Die Zukunft ist überbewertet

Markus Hengstschläger sprach im DIALOG mit dem Philosophen Konrad Paul Liessmann.

Bere­its zum zwölften Mal kon­nte sich der Obmann von ACADEMIA SUPERIOR, Wirtschaft­s­lan­desrat Dr. Michael Strugl, über einen bis zum let­zten Platz gefüll­ten Fest­saal im Süd­flügel des Linz­er Schloss­es freuen: Gast von Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger, dem Wis­senschaftlichen Leit­er von ACADEMIA SUPERIOR, beim DIALOG am Mon­tag-Abend war der renom­mierte Philosoph, Buchau­tor und geschätzter Uni­ver­sität­spro­fes­sor Dr. Kon­rad Paul Liess­mann. Oder wie Markus Hengstschläger sagte: „Das Leben­sziel viel­er Men­schen, ob Stu­dent oder Pen­sion­ist, ist es, eine Vor­lesung bei Kon­rad Paul Liess­mann zu besuchen.“

 

Unter dem pro­vokan­ten Titel „Die Zukun­ft ist über­be­w­ertet“ wurde über vielfältig­ste The­men disku­tiert: Vom Wert der Philoso­phie und human­is­tis­ch­er Bil­dung in der Arbeitswelt der Zukun­ft, über den britis­chen Brex­it und die Bedeu­tung von Gren­zen und Reli­gio­nen, bis hin zu Dig­i­tal­isierung, Maschi­nen­s­teuer und dem bedin­gungslosen Grun­deinkom­men – im Dia­log des Genetik­ers Hengstschläger mit dem Philosophen Liess­mann wur­den viele Fra­gen aufge­wor­fen und stets pointierte Antworten gefunden.

Technologie alleine kann keine Probleme lösen

In den Fäch­ern Math­e­matik, Infor­matik, Natur­wis­senschaft, Tech­nolo­gie sowie Chemie und Biolo­gie gibt es zu wenig Nach­wuchs bzw. zu wenig junge Men­schen, die sich für Stu­di­engänge dieser Art entscheiden.

Kon­rad Paul Liess­mann stimmt dem prinzip­iell zu, betont jedoch: „Der Glaube, dass die rel­e­van­ten Prob­leme unser­er Zeit, unser­er Gegen­wart, und unser­er nahen Zukun­ft durch Tech­nik oder allein durch tech­nis­che Inno­va­tio­nen gelöst wer­den kön­nen, ist ein Irrglaube.“

Es reicht nicht aus, Prob­leme einzig und allein aus ein­er tech­nol­o­gis­chen Lösungsper­spek­tive zu behan­deln, und diese dann möglicher­weise auch noch mit ein­er Naiv­ität unhin­ter­fragt einzuset­zen. Deshalb beste­ht die Notwendigkeit von Men­schen, die sich auch in anderen Diszi­plinen, wie his­torischen, sozial­wis­senschaftlichen, kul­tur­wis­senschaftlichen Diszi­plinen, Psy­cholo­gie, Päd­a­gogik und Philoso­phie bewähren, denn kom­plexe Fra­gen erfordern unter­schiedliche Perspektiven.

Kon­rad Paul Liess­mann ver­weist in diesem Kon­text auf die Bedeu­tung der Philoso­phie und beze­ich­net sie als die „Mut­ter aller Wis­senschaften und das Handw­erk­szeug für das Denken, welch­es seit der Antike ver­sucht, Wirk­lichkeit zu erfassen und Kausal­itäten zu erforschen – durch Nach­denken, aber auch durch empirische Beobach­tun­gen und Experimente.“

Hat Österreich zu viele Philosophen?

Alleine am Insti­tut für Philoso­phie in Wien sind momen­tan 5.000 Studierende inskri­biert. Das mag auf den ersten Blick viel erscheinen, tat­säch­lich schließen aber nur 3% ihr Studi­um in der Min­destzeit ab.

