Welche Qualitäten bringen Frauen in Führungspositionen ein? Welche Aspekte einer Organisationskultur begünstigen eine positive Entwicklung für Unternehmen? Und welche Rolle spielt dabei das Potenzial weiblicher Visionen? Die US-Amerikanische Leadership-Expertin Sally Helgesen analysiert seit über 25 Jahren Personen in Führungspositionen und stellte bei einem RoundTABLE in der ACADEMIA SUPERIOR ihre Erkenntnisse zur Diskussion. Der Titel des Meetings: „The Power of Female Vision. Advantages and Challenges for Women in Leadership”. Eines stellte die Expertin klar: Im digitalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts wird eine neue Art von Führungsstil nötig sein. Und vor allem Frauen werden diesen neuen Stil in Unternehmen einbringen.
Statt Unzulänglichkeit die Potenziale erkennen
„Warum sind Unternehmen und Organisationen so schlecht darin, das enorme Potenzial von Frauen besser für sich zu nutzen?” stellte ACADEMIA-SUPERIOR-Geschäftsführerin Dr. Claudia Schwarz als Kernfrage der Diskussion in den Raum. Als Sally Helgesen in den 1990er Jahren anfing, sich eingehend mit Aspekten des Leaderships zu beschäftigen, war die Botschaft an Frauen klar: sie müssen an sich arbeiten, um dem männlichen Führungsstil möglichst nahe zu kommen und sich in hierarchischen Organisationsstrukturen zu fügen. Mit ihrem Buch „The Female Advantage” (in der deutschen Übersetzung: „Frauen führen anders”) läutete Helgesen einen Paradigmenwechsel ein und betrachtete erstmals die vielen Vorzüge eines weiblichen Führungsstils. Dazu gehören etwa die Art, wie Frauen Beziehungen pflegen und zusammenarbeiten, wie sie Arbeits- und Privatleben effizient zusammenführen, wie sie aus der Mitte heraus — anstatt von oben nach unten — führen, oder wie sie intuitiv mit Diversität und Vielfalt umgehen.
„For women it’s important to be able to see their capacity as an advantage and to present it that way.”
Welches Potenzial Frauen für Organisationen damit einbringen, zeigen jüngste Studien, nach denen eben diese Eigenschaften bei Führungskräften immer bedeutsamer werden. Denn in einer vernetzten, globalen Welt werden genau jene Talente vermehrt gefragt, die man zu den „weiblichen Eigenschaften” zählen würde.
Fehlen den Frauen die Visionen?
Frauen tendieren dazu, ein breites Spektrum an Dingen wahrzunehmen, Männer sind wesentlich fokussierter. Daher kommt auch, dass gutes Leadership weitläufig mit der Fähigkeit zu Fokussieren gleichgestellt wird. Doch Helgesen stellt klar: Fokus und Leadership sind nicht dasselbe. Und zu einer Vision gehört mehr als das konsequente Verfolgen von definierten Zielen, sie erfordert Weitblick.
„Books in the 1990s were all about how women needed to change. My book was about the unique qualities women can bring to organizations.”
Genau dort schlummert bei Frauen aufgrund ihrer Fähigkeit des Wahrnehmens der Umgebung ein enormes Potenzial, das aber bislang zu wenig ans Licht kommt. Diese potentielle Stärke im strategischen Leadership gilt es durch geeignete Kommunikationsformen zu heben.
Leadership-Programme — auch für Männer
Die US-Amerikanerin glaubt zwar, dass Quoten-Regelungen den Frauen schaden, sie ist jedoch überzeugt davon, dass Organisationen in die Verantwortung genommen werden müssen, aktiv nach geeigneten Frauen für Führungspositionen zu suchen. In Leadership Programmen für Frauen sieht sie wichtige Chancen für eine positive Entwicklung und sie ist auch eine vehemente Verfechterin vom Mentoring. Speziell die Förderung von Mentoring-Programmen zwischen Frauen und bereits gut vernetzten Männern sowie von Peer Coachings erachtet sie als erfolgsversprechendes Zukunftsmodell.
