Welche Trends verändern die Demokratie? Welche Gefahren und welche Möglichkeiten sehen Sie? Welche Entwicklungen wurden bisher noch wenig wahrgenommen?
Diese und weitere Fragen werden im Demokratieforums gestellt. ACADEMIA SUPERIOR verfasste in diesem Rahmen einen Beitrag, in dem sie die aus ihrer Sicht fünf wirkmächtigsten Phänomene in den letzten Jahren – und mit Blick auf die Zukunft – darlegt.
Digitalisierung und das Entstehen einer Öffentlichkeit im virtuellen Raum
Einer der gegenwärtigen und zukünftigen Haupttreiber stetiger Veränderung ist die Digitalisierung, die in allen Lebensbereichen Neues hervorbringt. Bezogen auf die Demokratie ist die Digitalisierung eine Medaille mit zwei Seiten: einerseits ermöglicht sie völlig neue Formen der demokratischen Teilhabe, andererseits verstärkt sie die Polarisierung unserer Gesellschaft. Daraus resultieren folgende Effekte:
- Veränderung des Nachrichten- und Medienwesen und die Art und den Umfang der Informationsverbreitung
- Entstehen neuer Orte von Öffentlichkeit und Formen der politischen Mitsprache in den sog. „sozialen” Medien
- erhöhter Geschwindigkeitsdruck in Entscheidungsfindungsprozessen und politischen Abläufen
- direkten Kommunikation in Echtzeit gibt Einblicke in politischen Alltag, wird jedoch auch bewusst beeinflussend eingesetzt
- Menschen formieren sich im virtuellen Raum zu Interessensgruppen (Stichwort: Online-Petitionen)
- Algorithmen lassen Informations-Filterblasen entstehen, sodass widersprüchliche Weltansichten nicht mehr wahrgenommen werden. Debattieren auf Augenhöhe und Meinungsbildung findet nicht mehr statt.
- „Fake News” können leichter in Umlauf gebracht werden und haben besonders starke Auswirkungen.
Digitalisierung als Instrument der Inklusion und Exklusion
Die Digitalisierung bringt in zahlreichen Lebensbereichen Vereinfachungen und Zugang, so können zahlreiche behördliche Wege oder z.B. Bankgeschäfte digital am Abend und Wochenende absolviert werden. Andererseits sind nicht alle Menschen „digital fit“. Sie verfügen (noch) nicht über die entsprechende Ausstattung oder die Kompetenzen, digitale Möglichkeiten zu nutzen. Die nicht-digitale Alternative bietet zunehmend Erschwernisse und Nachteile, sodass betroffene Personen doppelte Diskriminierung erfahren.
Gesellschaftliche Fragmentierung nimmt zu
Unsere Gesellschaft wird vielfältiger. Einerseits durch die steigende Zuwanderung nach Österreich aus unterschiedlichen Kulturkreisen, andererseits durch den Prozess, den die Sozialwissenschaften als Individualisierung bezeichnen. Diese führt zu einer Vermehrung der Lebensstile und ‑ziele und zu einer Entfremdung von wichtigen politischen Institutionen wie den Parteien oder öffentlichen Einrichtungen. Beide Entwicklungen verändern und vermehren die Zugänge dazu, was Politik, Partizipation und Demokratie bedeuten.
Das Phänomen der vermehrten Forderung nach mehr Transparenz und Mitsprache trifft auf die steigende Zustimmung zu autoritären Zugängen kombiniert mit Politikverdrossenheit. Während die Zahl der Parteimitgliedschaften sinkt, steigt die Bereitschaft, sich bei kurzfristigen politischen Projekten zu engagieren, Teil einer Bewegung zu sein oder zumindest seine Meinung bei einer Onlinepetition kund zu tun.
Die zunehmende Individualisierung trägt zudem zu einer Fragmentierung der Wertehaltungen innerhalb einer Person bei. So ziehen sich Wertehaltungen nicht mehr durchgängig durch alle Lebensbereiche sondern werden vielmehr pragmatisch in den Lebensalltag integriert.
Demokratie und Politik stehen zukünftig vermehrt vor der Herausforderung einen Ausgleich zwischen diesen vielfältigen Zugängen des Lebensalltags zu schaffen.
Der Wert der Demokratie verblasst
Politische Mitbestimmung und demokratische Rechte werden in unseren Breitengraden als Selbstverständlichkeit gesehen, für das man sich nicht engagieren muss — das auf alle Zeit gesichert ist. Viele sehen nur die Rechte der Demokratie, nicht jedoch die Pflichten, die damit einhergehen. Wir erleben ein zunehmendes Verblassen des Verständnisses darüber, welche Errungenschaft demokratische Wertehaltungen für unsere Gesellschaft haben.
Informationsgesellschaft ist nicht gleich Wissensgesellschaft
Potenziell verfügen wir durch das Internet über einen enormen Zugang zu Wissen, der sich eigentlich positiv auf die politische Debatte auswirken müsste. Doch führt dies auch zu einem Information-Overflow und vermehrt zur Frage, welchen Informationen man vertrauen kann. Klassische journalistische Medien wie Zeitungen, Fernsehen oder Radio haben stark an Boden verloren, während in sozialen Medien und in Messenger-Gruppen Informationen ungefiltert verbreitet werden. Für das Funktionieren der Demokratie ist eine gemeinsame Basis an Informationen und vertrauenswürdige Informationsquellen aber essentiell. Der Anstieg an verfügbarer Information ist nicht gleichzusetzen mit dem Anstieg an Wissen in der Bevölkerung. Die aktuelle Pandemie ist nur ein allzu gutes Beispiel dafür. Dass es in vielen Bereichen kein gesichertes Wissen gibt, ist im Zeitalter des Information-Overflows oft schwer nachvollziehbar. Hier gilt es, Neugierde als wesentliche Qualität und Grundhaltung für die Erarbeitung neuer Erkenntnisse zu etablieren.
Demokratieforum: Im Verfassungsjubiläumsjahr 2020 startet der Oberösterreichische Landtag auf Initiative seines Präsidenten Wolfgang Stanek gemeinsam mit der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ (IWS) eine Demokratie-Offensive. Alle interessierten und engagierten Bürgerinnen und Bürger, Institutionen und Medien sind eingeladen, sich am Demokratieforum zu beteiligen. Ziel ist es, partizipativ konkrete Vorschläge zur Stärkung der Demokratie zu entwickeln.