ACADEMIA SUPERIOR — Gesellschaft für Zukunftsforschung beschäftigt sich bereits heute mit den Themen von morgen und diskutiert deshalb einen Tag vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl mit Eugen Freund über das politische System in Amerika, seine Einschätzung zur Wahl und die möglichen Auswirkungen des vielleicht wichtigsten Urnengangs der Welt.
USA-Kenner Eugen Freund
Mit Eugen Freund hat ACADEMIA SUPERIOR einen wahren Amerika-Experten eingeladen: Eugen Freund war fünf Jahre beim Österreichischen Presse- und Informationsdienst in New York tätig, von 1995 bis 2001 ORF-Korrespondent in Washington, D.C. und er veröffentlichte unter anderem die Bücher „Mein Amerika”, „Präsident Obama — der lange Weg ins Weiße Haus” und „Brennpunkte der Weltpolitik: Wie alles mit allem zusammenhängt”. Auch in der heutigen Wahlnacht wird er auf den heimischen Fernsehbildschirmen in fachkundigen Diskussionsrunden und als Live-Kommentator der Ergebnisse in den USA zu sehen sein.
Videogruß des Obmanns aus Washington D.C.
ACADEMIA SUPERIOR Obmann-Stv. Mag. Thomas Stelzer begrüßte rund 350 Gäste beim DIALOG im Südflügel des Linzer Schlosses, der mit Unterstützung der HYPO Oberösterreich, vertreten durch Prok. Dr. Marietta Kratochwill, stattgefunden hat. Der Obmann von ACADEMIA SUPERIOR, Mag. Michael Strugl, war mit einer Videogrußbotschaft aus Washington, D.C., präsent, wo er zurzeit den Wahlkampf und die Wahl vor Ort beobachtet: „Hier in Washington hat man gar nicht den Eindruck, dass ein Wahlkampf im Finale ist” schildert er seine Eindrücke.
Der Weg ins Weiße Haus
Der republikanische Kandidat Mitt Romney und der amtierende demokratische Präsident Barack Obama liefern sich bis zuletzt ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Dabei verwies Eugen Freund auf die überraschend laufenden Primaries (Vorwahlkampf) bei den Republikanern und den ungewöhnlichen Weg Barack Obamas in das höchste Amt der Vereinigten Staaten. „What is that leopard doing at this altitude?” zitiert Eugen Freund den Amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway und geht der Frage auf den Grund, wie es Mitt Romney überhaupt zum Präsidentschaftskandidaten geschafft hat. Auch der Sieg des damals nach nur einer Legislaturperiode im Senat politisch sehr unerfahrenen Afro-Amerikaners Barack Obama vor vier Jahren war bekanntlich alles andere als wahrscheinlich.
Der Rutsch in die Mitte
„Um die Vorwahlen zu gewinnen, muss man Farbe bekennen”, erklärt Eugen Freund die zunächst sehr rechte Positionierung des republikanischen Kandidaten: Abtreibung kommt nicht in Frage, die Steuern sind zu hoch, der Iran muss bekämpft werden, Russland ist die größte Gefahr für den Weltfrieden, etc. waren Aussagen, die man von Mitt Romney hörte. Um nach dem Gewinn des republikanischen Tickets jetzt bei der Präsidentschaftswahl auch die Stimmen der gemäßigteren RepublikanerInnen zu gewinnen, ist der Rutsch in die Mitte notwendig. Das bringt notwendigerweise die Ungewissheit mit sich, wo Romney als Präsident dann wirklich stehen wird.
Ein schweres Erbe
Als Präsident hat Obama in einer wirtschaftlichen Ausnahmesituation ein schweres Erbe von seinem republikanischen Vorgänger übernommen, verteidigt Eugen Freund die dem amtierenden Präsidenten oft vorgeworfene schlechte wirtschaftliche Lage der USA. Während seiner Amtszeit musste er viele Kompromisse eingehen, konnte aber dennoch Beeindruckendes umsetzen: Die Gesundheitsversicherung „ObamaCare”, die 30 Millionen US-AmerikanerInnen eine Versicherung bescherte, die sie nach zuvor geltenden Richtlinien nie hätten bekommen können; die Rettung der US-Autoindustrie; die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht zuletzt die Stabilisierung der Wirtschaft nach der Finanzkrise. Die Hauptangriffe, denen er ausgesetzt ist, sind hierzulande kaum bekannt. So glauben aufgrund der Verbreitung durch gewisse amerikanische Fernsehsender etliche AmerikanerInnen, dass Amerika von einem muslimischen Ausländer regiert wird und dass die USA unter Barack Obama zu einem sozialistischen, europäisierten Land verkommen wird.