Mindestens genauso wichtig sind für Helgesen aber auch Führungskräftetrainings für Männer, um ihnen dabei zu helfen, das Potenzial von Frauen in Organisationen zu verstehend und besser für das eigene Unternehmen nutzbar zu machen — zum Nutzen aller Beteiligten.
Neue Technologien verringern Gender-Unterschiede
Technologische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte durchbrechen nicht nur Hierarchien sonder auch etablierte Strukturen und schaffen so Freiräume. „Erstmals verwenden heute Männer und Frauen von klein an dieselben Werkzeuge” stellt Helgesen mit Blick auf die Evolutionsgeschichte fest, „das wird sich auch auf die Ausbildung ähnlicherer Fähigkeiten auswirken”.
„Technology has been an ally of women and outsiders of all kinds because it has promoted a less hierarchical leadership style.”
So erwartet sie, dass der Umgang mit denselben Werkzeuge und Technologien auch neuroplastische Spuren hinterlässt und bald durch Scans wissenschaftlichen nachweisbar sein wird, dass in den kommenden Generationen genderspezifische Unterschiede abnehmen.
Beitrag von Frauen zur Entwicklung von Unternehmen wird in Zukunft immer wichtiger
Führungskräfte großer Unternehmen sind überzeugt: Was es in Zukunft braucht, sind Führungskräfte mit der Fähigkeit, um die Ecke zu sehen. Wer die Fähigkeit besitzt, ein großes Spektrum an Dingen wahrzunehmen, sollte von dieser Entwicklung also begünstigt sein. Ebenso wird Diversitätsmanagement in Zukunft groß geschrieben, was eine der Kernkompetenzen von Frauen trifft.
„I think it is important to have women’s leaderhsip programs but also to work directly with the senior managers in organizations to help them understand how to better understand and use the potential of women in their organization.”
Überhaupt zeigen neueste Studien, dass etablierte Wertesysteme aufgebrochen werden und die nächsten Generaterationen Gender-unabhängig ähnlichere Lebensziele verfolgen: Geld ist nicht mehr alleinig ausschlaggebend für Erfolg. Die Jungen wünschen sich die Freiheit, das Tempo ihrer Arbeit selbst zu regulieren und sinnstiftend tätig zu sein.
Surprise Factors
Worauf wir vorbereitet sein sollten und was uns noch überraschen wird, ist laut der Leadership-Expertin das Ausmaß dessen, wie wir Verschiedenheit und Vielfalt in Zukunft leben und erleben werden. Auch in der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine in Organisationen erwartet sie große Entwicklungen, sodass menschliche Fähigkeiten und Talente bedeutsamer, klarer erkannt, und in Unternehmen besser integriert werden. Helgesen ist auch überzeugt davon, dass sich Menschen im Alter von 70 aufwärts noch mehr und gestalterisch in Organisationsstrukturen und gesellschaftliche Prozesse einbringen werden.
Kennerin der Leadership-Szene
Sally Helgesen beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Aspekten des Leaderships und analysiert und begleitet Prozesse des Diversity Managements in namhaften Firmen wie Google, IBM oder GE. Ihr 1995 erschienenes Buch „Frauen führen anders. Vorteile eines neuen Führungsstils” (orig.: „The Female Adavantage”) markierte die Trendwende in der Einschätzung weiblichen Führungspotenzials. Im jüngsten Buch „Die Bessere Hälfte” („The Female Vision: Women„s Real Power at Work”) präsentiert die international bekannte Autorin und Beraterin neueste Studien die belegen, dass Visionen, die Frauen in Unternehmen einbringen, zu einer positiveren, integrativeren und effektiveren Unternehmens- und Wirtschaftsentwicklung beitragen.
Der RoundTABLE fand in Kooperation mit der US Embassy Vienna, Cultural Affairs, statt.