Österreich, die Schweiz und Deutschland hatten Anfang November die mit Abstand geringste Covid-Impfquoten der westeuropäischen Staaten. Österreich lag mit 24,8% noch nicht geimpfter Bevölkerung über 12 Jahren an letzter Stelle, wie diese Grafik der Financial Times mit Daten vom 9.11.2021 zeigt:
Quelle: Financial Times. 11.09.2021. (1)
Dieser Trend zeigt sich auch bei anderen Krankheiten, gegen die mit Impfungen vorgebeugt werden könnte.
Influenza
Nur jede fünfte Personen im Alter über 65 Jahren ist in Österreich gegen Influenza geimpft, wie neue Daten der OECD zeigen. Unter den 35 am weitesten entwickelten Staaten der Welt, haben nur 5 eine niedrigere Influenza-Impfquote als Österreich wie die folgende Grafik der OECD zeigt.
Quelle: OECD: Health at a Glance 2021. (2)
Masern, DTP und Hepatitis B
Auch bei Schutzimpfungen für Kleinkinder und Säuglinge setzt sich dieser Trend fort. Von 38-OECD-Staaten lag Österreich am vorletzten Platz bezüglich der Impfquote für Diphterie, Tetanus & Pertussis (Keuchhusten), Masern und Hepatitis B.
Die Masern-Impfquote bei Einjährigen liegt in Österreich unter dem von der WHO empfohlenen Mindestwert von 95%, ab dem Herdenimmunität einsetzten würde. Und auch bei Diphterie, Tetanus & Pertussis (Keuchhusten) erreicht Österreich den empfohlenen Schwellenwert von 90% nicht, wie die folgende Grafik der OECD zeigt.
Quelle: OECD: Health at a Glance 2021. (2)
Wissenschaftsskepsis als Erklärung für geringe Impfquote?
Eine Ursache für die generell geringe Bereitschaft, sich oder seine Kinder impfen zu lassen, könnte darin liegen, dass die Österreicher:innen sich auch gegenüber der Wissenschaft im internationalen Vergleich auffällig skeptisch äußern, wie eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Frühjahr 2021 zeigt.(3)
25% der Österreicher:innen finden Wissenschafter:innen nicht prinzipiell vertrauenswürdig. Nur in fünf EU-Staaten wird Wissenschafter:innen noch weniger vertraut (Frankreich, Rumänien, Slowenien, Lettland, Luxemburg).
54% der Österreicher:innen finden, dass Wissenschafter:innen nicht selbstlos agieren. Nur in Holland sehen das noch mehr Menschen so.
53% der Österreicher:innen stimmten der Aussage „In meinem täglichen Leben ist es nicht relevant etwas über Wissenschaft zu wissen“ zu. Nur in Bulgarien und Griechenland finden das noch mehr Menschen.
47% der Österreicher:innen finden, dass das Wort „ehrlich“ Wissenschafter:innen gut beschreibt. Nur in Deutschland ist dieser Wert noch geringer.
Quelle: Eurobarometer zu Wissen & Einstellungen über Wissenschaft & Technologie 2021. September 2021.(3)
Dies ist keine Momentaufnahme. Im Jahr 2010 stimmten nur 48% der Österreicher:innen der Aussage „Grundlagenforschung sollte von der Regierung unterstützt werden“ zu. Was der geringsten Zustimmung in der EU entsprach. Der EU-Durchschnitt lag bei 72% Zustimmung.
Quelle: Klaus Taschwer: Österreichs fatale Wissenschaftsskepsis. Der Standard.10.11.2021.(4)
(Soziale) Medien als Verstärker des Anti-Impf-Trends
Der Umstand, dass gerade in den drei deutschsprachigen Staaten die Covid-19 Impfquote so einheitlich gering ist, deutet auch auf einen weiteren Einflussfaktor hin, der diese drei Länder verbindet: der gemeinsame Kommunikationsraum in den (sozialen) Medien.
Möglicherweise waren Anti-Corona‑, Anti-Maßnahmen- und Anti-Impfbewegungen im deutschsprachigen Raum besonders erfolgreich, weil der Verbreitung von Fake News in (sozialen) Medien zu wenig entgegengesetzt wurde. Auch wenn für diese Aussage noch aktuelle Studien fehlen, liegt diese Schlussfolgerung nahe. Für zukünftige Pandemie sollte ein stärkeres Augenmerk auf die Widerlegung von Fake News in den sozialen und klassischen Medien durch staatliche Institutionen und andere neutrale Organisationen, gelegt werden.
Fazit
In der Pandemie ist die langjährig verfestigte Wissenschaftsskepsis in Österreich, durch die aus ihr mitentstehende Impfskepsis, zu einer lebensgefährdenden Entwicklung geworden. Während andere Staaten wieder langsam zur Normalität zurückkehren können, trifft die 4. Corona-Welle in Österreich immer noch so viele nicht-immunisierte Menschen, dass wieder eine Überlastung des Gesundheitssystems droht.
Wer in Zukunft solche Situationen verhindern will, sollte unter anderem auch etwas gegen die Wissenschaftsskepsis im Land etwas tun – und dabei sowohl bei einer gewissen elitären Arroganz mancher Wissenschafter:innen, als auch der Ignoranz von Teilen der Bevölkerung, ansetzen.
Quellen:
(1) Financial Times https://www.ft.com/content/f04ac67b-92e4-4bab-8c23-817cc0483df5 (Daten vom 9.11.2021).
(2) OECD: Health at a Glance 2021. Seite 155. URL: https://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/health-at-a-glance-2021_ae3016b9-en
(3) Eurobarometer zu Wissen & Einstellungen über Wissenschaft & Technologie 2021. September 2021. URL: https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2237; Wir danken Jakob-Moritz Eberl auf Twitter für den Hinweis auf die Umfrageergebnisse. https://twitter.com/JaMoEberl/status/1451620866563969025
(4) Klaus Taschwer: Österreichs fatale Wissenschaftsskepsis. Der Standard.10.11.2021. URL: https://www.derstandard.at/story/2000131037835/oesterreichs-fatale-wissenschaftsskepsis