80% dieser Studieren­den studieren Philoso­phie neben Wirtschaft, ein­er Natur­wis­senschaft oder Medi­zin als Zweit­fach. Liess­mann erk­lärt diese Entwick­lung fol­gen­der­maßen: „Die Stu­den­ten ver­lan­gen nach einem geisti­gen Umfeld, wozu die Philoso­phie prädes­tiniert ist. Es kann nie zu viele Ökonome, Natur­wis­senschaftler, Ärzte und Tech­niker geben, die auch eine Ahnung von grund­sät­zlichen moralis­chen und ethis­chen Fra­gen haben – das war schließlich die ursprüngliche Idee der Aufklärung.“

Leute, die nach­denken, kann es auch in Zukun­ft nicht zu viele geben.

Denken mit Weite und Offen­heit und Men­schen mit neuen Wegen und Ansicht­en sind in ein­er sich verän­dern­den Welt mehr denn je gefragt. Dies bewahrt davor, ein The­o­rem oder einen bes­timmten Gedanken als den einzig wahren zu sehen.

Digitale Transformation 4.0. – oder die Gefährdung des Grundeinkommens?

 „Wenn die Dinge nur noch automa­tisiert erzeugt wer­den, nie­mand mehr einen Job hat, und wir an dem wah­n­witzi­gen Sys­tem fes­thal­ten, dass nur der­jenige Geld bekommt, der einen Job hat, stellt sich irgend­wann die Frage: Wenn kein­er mehr einen Job und kein­er mehr Geld hat, wer soll die Dinge kaufen, die durch Auto­mat­en pro­duziert wer­den?“ – so fasst Liess­mann die Gedanken rund um die Automa­tisierung der Arbeitswelt, Arbeit­slosigkeit und dem bedin­gungslosen Grun­deinkom­men zusammen.

Nach­dem Kon­rad Paul Liess­mann betont, er sei kein Ökonom und sehe diese The­matik dif­feren­ziert, fährt er fol­gen­der­maßen fort: „Solange wir in diesem Sys­tem sind, und die Über­gangszeit­en zwis­chen ver­schwinden­den Jobs und neu geschaf­fe­nen Jobs immer länger andauern, wer­den wir nach irgen­deinem Mod­ell suchen müssen, um Men­schen wed­er sozial noch ökonomisch aus der Gesellschaft hin­auszutreiben, was wiederum die logis­che Kon­se­quenz ein­er automa­tisierten Gesellschaft wäre. Anson­sten wären per­ma­nente Absatzkrisen die Folge.“

Liess­mann meint weit­er, dass er das psy­chol­o­gisierende Argu­ment, Men­schen wür­den im Falle, dass ihnen ein bedin­gungslos­es Grun­deinkom­men zustünde, gän­zlich aufhören sin­nvoll tätig zu sein, für ein Gerücht hält und ver­weist auf Wil­helm von Humboldt:

Der Men­sch ist tat­säch­lich ein tätiges Wesen, er hat Lust daran etwas zu tun, zu gestal­ten und die Welt zu verändern.

Es muss für Men­schen also auch dann, wenn sie ihren Job ver­loren haben, die Möglichkeit beste­hen, an der Gesellschaft teilzuhaben, was wiederum den Anspruch auf ein bedin­gungslos­es Grun­deinkom­men voraussetzt.

Der Wert der Grenze

Ste­ht einem Men­schen wirk­lich frei zur Wahl, wo er leben möchte, unab­hängig davon, wo er ursprünglich herkommt?

Ger­ade auf­grund der aktuellen Wan­derungs- und Flüchtlings­de­bat­ten wird Gren­zen, Mauern und Zäunen eine Bedeu­tung beigemessen, die es so seit vie­len Jahren nicht gegeben hat. Es wurde vergessen, dass Europa eine Außen­gren­ze hat und haben muss. Die Exis­tenz dieser Außen­gren­ze wurde den Europäern aber spätestens Ende 2015 wieder ins Bewusst­sein gerufen.

Ohne ein Plä­doy­er für Gren­zen auszus­prechen, müssen Gren­zen laut Kon­rad Paul Liess­mann immer von zwei Seit­en gese­hen wer­den: „Durch Gren­zen gren­zt man sich zum einen ab, zum anderen haben Gren­zen jedoch auch eine Schutz­funk­tion. So markieren Gren­zen die jew­eili­gen Rechts- und Sozialord­nun­gen der einzel­nen Länder.”

