Surprise Fact: China schrumpft

 

China schrumpft – mit großen Folgen

In Chi­na, einem Land mit 1,4 Mil­liar­den Einwohner:innen tre­f­fen derzeit einige Entwick­lun­gen aufeinan­der, die bere­its jet­zt –  aber vor allem in Zukun­ft – Prob­leme aufw­er­fen: Das Wirtschaftswach­s­tum ist deut­lich niedriger als in früheren Jahren, es wer­den immer weniger Men­schen geboren und die Ster­ber­ate stieg – nach­dem Chi­na seine rigide Zero-Covid Poli­tik abrupt aufgegeben hat­te – stark an. Bere­its das zweite Jahr in Folge ist die Bevölkerung Chi­nas deshalb in absoluten Zahlen geschrumpft.

Langfristig gese­hen, gehen UNO-Experten seit 2024 davon aus, dass Chi­nas Bevölkerung bis 2050 um 109 Mil­lio­nen Men­schen schrumpfen wird. Im Jahr 2019 – vor der Pan­demie –  prog­nos­tizierten sie noch „nur“ einen Rück­gang um unter 40 Mio. Men­schen.[1] Dies wird enorme Fol­gen, auch für die glob­ale Wirtschaft, haben.

Die Wirtschaft kommt zu langsam aus der Pandemie raus

Im Jahr 2023 lag das Wach­s­tum des Brut­toin­land­pro­duk­ts mit 5,2 Prozent zwar etwas über dem offiziellen vorgegebe­nen Ziel der chi­ne­sis­chen Regierung, und auch deut­lich über den 3 Prozent des Jahres davor, doch die Wirtschaft wuchs vor allem deshalb stärk­er, weil das Wach­s­tum im Jahr 2022 ver­gle­ich­sweise noch niedriger gewe­sen war – einem Jahr, in dem in Chi­na noch drakonis­che Coro­na-Ein­schränkun­gen und geschlossene Häfen vorherrscht­en. Und selb­st diese 5,2 Prozent Wach­s­tum sind eine der niedrig­sten Rat­en in den ver­gan­genen 30 Jahren. Nur unter­boten von den Jahren der Covid-Pan­demie.[2]

Sinkende Geburtenrate

Hinzu erlebte das bis ins let­zte Jahr bevölkerungsre­ich­ste Land der Erde 2023 einen Neg­a­tivreko­rd bei den Geburten. Nur noch 6,39 Lebendge­borene pro 1.000 Einwohner:innen (9  Mio. Geburten) wur­den reg­istri­ert. Zum Ver­gle­ich: Im sel­ben Jahr betrug die Geburten­rate in Öster­re­ich 8,5 Lebendge­borene je 1.000 Einwohner:innen.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Da ist zum einen die Ein-Kind-Poli­tik, die von 1980 bis 2015 das Bevölkerungswach­s­tum unter Kon­trolle hal­ten sollte. Die Regelung wurde jedoch bere­its vor acht Jahren gelock­ert, weshalb sich die aktuell noch stärk­er sink­ende Geburten­rate nur begren­zt damit erk­lären lässt. Vor allem die schlechte Gesund­heitsver­sorgung und die hohen Leben­shal­tungskosten in den chi­ne­sis­chen Mega-Städten dürften die Haupt­gründe sein, warum sich immer weniger Chines:innen dazu entschei­den, Kinder zu bekommen.

Steigende Sterberate

Und dann kam die Pan­demie: Wurde Chi­na zuerst für die stren­gen Screen­ing- und Quar­an­täne­maß­nah­men zur Eindäm­mung von Ansteck­un­gen gelobt, wuchs sich die Kon­trolle im Laufe der Monate zu ein­er unter­drück­enden Überwachung aus. Als dann diese Maß­nah­men im Dezem­ber 2022 plöt­zlich aufge­hoben wur­den, kam es zu einem drama­tis­chen lan­desweit­en COVID-Anstieg.

Schon über das gesamte Jahr 2022 betra­chtet, verze­ich­nete Chi­na einen Bevölkerungsrück­gang um 850.000 Men­schen. Den ersten seit dem Jahr 1961, als nach dem „großen Sprung nach vorn“ von Mao Zedong und der durch diesen aus­gelösten „Großen Hunger­snot“, Mil­lio­nen Chines:innen star­ben. (Schätzun­gen gehen für die Jahre 1959–1961 von 15 bis 55 Mio. Toten aus.)

Die Zahl der Todes­fälle stieg jedoch 2023 noch ein­mal um 6,6 Prozent auf 11,1 Mil­lio­nen Ster­be­fälle an. Wom­it die Sterblichkeit­srate den höch­sten Stand seit dem Jahr 1974, während der chi­ne­sis­chen Kul­tur­rev­o­lu­tion, erre­ichte. Dazu kommt eine tra­di­tionell starke Auswan­derung aus Chi­na. Allein 2022 und 2023 ver­ließen jew­eils knapp über 300.000 Men­schen mehr das Land, als neu zuwan­derten.[3]

Abwanderung und alternde Bevölkerung

Die sink­enden Geburten­zahlen, die starke Abwan­derung und die steigen­den Ster­bezahlen haben eine Folge: Chi­na schrumpft, und zwar schon das zweite Jahr in Folge. Net­to ver­lor das Land im ver­gan­genen Jahr über zwei Mil­lio­nen Men­schen, mit 1.41 Mil­liar­den Einwohner:innen fällt Chi­na damit noch weit­er hin­ter den neuen Bevölkerungs-Spitzen­re­it­er Indi­en zurück.