Das Bild Österreichs in den USA
Als Eugen Freund 1980 in den USA mit der Aufgabe betraut war, das Bild Österreichs etwas zurecht zu rücken, wurde er mit folgendem Bild der AmerikanerInnen von Österreich konfrontiert: „Österreich ist ein kommunistisches Nazi-Land, in dem der Kaiser auf einem weißen Lipizzaner durch die Hauptstadt Salzburg reitet und auf seinen Lippen die Bundeshymne pfeift, die aus „The Sound of Music” stammt.”
1 Mrd. US-Dollar pro Präsidentschaftskandidat und Wahlkampf
Bis zur letzten Minute ringen die beiden Präsidentschaftskandidaten nun in den 8 bis 10 sogenannten „Swing-States” um Wählerstimmen. Dabei fließen laut groben Schätzungen ca. 1 Milliarde US-Dollar pro Präsidentschaftskandidaten in den Wahlkampf, wovon insbesondere die Fernsehanstalten profitieren.
Die Wahlen werden in den Bundesstaaten organisiert: jeder Staat wählt anders
Noch ist die Wahl nicht entschieden, die Swing-States entscheiden den Wahlausgang. „Oder die Wahl wird überhaupt erst im Gerichtssaal entschieden”, meint Freund. Da die Wahlformalitäten in jedem der Bundestaaten der USA unterschiedlich geregelt sind, birgt das eine Unzahl an Hürden, welche die Menschen am Tag der Wahl vom Wählen abhalten könnten. Auch die Wahlzettel sind in den meisten Staaten hoch komplex, denn am „Super Tuesday” wird nicht nur der Präsident (bzw. die Wahlmänner) gewählt, sondern auch eine ganze Reihe unterschiedlicher Repräsentanten der einzelnen Regionen. Dazu kommen noch Referenden und insgesamt 176 Volksabstimmungen in 38 Staaten. So kann ein Wahlzettel durchaus mehrere Seiten umfassen.
„Ein amerikanischer Präsident hat nicht so viel Macht, wie wir glauben.”
Den Umfragen zufolge und „wenn alles mit rechten Dingen zugeht”, so Eugen Freund, wird Barack Obama die Wahl gewinnen. Doch letztlich darf man auch die Macht eines amerikanischen Präsidenten nicht überschätzen. Freund betonte, dass „ein amerikanischer Präsident nicht so viel Macht hat, wie wir glauben”, ist er doch an die Zustimmung des Kongresses gebunden und der Oberste Gerichtshof als eine sehr mächtige Institution in den USA kann jedes Gesetz wieder aufheben.
Welcher Kandidat wäre für Europa besser?
Die Außenpolitik und die Stellung Europas spielten im Präsidentschaftswahlkampf eine sehr untergeordnete Rolle. Dennoch meint Eugen Freund, dass Barack Obama für Europa vermutlich der bessere Kandidat wäre, vor allem in Hinblick auf die Klimapolitik. Gerade im außenpolitischen Bereich unterscheiden sich die beiden Kandidaten jedoch nicht zu sehr. Bei Mitt Romney herrscht größere Ungewissheit, in welche Richtung er gehen wird, da er sich im Laufe des Wahlkampfs sehr ins gemäßigte Zentrum bewegt hat; als Verleugner der Klimaerwärmung würde Klimapolitik in seiner Regierung eine geringere Rolle spielen, was aufgrund der großen CO2-Emissionen und des großen Energieverbrauchs der USA globale Auswirkungen haben würde. Innerpolitisch könnte man erwarten, dass Romney die Gesundheitsreform rückgängig macht, die Steuererleichterungen für Reiche verlängert und die Steuern noch weiter senken wird.
Amerika vor der Wahl
In einer lebhaften Diskussion wurde in dem DIALOG ein überaus fundierter Einblick in die Bedingungen, Ausgangssituationen und mögliche Konsequenzen der US-Wahl gewährt, die auch die verschiedenen Dimensionen dessen beleuchtete, was es alle vier Jahre bedeutet, wenn „Amerika vor der Wahl” steht.