Er sieht eine ein­fache Auflö­sung dieser Gren­zen als Ursprung neuen Chaos, doch ander­er­seits gilt es auch festzuhalten:

Gren­zen definieren sich dadurch, dass man sie über­schre­it­en kann – wären sie nicht über­schre­it­bar, so wäre es ein Ende. (Liess­mann in Anlehnung an Hegel)

Das Prob­lem liegt jedoch darin, dass eine Vielzahl von Men­schen ihre Sicher­heit in Gefahr sehen, bzw. sie sich außer­halb dieses Schutzraumes ein­er Willkür aus­ge­set­zt sehen. Und ein­er Willkür aus­geliefert zu sein, ist laut Kon­rad Paul Liess­mann sozusagen das Ende jed­er nur irgend­wie demokratisch legit­imier­baren Herrschafts­form. In Unsicher­heit zu leben und Pen­sion­szahlun­gen oder Arbeit­slosen­ver­sicherung bedro­ht zu sehen, ist ab einem gewis­sen Punkt nicht mehr trag­bar, und so lautet die Frage des Volkes: Wer kann mir diese Sicher­heit geben und dafür garantieren?

Brexit und die Prinzipien der Demokratie

Wäre es gerecht­fer­tigt bei der Abstim­mung über den EU-Verbleib oder Aus­tritt des Vere­inigten Kön­i­gre­ichs (Brex­it) den jun­gen Men­schen zwei Stim­men, den älteren nur eine Stimme anzurech­nen, weil diese Gen­er­a­tion banal gesagt, die nahe Zukun­ft nur noch bed­ingt miterlebt?

Kon­rad Paul Liess­mann räumt ein, dass es grund­sät­zlich eine demokratiepoli­tis­che Katas­tro­phe wäre, Stim­men zu gewicht­en – „Jede Form von Zen­sus-Wahlrecht, egal ob an Ver­mö­gen, Intel­li­genz, Einkom­men oder Alter gebun­den, ist der Tod der Demokratie.“

Zudem zeigt ein Blick auf die Wahlanalyse, dass die unter 35-Jähri­gen zwar klar für den Verbleib in der EU ges­timmt haben, die Wahlbeteili­gung liegt bei dieser Gen­er­a­tion jedoch lediglich bei knapp 30%. Somit hat 70% der jun­gen Wäh­ler die Frage: „EU – ja oder nein?“ nicht inter­essiert. Liess­mann erk­lärt fol­glich: „Die britis­che Jugend ist an Europa nicht inter­essiert, weil sie als junge gebildete Staats­bürg­er eine Welt offen sehen, die nicht an Europa gekop­pelt ist und sie ihre Per­spek­tiv­en ganz woan­ders sehen.“

Wie Europa nun den Brex­it auch als neue Per­spek­tive und Chance nutzen kann, äußert Liess­mann fol­gen­der­maßen: „Jet­zt wäre der Weg frei, Dinge wirk­lich durchzuset­zen die die europäis­che Inte­gra­tion, die poli­tis­che Ein­heit betr­e­f­fen. Ein Beispiel hier­für wäre die Transak­tion­ss­teuer, wodurch eine Rei­he an sozialen Prob­le­men gelöst wer­den kön­nte, die bis­lang am Wider­spruch Eng­lands gescheit­ert sind,“ und meinte weit­er: „Vielle­icht erleben wir es dann ja, dass Eng­land in 20 Jahren wieder beitritt – ohne die bish­erige Sonderbehandlung“.

Das Revival der Religion

Kon­rad Paul Liess­mann hat, wie bere­its Sig­mund Freud oder Friedrich Niet­zsche, der Reli­gion ein Ende voraus­ge­sagt, und sieht Reli­gion in einem wis­senschaftlich-tech­nis­chen Zeital­ter mit aufgek­lärten Men­schen, höch­stens in Form von Wei­h­nachts- und Osterfolklore.