Das Land wird jedoch auch immer älter: Chi­nas Bevölkerung im Alter von 60+ umfasste im Jahr 2023 296 Mio. Men­schen – um 16 Mio. mehr als noch 2022. Das sind bere­its etwa 21 Prozent der Gesamt­bevölkerung. Diese Bevölkerungs­gruppe wird bis 2035 auf 400 Mio. Men­schen anwach­sen. Die staatliche Chi­ne­sis­che Akademie der Wis­senschaften geht davon aus, dass dem chi­ne­sis­chen Pen­sion­ssys­tem bis 2035 das Geld aus­ge­hen wird, wenn keine mas­siv­en Refor­men stat­tfind­en.[4] Während die Bevölkerung also rasch altert (Ein-Kind-Poli­tik seit den 1980ern!) wer­den die steigen­den Kosten für Altenpflege und Pen­sio­nen die bere­its ver­schulde­ten Kom­mu­nalver­wal­tun­gen in Zukun­ft stark belasten.

Wirtschaftliche Folgen

Diese Entwick­lun­gen weck­en Sor­gen bezüglich der ökonomis­chen Wach­s­tum­saus­sicht­en der zweit­größten Volk­swirtschaft der Welt. Die sink­ende Zahl an Arbeit­skräften und Konsument:innen set­zen den Arbeits­markt und die interne Nach­frage unter Druck. Sicht­bar wird dies bere­its am Immo­bilien­markt, der mit einem BIP-Anteil von 30 Prozent eine der wichtig­sten Säulen der chi­ne­sis­chen Wirtschaft ist. Haus- und Woh­nungsverkäufe brachen laut der offiziellen Sta­tis­tik 2023 um 8,5 Prozent ein, die Investi­tio­nen in dem Sek­tor gin­gen um 9,6 Prozent zurück. Die Zahl der nicht verkauf­baren chi­ne­sis­chen Wohn­pro­jek­te nimmt zu. Das wirkt sich auf das pri­vate Ver­mö­gen der Chines:innen aus, das über­wiegend durch Immo­bilienbe­sitz getra­gen wird.[5]

Der Effekt ist die oben beschriebene Abwärtsspi­rale beim Wirtschaftswach­s­tum, die sich auch im laufend­en Jahr fort­set­zen wird. Der Inter­na­tionale Währungs­fonds rech­net für 2024 nur noch mit einem BIP-Anstieg um 4,6 Prozent – weniger als im let­zten Jahr.[6]

Sollte diese Kom­bi­na­tion an Prob­le­men zusät­zlich in ein­er Defla­tion­sphase mün­den, kön­nte das fatale Fol­gen für die Wirtschaft, die Investor:innen, Konsument:innen und das Ver­trauen in die Zukun­ft des chi­ne­sis­chen Mark­tes haben.

Die geopolitische Perspektive

Dies alles befeuert Debat­ten in inter­na­tionalen Wirtschafts- und Poli­tikkreisen über die Ver­lagerung einiger in Chi­na ansäs­siger Liefer­ket­ten auf andere Märk­te. Nach den Erfahrun­gen in der Pan­demie kom­men nun noch die neuen „Selb­stver­sorgungs-Bestre­bun­gen“ in strate­gis­chen und gesund­heitlich rel­e­van­ten Sek­toren in der Europäis­chen Union und in den USA hinzu. Außer­dem steigen die geopoli­tis­chen Span­nun­gen zwis­chen Peking und Wash­ing­ton bzw. Brüs­sel in Folge der chi­ne­sis­chen Unter­stützung für Rus­s­land nach dessen Inva­sion in der Ukraine deut­lich an.

Chi­nas Entwick­lung der kom­menden 30 Jahre kön­nte sich also um einiges schwieriger darstellen als die Entwick­lung der ver­gan­genen 30 Jahre.


Quellen:

[1] Farah Mas­ter: China’s pop­u­la­tion drops for sec­ond year, with record low birth rate. (Reuters) 17.01.2024. URL: https://www.reuters.com/world/china/chinas-population-drops-2nd-year-raises-long-term-growth-concerns-2024–01-17/ (05.04.2024).

[2] The World Bank: GDP growth (annu­al %) – Chi­na. World Bank nation­al accounts data, and OECD Nation­al Accounts data files. URL: https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG?end=2022&locations=CN&start=1961&view=chart (05.04.2024).

[3] The World Bank: Net Migra­tion Chi­na. Unit­ed Nations Pop­u­la­tion Divi­sion. World Pop­u­la­tion Prospects: 2022 Revi­sion. URL: https://data.worldbank.org/indicator/SM.POP.NETM?locations=CN (05.04.2024).

[4] Farah Mas­ter: China’s pop­u­la­tion drops for sec­ond year, with record low birth rate. (Reuters) 17.01.2024. URL: https://www.reuters.com/world/china/chinas-population-drops-2nd-year-raises-long-term-growth-concerns-2024–01-17/ (05.04.2024).

[5] Nils Kreimeier: Schwache Kon­junkur, weniger Men­schen: Chi­na bröck­elt das Wach­s­tum weg. (Cap­i­tal) 17.01.2024. URL: https://www.capital.de/wirtschaft-politik/china-verliert-an-bevoelkerung-und-wirtschaftskraft-34373390.html (05.04.2024).

[6] Inter­na­tion­al Mon­e­tary Fund: People’s Repub­lic of Chi­na. URL: https://www.imf.org/en/Countries/CHN (05.04.2024).