DIALOG mit Heidi Kastner und Markus Hengstschläger über Dummheit, Empathie und die Vertrauensfrage
Der nach innen gerichtete Blick auf das Seelenleben der Menschen in diesen schwierigen Zeiten stand beim 19. DIALOG der Academia Superior im Zentrum des Interesses. Niemand geringeres als die renommierte Psychiaterin Prim. Dr. Adelheid Kastner konnte als Gesprächspartnerin für ein packendes Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger gewonnen werden. Knapp 400 Gäste im Südflügel des Linzer Schlosses verbrachten einen Abend, der von spannenden Einblicken, Witz und Tiefsinn geprägt war.
„Adelheid Kastner scheut sich nicht davor, die Dinge anzusprechen und beim Namen zu nennen. Und gerade deshalb passt sie so gut zum DIALOG und zu den Grundsätzen der Academia Superior: den Dingen ganz ohne Scheuklappen auf den Grund gehen“, betonte eingangs Landeshauptmann-Stellvertreterin Mag. Christine Haberlander, Obfrau von ACADEMIA SUPERIOR.
Landeshauptmann Mag. Thomas Stelzer thematisierte bei seiner Begrüßung die schwierige Zeit der Pandemie und des Ukraine-Krieges und hielt fest: „Für die großen Fragen unserer Zeit, wie zum Beispiel die Klimakrise, die Digitalisierung oder die Sicherung des Wirtschaftsstandortes, ist es wichtig, dass wir einander zuhören und Verständnis für den anderen aufbringen“. Auf den ungeheuren Wert von Vertrauen – speziell in Krisenzeiten – baute auch Mag. Klaus Kumpfmüller, Generaldirektor der HYPO Oberösterreich und Kooperationspartner des Abends.
Von Prognosen und Wahrscheinlichkeiten
Heidi Kastner will in ihrer Arbeit als Psychiaterin und Gerichtsgutachterin wissen, welche Motive den Handlungen von Menschen zugrunde liegen. Dabei ist sie immer noch – und immer wieder – neugierig auf ihr Gegenüber. Ihre Expertise legt sie als Wahrscheinlichkeitsabschätzung vor, die auf einer soliden methodischen Basis steht: „Ich kann eine Prognose nicht falsch stellen. Denn bei Prognosen geht es immer um die Wahrscheinlichkeit, dass etwas eintritt. Ich kann höchstens eine Prognose falsch erstellen, aber dann hätte ich schlampig gearbeitet. Eine Prognose bietet nie eine Sicherheit, sie erklärt nur die Wahrscheinlichkeit, dass etwas eintritt.“
Gewalt gegen Frauen
Obwohl die Psychiaterin mit forensischem Schwerpunkt die gesetzlichen Grundlagen der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Österreich für sehr gut befindet, ortet sie in der tiefen gesellschaftlichen Verankerung veralteter Rollenbilder einen von vielen Faktoren, die zu einer auffällig hohen Anzahl an Gewaltdelikten gegen Frauen in Österreich führt: „Wir sind schon ein solide in fragwürdigen Traditionen verhaftetes Land“. Kastner nimmt sowohl Frauen als auch Männer in die Pflicht und verlangt speziell von Männern, alltägliche sexistische und abwertende Äußerungen von anderen Männern zu entgegnen. Zugleich warnt sie alle Frauen davor, jedwede Errungenschaft als selbstverständlich anzunehmen. Am Beispiel des Höchstgerichtsurteils zur Abtreibung in den USA mahnt sie, dass man alles bereits Erreichte sehr leicht wieder verlieren kann: „Man kriegt nur das, worum man sich stetig und redlich bemüht“.
Doppelter Irrglaube bei den Sozialen Medien
Zur Frage von Hass und Faktenverweigerung in den „asozialen Medien“, wie sie sie nennt, sieht Kastner zwei Probleme vereint: zum einen kann man in anonymen Postings leichter andere beschimpfen und verletzen als in einem direkten Gespräch, wo die unmittelbar sichtbare emotionale Reaktion des Gegenübers entschärfend wirkt. Zudem würden im echten Leben soziale Mechanismen, wie etwa soziale Ächtung bei Fehlverhalten, greifen. Im anonymen virtuellen Raum fehlt eines solche korrigierend wirkende Instanz fast gänzlich.
Nicht alle wollen neues Wissen in ihr Weltbild integrieren. — ADELHEID KASTNER
Daran schließt sich der zweiten Punkt, nämlich der „große Irrtum der Aufklärung und bei der Einführung des World Wide Web: dass die Leute jetzt alle unglaublich informiert sein werden“. Warum diese Vision nicht eintrat, lässt sich einfach erklären: „Nicht alle wollen neues Wissen in ihr Weltbild integrieren“, so Kastner. Trifft nämlich neues Wissen auf bestehende kulturell und familiär vermittelte Grundüberzeugungen und widerspricht diesen, dann braucht es viel Offenheit, um sich von geliebten, aber offenbar falschen, Überzeugungen zu trennen. Die Änderung in einem Baustein des eigenen Weltbildes könnte aber auch Änderungen in weiteren Teilen zur Folge haben: „Dann ist diese Abwehr von Fakten, die für mich emotional nicht stimmig sind, der einfachere Weg“ für viele Menschen, begründet die Expertin ein derartiges, „dummes“ Verhalten.