Die größte Über­raschung der let­zten Jahrzehnte sei es für ihn als Philosophen gewe­sen, dass das The­ma Reli­gion eine Wiederkehr erlebt. Grund ist wie bere­its bei der Gren­zthe­matik, der momen­tane Flüchtlingsstrom, was Anstoß zu „neuen Auseinan­der­set­zung mit jenen For­men des Islam ist, die mit unseren Werten nicht vere­in­bar sind“, betonte der Philosoph.

Die wesentliche Frage beschäftigt sich hier mit der Dif­ferenz zwis­chen religiös bes­timmten und ratio­nal-aufgek­lärt bes­timmten Lebens- und Gesellschaftsvorstel­lun­gen. Disku­tiert muss in diesem Fall beispiel­sweise wer­den, ob und wie religiös eine Recht­sor­d­nung sein darf, die auch für Men­schen gel­ten soll, die dieser Reli­gion nicht angehören.

Die zweite große Über­raschung sei gewe­sen, dass die kom­mu­nis­tis­che Welt, die in den 1970er Jahren noch direkt und indi­rekt zwei Drit­tel der Men­schheit beherrscht hat­te, so rasch auseinan­derge­brochen ist. So sei z.B. auch der Ter­ror in den Siebziger Jahren vor allem marx­is­tisch motiviert gewe­sen – nun­mehr gebe es dafür immer mehr eine religiöse, vor allem islamistis­che, Legit­imierung. „Auf diese Her­aus­forderung brauchen wir in Zukun­ft eine Antwort“, zeigte sich Kon­rad Paul Liess­mann überzeugt und betonte: „Für die Zukun­ft brauchen wir weit­sichtige Poli­tik­er, ver­ant­wor­tungs­be­wusste Ökonomen und Tech­niker und auch gute Philosophen“.

„Bildung alleine reicht nicht aus“

Kann Bil­dung alleine vor poli­tis­chen Prob­le­men, Extrem­is­mus und Ter­ror­is­mus bewahren?

Auf diese Frage reagiert Liess­mann zunächst mit der Aus­sage, dass auch er Bil­dung lange Zeit als den Schlüs­sel für die Bewäl­ti­gung der Zukun­ft gese­hen hat. Eine Zukun­ft mit gut gebilde­ten Men­schen die auf­grund ihres Wis­sens, ihrer Meth­o­d­en und The­o­rien auf etwaige Gefahren bess­er reagieren kön­nen.  Dieser Ansicht gilt es jedoch mit Skep­sis zu begegnen:

Bil­dung alleine reicht nicht aus. Man darf dabei nicht vergessen, dass viele der Prob­leme, die wir heute haben, ger­ade durch gebildete Men­schen her­vorgerufen wurden.

Es gilt also zu definieren, welche Bil­dung Men­schen für die Zukun­ft brauchen und in welchem Kon­text diese Bil­dung ste­hen soll. Liess­mann sieht Bil­dung, die den Rah­men der Aus­bil­dung und Qual­i­fika­tion nicht über­schre­it­et, als ein­deutig zu wenig: „So kann ein Medi­zin­er zugle­ich ein per­fek­ter Folterknecht wer­den, und eine beg­nadete Physik­erin die besten Atom­bomben bauen.”

Geht diese Qual­i­fika­tion also nicht ein­her mit ein­er Human­ität, ein­er Rei­he von ethis­chen Fak­toren und moralis­ch­er Intel­li­genz, sowie einem Gefühl für das Angemessene, kann diese Qual­i­fika­tion eben­so eine Gefahren­quelle darstellen.

Unter­stützt wurde die Ver­anstal­tung von der HYPO Oberöster­re­ich, vertreten durch den Gen­eraldirek­tor Dr. Andreas Mit­ter­lehn­er, welch­er zu Beginn der Ver­anstal­tung äußert: „Ich bin davon überzeugt, dass ACADEMIA SUPERIOR hier etwas sehr Gutes für Oberöster­re­ich aufge­baut hat, denn wir stellen uns alle die gle­iche Frage: Was kann eine gute Zukun­ft sein?“

Audiomitschnitt des DIALOGs: