2020 war die Geburtenbilanz in Oberösterreich negativ. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gab es mehr Sterbefälle als Geburten.[1] [2]
Bei 14.757 Geburten[3] und 14.888 Sterbefällen[4] war im Jahr 2020 die OÖ-Geburtenbilanz negativ: 131 mehr Personen starben, als geboren wurden.
Mögliche Ursachen dafür könnten unter anderem die COVID-19 Pandemie sein, welche zu einem Anstieg der Sterbefälle führte. Im Jahr 2020 gab es in OÖ um 1.246 Sterbefälle mehr als 2019, ein Anstieg um 9 % zum Vorjahr.[5] Ein anderer Grund dafür könnte das Vorrücken der geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation in höhere Altersgruppen sein. Das hohe Geburtenniveau der 1950er Jahre wird heute nicht mehr erreicht. Auch die wirtschaftliche Unsicherheit, ausgelöst durch die Pandemie, könnte ein Grund dafür gewesen sein, mit der Erfüllung eines Kinderwunsches noch zu warten. Wie groß der Geburteneinbruch auf Grund der Pandemie sein wird, wird man aber erst in den Zahlen für das Jahr 2021 sehen können.
Trotzdem Wachstum
Die Bevölkerung Oberösterreichs ist im Jahr 2020 trotzdem um 0,4 % gewachsen. Das bedeutet: am 1.1.2021 lebten um 5.329 mehr Personen in Oberösterreich als am 1.1.2020.[6]
In diesem Zeitraum sind 29.527 Personen nach OÖ zugewandert und 24.040 weggezogen (internationale und nationale Zu- und Wegzüge), was einen Saldo von 5.487 Personen ergibt.[7] Das heißt: ohne die vor allem internationale Zuwanderung nach Oberösterreich wäre die Bevölkerung erstmals seit Jahrzehnten geschrumpft.
Die meisten internationalen Zuwanderungen kamen 2020 aus Deutschland (2.908 Personen) und der restlichen EU (8.388 Personen). Innerhalb von Österreich sind die Personen eher weg- als zugezogen. Nur aus Salzburg und Tirol sind mehr Personen nach OÖ gezogen als umgekehrt.[8]
Österreich
Die Beobachtung, dass die Bevölkerung ohne Zuwanderung sinken würde, kann nicht nur in Oberösterreich gemacht werden. Auch in Österreich und in ganz Europa dominiert dieser Trend.[9] [10]
In Österreich lag die Geburtenrate 2020 (bei lebendgeborenen Kindern) bei ca. 7 je 1.000 Einwohner, während die Sterberate bei ca. 9 Gestorbene pro 1.000 Einwohner lag. Da in Österreich jährlich mehr Menschen sterben als geboren werden, würde auch die Gesamtbevölkerung Österreichs ohne Zuwanderung bereits zurückgehen.[11] [12]
Europa
Laut Prognosen könnte die Zuwanderung nach Europa schon 2025 nicht mehr ausreichen, um die Bevölkerung in Europa am derzeitigen Stand zu erhalten. Doch auch weltweit wird die Bevölkerung nicht ewig weiterwachsen. Die meisten Szenarien gehen von einer Abflachung des Bevölkerungszuwachses vor dem Jahr 2100 aus.[13]
Die Welt
Die Prognosen für die Weltbevölkerung 2100 gehen aber weit auseinander. Die Vereinten Nationen gehen mit einer 95 %-igen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass 2100 zwischen ca. 9,5 und 12,5 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden.[14]
Peak Child
Welcher dieser Entwicklungs-Pfade Realität wird, ergibt sich aus der Zahl der Kinder, die jedes Jahr geboren werden. Der von Hans Rosling geprägte Begriff „Peak Child“ drückt dabei den Zeitpunkt aus, an dem die Zahl der Neugeborenen in der Welt nicht mehr weiter ansteigt. Ob der Peak bereits erreicht wurde, ist umstritten. Wahrscheinlich wird die Zahl der Neugeborenen in der Zukunft aber nicht mehr stark ansteigen.[15]
Um die Weltbevölkerung am derzeitigen Stand zu halten, müsste jede Frau der Welt statistisch 2,1 Kinder bekommen. Die Fertilitätsrate liegt aktuell weltweit bei 2,3 Kindern pro Frau. In Afrika bekommen Frauen die meisten Kinder (durchschnittlich 4,3) in Europa am wenigsten (durchschnittlich 1,5).[16]
In Österreich lag die Fertilitätsrate im Jahr 2020 bei 1,44 Kindern pro Frau[17] in Oberösterreich waren es 1,57.[18] [19]
Ursachen
Die Gründe für die unterschiedlichen Fertilitätsraten weltweit sind sehr verschieden. Ein Faktor ist die Kindersterblichkeit; je höher die Kindersterblichkeit in einem Land ist, umso mehr Kinder bekommen Frauen durchschnittlich in diesem Land. Auch gelten Kinder in einigen Ländern noch immer als sicherste Versorger im Alter – was den Einfluss von Pensions- und Sozialsystemen auf die Demografie verdeutlicht.
In Ländern mit niedrigen Fertilitätsraten stehen bei der Familienplanung eher Faktoren wie die Vereinbarkeit mit dem Beruf im Vordergrund. Kinderbetreuungssysteme, Aufteilung der Care Work und Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Wirtschaft haben ebenfalls einen Einfluss auf die Entwicklung. Auch der Zugang zu Verhütung und Sex Education spielt eine Rolle bei der Fertilitätsrate, je mehr Zugang Menschen zu sexueller Aufklärung und Verhütung haben umso weniger werden Frauen ungewollt schwanger.[20]
Was wir daraus lernen können
Für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich ist Zuwanderung sowohl kurz- als auch mittelfristig ein wichtiger Faktor. Denn schon aktuell ist der Fachkräftemangel deutlich spürbar. Dieser könnte akut durch den Zuzug von gut ausgebildeten Arbeitskräften etwas abgefedert werden. Mittelfristig wird die jahrzehntelange geringere Geburtenrate das Arbeitskräftepotenzial weiter reduzieren, wobei davon auszugehen ist, dass der Arbeitskräftebedarf trotz voranschreitender Automatisierung noch ansteigen wird.
Zur Erhaltung des jetzigen Wohlstandes in OÖ ist Zuwanderung also ein wesentlicher Schlüssel. Um internationale Fachkräfte nach Oberösterreich zu bringen, sollte OÖ als international attraktiver Wirtschafts- und Lebensstandort wahrgenommen werden. Zusätzlich sollten Bemühungen zur Qualifizierung von niedrig Ausgebildeten gesetzt werden, damit diese ihre Potenziale und Talente am Arbeitsmarkt besser einsetzen können.
Um die Geburtenraten in Oberösterreich wieder zu steigern, ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – vor allem für Frauen – der wesentliche Hebel (einfache Aufteilung von Väterkarenz, geeignete Kinderbetreuung in der Nähe des Arbeitsortes, Möglichkeit zu Homeoffice, Aufteilung der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern, etc.).
Haben wir Ihre Neugier geweckt?
Beim Suprise Factors Symposium 2012 war Dr. Carl Djerassi zu Gast und hat über pädiatrische und geriatrische Länder gesprochen. Den Beitrag dazu finden Sie hier.
Quellen:
[1] Statistik Austria: Demographische Indikatoren. Zeitreihen 1961–2020. Oberösterreich. Übersicht I: Hauptindikatoren der Bevölkerungsbewegung. 06.08.2021. URL: https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=068730 [11.01.2022].
[2] Statistik Austria: Tabelle Bevölkerungsbilanzen 1869–2011 nach Bundesland und Komponenten (heutiger Gebietsstand). 15.07.2013. URL: http://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=023289 [11.01.2022].
[3] Land OÖ/ Abteilung Statistik: Natürliche Bevölkerungsbewegung. Überblick – Geburten. 08.10.2021. URL: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/Formulare/Dokumente%20PraesD%20Abt_Stat/Ueberblick_Geburten_Durchschnittsalter_Mutter.pdf [11.01.2022].
