue Wege aufzeigen: „Man muss Verhaltensweisen leben und Verantwortung für die Zukunft übernehmen”. Beispielhaft erwähnt sie etwa den Mut der ORF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich auf Kanälen wie YouTube öffentlich gegen die politische Einflussnahme im ORF gewehrt haben. Ähnlich sieht sie auch die Situation im Bildungsbereich und meint bestimmt: „Wir erziehen und entwickeln dort junge Menschen für die gesamte Gesellschaft. Die Bildungspolitik gibt ja im Sinne des WählerInnenwillens schon die großen parteipolitischen Linien vor. Parteipolitik hat dann in der Schule direkt nichts mehr verloren. Jedenfalls sollte für alle Posten im Bildungsbereich erstes Maß immer die Qualifikation der ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber sein. Nur mit den Besten der Besten kann Schule die Zukunft des Landes gestalten.”
Heute für morgen und übermorgen
„Wo sind die großen Philosophen, die uns eindringlich warnen?” fragt Hackl und sieht heute einen Mangel an philosophischen Menschen, die uns lautstark davon abhalten, uns im Trubel der Komplexität unseres derzeitigen Lebens auf die falschen Fährten zu begeben. Es ist ein überlebenswichtiger Schritt, dass wir alle wieder lernen, an die heute für morgen und übermorgen anstehenden Sach- und Lebensfragen unserer Gesellschaft ohne Rücksicht auf möglich Nachteile, die wir für uns selbst dadurch erwirken, mutig, offen, frei, gestaltend und zukunftsorientiert heranzugehen.