Betrüger haben eine hohe emotionale Kompetenz
Heidi Kastner attestiert erfolgreichen Betrüger:innen eine hohe emotionale Kompetenz bzw. Empathie. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich in andere einfühlen zu können. Man muss schnell erkennen, was beim Gegenüber gut ankommt und angesprochen werden muss, um eine gewünschte Reaktion zu erreichen. Oft sind das die Gier oder das Mitleid. Intelligente Verbrecher sind der Psychiaterin jedoch lieber als dumme, denn letztere sind unberechenbar. Aber „ärger als jeder Verbrecher, ist eine dumme Führungskraft“, zitiert Markus Hengstschläger ergänzend Frau Kastner.
Als Beispiel nennt Kastner den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der rassistisch, sexistisch und gierig ist, mit großer Leichtigkeit lügt und ganz offensichtlich ungeeignet für dieses Amt war. Dennoch konnte er die Menschen mit sehr einfachen und unhaltbaren Versprechen mobilisieren, weil er all jene, die sich unverdient in prekären Lebenssituationen wiederfanden und denen der American Dream aufgekündigt wurde, emotional ansprechen konnte. Die Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, ist demnach ein grundsätzlich neutrales Werkzeug, das positiv wie negativ eingesetzt werden kann.
Dummheit und Intelligenz
„Hat Dummheit auch Vorteile?“, wollte Markus Hengstschläger wissen. „Dummheit macht das Leben etwas leichter. Die Welt wird weniger komplex. Und wir müssen doch eigentlich alle einräumen, dass wir die Zusammenhänge in der globalisierten Welt nicht mehr nachvollziehen können“, erklärte Kastner und führte weiter aus: „Ich glaube es ist unmöglich, alle diese Zusammenhänge noch nachzuvollziehen. Da müsste man das Vertrauen haben, dass diese Erklärungen schon passen werden. Aber wenn man dieses Vertrauen einmal abgegeben hat, weil man sagt: ich kann nur den Mitstreitern in meiner gerechten Sache trauen, aber nicht mehr den Institutionen, dann bietet einem so ein schlichtes, meist dichotomes Weltbild mit einfachen Erklärungen Sicherheit“.
Auf die Frage, warum etwa auch durchwegs intelligente Menschen dumme Dinge tun, hat Kastner keine abschließende Antwort: „Das ist ein unerklärliches aber äußerst bedrohliches Phänomen, das in erschreckender Häufigkeit auftritt und völlig unberechenbar ist“, fasst Kastner die Ergebnisse der Recherche zu ihrem aktuellen Buch zusammen.
Das chronisches Verbitterungssyndrom
Die zunehmende Arbeitsunfähigkeit aufgrund von psychischen Diagnosen führt die Leiterin der Klinik für Psychiatrie mit Forensischem Schwerpunkt darauf zurück, dass manche von der Geschwindigkeit und Komplexität unserer heutigen Welt schlicht überfordert sind. Auch Kränkungen in der Arbeitswelt führen zu dem, was sie als „chronisches Verbitterungssyndrom“ bezeichnet. Dahinter verbirgt sich die Entscheidung, dass man nicht mehr will, „weil man nicht weise genug ist zu akzeptieren, dass im Leben auch Kränkungen vorkommen und dass nicht immer alles gerecht sein kann. Und das Leben ist schlicht ungerecht.“
Betroffen zeigt sich Kastner auch in Sachen Resilienzfähigkeit junger Menschen, denen vielfach ein Aufwachsen im konstanten Krisenmodus attestiert wird. Mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine und das Traumatisierungspotenzial, mit dem unsere Großelterngeneration konfrontiert war, meint sie kritisch: „Ich weiß es nicht, ob dieses Gefühl der grundlegenden Verunsicherung eine reale Entsprechung hat und warum das dann auch gleich zu einem Behandlungsbedarf führt.“ Sie unterstreicht vielmehr positiv, dass wir hierzulande — trotz aller ernstzunehmenden Bedrohungen und Herausforderungen — immer noch in der sichersten Welt aller Zeiten leben.
Obfrau Christine Haberlander nahm abschließend das Publikum in die Verantwortung, in den eigenen jeweiligen Positionen, Funktionen und Rollen gestaltend in die Gesellschaft zu wirken. Denn uns allen muss bewussst sein, dass nichts selbstverständlich ist und man stets daran arbeiten muss, bereits Erreichtes zu erhalten.
Beim Ausklang nach dem DIALOG nutzten die Besucherinnen und Besucher die Gelegenheit, beim Büchertisch von BuchPLUS zu schmökern und die Gespräche zu den aufgeworfenen Themen angeregt und engagiert weiterzuführen.
Audiomitschnitt des DIALOGs:
Der DIAOG wurde unterstützt von der HYPO OÖ.