[4] Land OÖ/ Abteilung Statistik: Natürliche Bevölkerungsbewegung. Überblick – Sterbefälle. 08.10.2021. URL: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/Formulare/Dokumente%20PraesD%20Abt_Stat/Ueberblick_Sterbefaelle_Geschlecht_Alter.pdf [11.01.2022].
[5] Wirtschaftskammer Österreich: Geburten und Sterbefälle 2019–2020. URL: http://wko.at/statistik/bundesland/gebsterb.pdf [11.01.2022].
[6] Land OÖ/ Abteilung Statistik: Bevölkerungsstand 2021 in Oberösterreich. Juli 2021. URL: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/Formulare/Dokumente%20PraesD%20Abt_Stat/Bev%c3%b6lkerung_O%c3%96_2021.pdf [11.01.2022].
[7] Land OÖ/ Abteilung Statistik: Natürliche Bevölkerungsbewegung Überblick – Wanderung. 08.10.2021. URL: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/Formulare/Dokumente%20PraesD%20Abt_Stat/Ueberblick_Wanderungen_QuellZiel_Region.pdf [11.01.2022].
[8] Land OÖ/ Abteilung Statistik: Natürliche Bevölkerungsbewegung Überblick – Wanderung. 08.10.2021. URL: https://www.land-oberoesterreich.gv.at/Mediendateien/Formulare/Dokumente%20PraesD%20Abt_Stat/Ueberblick_Wanderungen_QuellZiel_Region.pdf [12.01.2022].
[9] Eurostat: Erste Bevölkerungsschätzungen: EU-Bevölkerung im Jahr 2020 bei fast 448 Millionen. Mehr Sterbefälle als Geburten. 10.07.2020. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/11081097/3–10072020-AP-DE.pdf/7f863daa-c1ac-758f-e82b-954726c4621f [12.01.2022].
[10] Martin Mohr / Statista: Geburtenbilanz Österreich von 2010 – 2020. 19.02.2020. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/687214/umfrage/geburtenbilanz-in-oesterreich/ [12.01.2022].
[11] Statistik Austria: Grafik: Lebendgeborene und Geburtenraten 1951–2020. 27.05.2021. 02.2021 URL: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/geborene/index.html [11.01.2022].
[12] Statistik Austria: Grafik: Gestorbene und Sterberate 1951–2020. 27.05.2021. URL: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/gestorbene/index.html [11.01.2022].
[13] Vereinte Nationen: World Population Prospects 2019. URL: https://population.un.org/wpp/ [11.01.2022].
[14] Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung: Globale Bevölkerungsentwicklung. Fakten und Trends. Wiesbaden 2021. URL: https://www.bib.bund.de/Publikation/2021/pdf/Globale-Bevoelkerungsentwicklung.pdf?__blob=publicationFile&v=11 [11.01.2022]
[15] Max Roser / Our World in Data: When will the world reach ‘peak child’? 30.04.2020. URL: https://ourworldindata.org/peak-child [12.01.2022].
[16] J. Rudnicka / Statista: Fertilitätsrate — Fruchtbarkeitsraten nach Kontinenten 2020. 05.11.2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1724/umfrage/weltweite-fertilitaetsrate-nach-kontinenten [11.01.2022].
[17] Martin Mohr / Statista: Fertilitätsrate im Österreich von 2010 bis 2020. Mai 2021. 27.05.2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/217432/umfrage/fertilitaetsrate-in-oesterreich/ [12.01.2022].
[18] Statistik Austria: Demographische Indikatoren. Zeitreihen 1961–2020. Oberösterreich. Übersicht I: Hauptindikatoren der Bevölkerungsbewegung. 06.08.2021. URL: https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_NATIVE_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=068730 [11.01.2022].
[19] Martin Mohr / Statista: Fertilitätsrate in Österreich nach Bundesländern im Jahr 2020. 03.06.2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/687312/umfrage/fertilitaetsrate-in-oesterreich-nach-bundeslaendern/ [12.01.2022]
[20] Bruno Urmersbach / Statista: Tunesien: Fertilitätsraten von 2009 bis 2019. 10.12.2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/749294/umfrage/fertilitaetsrate-in-tunesien/ [11.01.2022].