„Wir brauchen ein neues Denken”
Vor mehr als 700 Besucherinnen und Besuchern, die ins Toscana Congresszentrum in Gmunden gekommen waren, forderte der Friedensnobelpreisträger und ehemalige polnische Staatspräsident Lech Wałęsa ein neues Wertefundament für das gemeinsame Europa: „Früher ist Europa auf einem christlichen Fundament gestanden, dann hat der Kampf gegen den Kommunismus viele Länder vereint, doch jetzt gibt es kein gemeinsames Fundament mehr. Wenn die Europäische Union weiterhin Bestand haben soll, brauchen wir zehn Gebote für Europa, gemeinsame Werte, die von allen über die Religionen und politischen Ideologien hinaus getragen werden“, betonte Wałęsa beim SURPRISE FACTORS PLENUM das im Rahmen des 6. ACADEMIA SUPERIOR SYMPOSIUM zum Thema „Wo beginnt, wo endet Freiheit“ stattgefunden hat.
Wir dürfen uns in Zukunft nicht mehr überraschen lassen. – Lech Wałęsa
Zur aktuellen Flüchtlingskrise betonte der legendäre polnische Freiheitskämpfer, diese sei absehbar gewesen, habe Europa aber trotzdem überrascht: „Wir brauchen ein neues Denken, um von derartigen Entwicklungen nicht mehr überrascht zu werden und diese Herausforderungen auch lösen zu können. Neue Zeiten brauchen eine Abkehr von bisherigen Denkmustern, die uns jahrzehntelang geprägt haben, aber jetzt überholt sind“, so Lech Wałęsa. Zugleich warnte er vor übertriebenen Pessimismus angesichts der aktuellen Situation: „Als ich den Kampf um ein freies Polen begonnen habe, hat mir keiner eine Chance gegeben. Aber es ist gelungen, ich habe gesiegt und den Kommunismus in Polen beendet. Auch die jetzige Krise wird Europa überwinden“, betonte der Friedensnobelpreisträger.
Freiheit braucht Maß und Mitte
Der ebenfalls anwesende oö. Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer betonte: „Freiheit ist nicht nur ein Wert an sich, Freiheit braucht auch Werte, weil sie ansonsten sehr schnell in Gefahr gerät. Menschliches Handeln gerät nicht von allein zum Wohle aller Mitmenschen. Der Mensch braucht Regeln, einen Rahmen für sein Handeln. Das darf aber nicht in Gängelung ausarten, es bedarf einer sorgsamen Abwägung zwischen zu vielen und zu wenig Regeln. Diese Balance zu finden ist eine große Herausforderung, mit unserem System der Sozialen Marktwirtschaft gelingt uns das am besten. Während es in den USA und in Großbritannien eine Tendenz gibt, zu wenig zu regeln, wie die Finanzkrise gezeigt hat, müssen wir Kontinentaleuropäer selbstkritisch feststellen, dass wir dazu neigen zu viel zu regeln.“ Hier Maß und Mitte zu finden werde eine gemeinsame globale Aufgabe der Zukunft sein, unterstrich der Landeshauptmann.
ANGST IST DER GRÖSSTE FEIND DER FREIHEIT. – MICHAEL STRUGL
„Freiheit braucht Verantwortung“, betonte Obmann Dr. Michael Strugl. Es gibt heute so viel Freiheit wie noch nie, was gerade für die junge Generation selbstverständlich geworden sei. Erst wenn diese Freiheit wieder beschnitten wird und wie jetzt wieder Zäune errichtet und Grenzkontrollen eingerichtet werden, werde der Wert der Freiheit wieder schmerzhaft bewusst und auch die gemeinsame Verantwortung, sich dafür einzusetzen, so Strugl. „Ich glaube, dass Angst einer der größten Feinde der Freiheit ist und die Frage ist letztlich, wie werden wir damit umgehen. Ist es wirklich der Weisheit letzter Schluss, wenn wir die Freiheiten, die wir innerhalb der Europäischen Union vereinbart haben, wieder einschränken? Ich bezweifle es“, erklärte Strugl weiter.
SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM
Traditionell wird bei den Experten-Diskussionen des alljährlichen SURPRISE FACTORS SYMPOSIUM — geleitet von Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger und Alan Webber — das Generalthema aus dem Blickwinkel von Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen betrachtet: Der frühere dänische Kulturminister und Parteigründer Uffe Elbaek beleuchtete das Thema „Freiheit“ aus politischer Sicht. Die österreichische Suchtforscherin Dr. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz des AKH Wien, brachte die Perspektive der menschlichen Süchte und Zwänge in die Diskussion um die Grenzen der Freiheit ein. Die russische Kosmopolitin Anna Kamenskaya, die jetzt in Hongkong lebt, steuerte einen globalen Blickwinkel auf das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Unfreiheit zur Diskussion bei. Für die philosophisch-künstlerische Sichtweise von Freiheit sorgte der deutsche Schriftsteller Wolf Wondraschek. Als Überraschungsgast nahm auch der israelische Publizist und Journalist, mit österreichischen Wurzeln, Ari Rath, am Symposium teil, der eine Symbolfigur im Kampf um ein friedliches Zusammenleben von Israelis und Palästinensern ist.
Die Ergebnisse des Symposiums werden der oberösterreichischen Politik zur Verfügung gestellt und stellen einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft des Landes dar.
Diese Veranstaltung wurde unterstützt von der Hofer KG und der Energie AG.